6 Ærzte Steiermark || 05|2022 Bereich Bereich Ærzte Steiermark || 05|2022 7 Das Gesundheitssystem lässt sich nur gemeinsam gut gestalten. Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit. Nur leider werden gut funktionierende, bewährte Strukturen von Planenden in vielen Bereichen zerschlagen und neue Strukturen geschaffen, ohne die negativen Folgen zu bedenken, ohne die Realität wirklich im Auge zu haben. Beispiele der jüngsten Zeit: Der Ärztenotdienst und der Kinder- und Jugendärztliche Notdienst für Graz sollen in den Allgemeinen Bereitschaftsdienst mit geringen Abweichungen aufgehen. Das kann man wollen, man kann es aber nicht ehrlichen Herzens als Verbesserung verkaufen. Seit einigen Wochen organisiert die Gesundheits-VersorgungsGesellschaft des Landes diese Not- und Bereitschaftsdienste. Was dazu geführt hat, dass der Kinder- und Jugendärztliche Notdienst gleich ausfiel und es vorerst auch nicht gelungen ist, das eigene Kinderärztliche Telefon, wie es laut Gesundheitsplattform-Beschluss „angestrebt“ wird, auch zu realisieren. Es fehlt nun auch an konkreten Informationen für die Bevölkerung, etwas das selbstverständlich war, solange Ärztekammer und Ärzteschaft die praktische Umsetzung in Händen hatten – also bis Ende März. Das gilt ähnlich auch für den Ärztenotdienst Graz. Wobei die Probleme gar nicht so sehr die Ärztinnen und Ärzte direkt betreffen, sondern die Bevölkerung. Die muss damit leben, dass offenbar keiner so genau weiß, wie viele sinnvolle Hausbesuche nicht stattfinden, weil am Telefon 1450 Dienst nach Vorschrift gemacht wird. Wenn dann ab Juni der notärztliche Dienst zum Teil in der Freizeit der Notdienst machenden Spitalsärztinnen und -ärzte (ein Kniff zur Umgehung des Krankenanstaltenarbeitszeitgesetzes (KA-AZG)) gemacht werden soll, droht neuer Druck. Schon jetzt kündigen noch aktive Notärztinnen und -ärzte an, in der neuen Struktur nicht mehr mitmachen zu wollen. Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung dürfen das außerhalb ihrer KAGes-Tätigkeit gar nicht. Ärger und Verwirrung sind groß. Wie ließe sich das lösen? Durch Zuhören, durch Dialog. Das ist anfangs zwar anstrengend. Führt aber zu klugen Ergebnissen für die Steirerinnen und Steirer. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Seit Beginn der Pandemie, also seit gut zwei Jahren, haben die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte alles getan, um die eigene Sicherheit, die Sicherheit des Ordinationspersonals und die Sicherheit ihrer Patient*innen zu gewährleisten. Durch Hygienemaßnahmen, durch Schutzmaßnahmen und selbstverständlich durch das Impfen. Das alles aus einem mehr als triftigen Grund: Nur funktionierende, sichere Ordinationen können die so wichtige medizinische Grundversorgung der Menschen in diesem Land sichern. Das wird auch dankbar anerkannt, täglich von den versorgten Patientinnen und Patienten, auch von den meisten Gemeinden. Leider vorwiegend in Sonntagsreden von der großen Politik. Die hat uns dafür jetzt – wir reden vom April 2022 – eine Verordnung beschert, die Arztpraxen ein COVID-19-Präventionskonzept vorschreibt. Etwas, das längst gelebt wird. Etwas, das deshalb auch keinen Riesenaufwand verursacht. Das Muster-Präventionskonzept für Arztpraxen, das die Österreichische Ärztekammer unmittelbar nach Bekanntwerden der Verordnung verbreitet hat, greift ja – zu Recht – weitestgehend Bekanntes und Gelebtes auf. Keine Praxis wird also ein Problem damit haben. Nur zeigt der Zeitpunkt, an dem diese „neue“ Verordnung ausgegeben wurde, die Ahnungslosigkeit, die offenbar im Gesundheitsministerium herrscht. Manche sagen, man habe dort schlicht und einfach darauf vergessen, dieses Präventionskonzept rechtzeitig zu verordnen. Aber: Auch wenn es keiner Ärztin, keinem Arzt inhaltlich etwas abverlangt, dieses Konzept zu erstellen (bitte die Vorlage benutzen), es ist doch Papierkram und kostet Zeit. Aber es ist ja nur die Zeit der Ärztinnen und Ärzte sowie des Ordinationspersonals. Die kann ja den Ministeriumsbeamt*innen egal sein. Vizepräsident Dr. Christoph Schweighofer ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. extra Christoph Schweighofer Das sinnentleerte Präventionskonzept Eiko Meister Immer genug zu tun Die Kammerwahl ist geschlagen. Koalitionen haben sich gebildet. Positionen werden neu besetzt. Ein völlig normaler Ablauf innerhalb einer Demokratie. Das Leben hält sich aber nur bedingt an Wahlzyklen. Auch weil sich der Mainstream laufend verändert. Momentan ist aber die ärztliche Standesvertretung, organisiert in der Ärztekammer, weitab vom politischen Mainstream. Gleichzeitig kumulieren die Probleme im Gesundheitswesen. Die restriktive Personalpolitik der vergangenen Jahre wurde durch die COVIDPandemie weiter eskaliert und führt mittlerweile zu einer völligen Erosion des Spitalswesens. Die sprichwörtliche Hangrutschung steht unmittelbar bevor. Die Abrisskante ist deutlich sichtbar. Alleine schon aus der Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung heraus wäre es ein Zeichen, auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen zuzugehen. Themen wie Arbeitszeit, Gehalt und Mitarbeiterzufriedenheit müssen in den Vordergrund gerückt werden, will man nicht in zehn Jahren einen Zustand vorfinden, der bestenfalls ein Torso dessen ist, was wir heute als Gesundheitswesen verstehen. Ein wesentlicher Bestandteil ist auch die Ausbildung der jungen Kolleginnen und Kollegen. Soferne an den aktuellen Plänen festgehalten wird, wird mit Jahreswechsel die Anerkennung von Ausbildungsstätten inklusive der qualitativen Überprüfung der Abteilungen an das Land übergehen. Es bleibt die Hoffnung, dass die aktuellen Qualitätsstandards in der ärztlichen Ausbildung zumindest ansatzweise beibehalten werden. Die Aufgaben, die auf die neue Kurienführung zukommen, werden nicht weniger. Denn es gilt die Hangrutschung zu verhindern. Dazu bedarf es der ehrlichen Anstrengung aller Systempartner, soferne der Wille vorhanden ist, ein finanzierbares und für die Gesundheitsberufe weiterhin attraktives Gesundheitswesen erhalten zu wollen. Bekanntlich gibt es immer einen Weg, soferne der Wille vorhanden ist. Vizepräsident Dr. Eiko Meister ist Obmann der Kurie Angestellte Ärzte. intra Standortbestimmung Herwig Lindner Dialog ist anstrengend – führt dafür zu guten Ergebnissen kont a Jährlich schließen in Österreich rund 2.000 Jungmediziner*innen ihr Studium ab. Etwa 1.400 werden jährlich gebraucht, um den natürlichen Abgang zu kompensieren und die ärztliche Versorgung in allen Bereichen in Österreich sicherzustellen. Dies sieht auf den ersten Blick sogar nach einem „Überschuss“ aus, ist es aber leider nicht. Gemäß Rechnungshofbericht (Ärzteausbildung, Bericht des Rechnungshofes, Reihe BUND 2021/42) entscheiden sich insgesamt ca. 30 % der Absolvent*innen entweder dazu, das Land zu verlassen und im Ausland zu arbeiten, oder nehmen den ärztlichen Beruf nach dem Studium gar nicht oder nur verzögert auf. Die nunmehr (auf politischen Druck hin) schrittweise (moderate) Erhöhung der Studienplätze an den öffentlich-rechtlichen Universitäten löst die bestehenden Grundprobleme nicht. Gerade im niedergelassenen Bereich – und hier insbesondere im ländlichen Raum – fehlt es an attraktiven Rahmenbedingungen. Dadurch ziehen es viele Jungärzt*innen vor, im urbanen Raum – und hier vorzugsweise im Spitalsbereich – tätig zu werden bzw. sich im Ausland beruflich niederzulassen. Die überbordenden Dokumentations- und Administrationsaufgaben, die den Mediziner*innen abverlangt werden, reduzieren die Attraktivität des Ärzt*innenberufs maßgeblich. So bleibt real immer weniger Zeit für Patient*innen, was die Berufsausübung in Österreich im Vergleich zum Ausland, in welchem derartige Aufgaben zunehmend von einer gesonderten Berufsgruppe übernommen werden, zusätzlich erschwert. Ein weiteres ,wohl auch in den nächsten Jahren bestehendes gravierendes Problem, welches sich unvermeidbar auch belastend auf die ärztliche Tätigkeit auswirkt, ist der ausgeprägte Mangel an Pflegekräften. Vielfältige Themen rund um Arbeitszeitregelungen und Entlohnung tragen ihr Übriges bei. Daher kann die Lösung nicht darin liegen mehr Ärzt*innen zu „produzieren“, sondern die vorhandenen und exzellent ausgebildeten Kolleg*innen durch rasche, umfassende und kreative Maßnahmen im Land zu behalten und für eine Tätigkeit in „Mangelfächern“ zu begeistern und zu gewinnen. Die Verantwortung liegt hierbei klar bei den politischen Entscheidungsträger*innen, wobei sich die Med Uni Graz auch weiterhin konstruktiv an den Problemlösungen beteiligen wird. Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg ist Facharzt für Innere Medizin und seit 2016 Rektor der Medizinischen Universität Graz. 2 d batte d batte Hellmut Samonigg Ärzt*innen im Land behalten, nicht mehr produzieren Fotos: Pachernegg, Oliver Wolf, Elke Meister, Schiffer, Grafik: Konrad Lindner
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