Ærzte Steiermark || 05|2022 9 8 Ærzte Steiermark || 05|2022 Cover Die Ankündigung, an der privaten Wiener Sigmund-FreudUniversität im Rahmen eines speziel len St ipendienprogramms 20 Studienplätze für Mediziner*innen zu reservieren, die nach Studienabschluss bereit sind, zehn Jahre an einem steirischen Landeskrankenhaus zu arbeiten, löst bei ärztlichen Fachleuten Irritationen aus. Erstens kostet die Kooperation 150.000 Euro pro Absolvent*in. Zweitens werden die ersten fertigen Mediziner*innen frühestens in sechs Jahren zur Verfügung stehen. Und es sind nur 20, was angesichts von – jetzt – der KAGes jedenfalls mehr als 150 fehlenden Ärzt*innen ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Und diesen Tropfen wird es eben erst 2028 geben können. Die Kleine Zeitung sprach von einer „merkwürdigen Initiative“. „Es ist die teuerste Art, zusätzliche Ärzte zu requirieren“, kommentierte Redakteur Norbert Swoboda. Für Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß ist es hingegen „sehr erfreulich, dass wir neben den steirischen Ausbi ldungsmögl ichkeiten nun auch mit dem Stipendienprogramm an der SigmundFreud-Privatuniversität Wien einen weiteren starken Partner gewonnen haben“. „Wir bilden nicht zu wenige Ärzte aus, sondern wir behalten zu wenige im System. Es muss also attraktiver werden, in der Steiermark eine signierte Ärztekammerpräsident Michael Sacherer als wichtigstes Ziel. Zusammengefasst: Die Erhöhung der Zahl der Studienplätze zur Linderung des Ärztemangels ist vor allem eine Maßnahme, der Landespolitiker*innen einiges abgewinnen können (dass der Bund die Kosten dafür zu tragen hat, sei der Ordnung halber angemerkt). Aber sie wird in Maßen kommen – aktuell gibt es knapp 1.600 Startplätze an den Medizin-Unis von Graz, Wien und Innsbruck sowie der Linzer Fakultät; 2028 sollen es 2.000 sein. Ob das hilft? Dass die Vorgangsweise ein wenig daran erinnert, Wassermangel dadurch entgegenzutreten, indem man immer mehr Wasser durch ein marodes Leitungsnetz pumpt statt die Lecks zu schließen, können auch wohlmeinende Expert*innen kaum negieren. Und: Lecks im Ärztesystem gibt es genug. Manche sind gesellschaftlich und nicht durch die Medizin bedingt, wie etwa die gesunkene Bereitschaft, ohne Rücksicht auf das Privatleben in der Arbeit aufzugehen. Manche Probleme sind aber sehr wohl Medizinsystem-bedingt. Wenn fast vier von zehn Medizin-Absolvent*innen nie in der österreichischen GeAusbildung zum Arzt für Al lgemeinmedizin oder zum Facharzt zu machen und danach eine Ordination mit Kassenvertrag zu übernehmen“, gibt die Stradener Allgemeinmedizinerin und designierte NiedergelassenenKurienobmannstellvertreterin in der Ärztekammer Steiermark, Gudrun Zweiker, zu bedenken. „Das Problem sind die unattraktiven Arbeitsumfelder im Spital und den Kassenordinationen. Mehr Absolvent*innen führen daher zu keiner Abhilfe“, sekundiert auch Angestellten-Kurienversammlungsmitglied Gerhard Posch (seines Zeichens Assistenzarzt an der Urologie des LKH-Standorts Leoben und designierter Kurienobmann). Selbst ÖVP-Nationalratsabgeordneter Josef Smolle – selbst Arzt und früherer Medunisundheitsversorgung ankommen (so eine Statistik des Bundesr e c h nu ng s - hofs), wenn Är z t *i nnen in Ausbildung laut einer Ärztekammerumfrage sich mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit mit Verwaltungsaufgaben herumschlagen müssen statt Patient*innen zu betreuen, zeigt sich das Kernproblem: Es mangelt nicht an ärztlichen Köpfen, es mangelt an ärztlicher Arbeitszeit, die erkennbar der Bevölkerung zugutekommt. Susanne Rabady und Stephanie Poggenburg (Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, ÖGAM) formulieren es so: „Das Problem besteht nicht darin, dass es zu wenig Interesse am Medizinstudium gibt, immerhin bewerben sich zwölf Personen auf einen Studienplatz. Daher ist damit zu rechnen, dass bei weiterer Erhöhung der Studienplätze Graz Rektor – ist skept i sch: „Für Ä r z t * i n n e n besteht ein europaweiter Arbeitsmarkt und Österreich ist bereits jetzt ‚Netto-Exporteur‘ ausgebildeter Mediziner*innen. Daher brauchen wir in erster Linie Maßnahmen, um die Absolvent*innen im Land zu halten“, sagt er. Stipendien, verbunden mit der Selbstverpf lichtung der Absolvent*innen, etwa in einem öffentlichen Spital oder an einer kassenärztlichen Stelle anzudocken, lehnt er zwar nicht ab, betont aber, dass diese vorzugsweise über „Incentives für die Studierenden an öffentlichen Universitäten“ geregelt werden sollten. Auch Eiko Meister, der amtierende steirische Angestel lten-Kurienobmann und Ärztekammer-Vizepräsident bis zum 18. Mai 2022, ist zurückhaltend: Ob „der Stipendienweg wirklich erfolgreich ist, bleibt offen. Was dagegen spricht, ist eine flexible Lebensplanung und -führung“, wendet er ein. „Die Absolvent*innen im Land halten“ nennt auch der Betriebsratsvorsitzende an der Medizinischen Universität Graz, Internist und deder gleiche p r o z e n t u a - le Anteil der Studierenden nach dem S t u d i u m auch nicht im österreichischen Gesundheitssystem bleibt. Dies erzeugt nur weitere immense Kosten, wenn man bedenkt, dass ein Medizinstudium ungefähr Kosten von einer halben Million Euro verursacht.“ Auch Vinzenz Harrer und Josef Harb, die steirischen ÖGKLandesstellenausschuss-Vorsitzenden, sehen das Problem: „Grundsätzlich haben wir nicht zu wenige Ärzte in Österreich, sondern zu wenige Ärzte, die im öffentlichen Gesundheitssystem arbeiten. Unsere Bemühungen müssen in diese Richtung gehen, dass diese versorgungswirksam werden.“ Dennoch wollen sie mehr Studienplätze: „Die Anzahl … zu erhöhen wäre aber jedenfalls wünschenswert, um den gesunden ‚Wettbewerb‘ um Kassenstellen wieder anzuregen.“ Richard Brodnik, der Obmann der Jungen Allgemeinmedizin, bezeichnet die Erhöhung der Studienplatz-Zahl als „extrem ineffizient“. Es müssten Ausbildungsqualität und die Arbeitsbedingungen in der Niederlassung attraktiviert werden, „damit diese Personen auch versorgungswirksam tätig werden und nicht ins Ausland oder in die Privatmedizin flüchten“. Die ebenfalls in der Jungen Al lgemeinmedizin akt ive Har tberger Kassenärzt in Reingard Glehr hält nur eine Erhöhung um zehn Prozent für „sinnvoll“. Darüber hinaus würde „die Ausbildungsqualität durch eine notwendige Studierenden-Gruppenvergrößerung bei Lehreinheiten wahrscheinlich sinken“. Außerdem löse die Erhöhung der Zahl der Studienplätze keines der Strukturprobleme (z. B. Überversorgung in Ballungsgebieten, zu wenig Ärzt*innen im ländlichen Bereich, viele Fach- und zu wenige Allgemeinärzt*innen), gibt sie zu bedenken. Einen wichtigen Aspekt bringt Allgemeinmedizin-Obmann Alexander Moussa ein. Mehr Studienplätze lehnt er zwar strikt ab, „aber die Selektionsmechanismen zu Beginn des Fotos: Bergmann, Grabner, Schiffer, Meduni Graz, Meister, Privat, Schmickl, Ranger Rezepte gegen den Ärztemangel Hellmut Samonigg St. Poggenburg S. Rabady Michael Sacherer Herwig Lindner Eiko Meister Christoph Schweighofer Alexander Moussa Vinzenz Harrer Josef Harb Gudrun Zweiker Gerhard Posch Josef Smolle Reingard Glehr Andrea SiebenhoferKroitzsch Rezepte gegen den Ärztemangel gibt es viele. Aber welche funktionieren und welche nicht? Wir haben Expertinnen und Experten um ihre Einschätzung gebeten. Foto: Adobe Stock Welche Rezepte gegen den Ärztemangel halten Expertinnen und Experten, InstitutionenVertreter*innen und Betroffene für die richtigen? Und welche erscheinen ihnen nicht hilfreich? Die Antworten sind im Text zu finden. Richard Brodnig Cover
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