AERZTE Steiermark | Juli August 2022

ÆRZTE Steiermark || 07_08|2022 21 Foto: beigestellt FORSCHUNG „Vor Einsatz der Vektorimpfstoffe gegen COVID-19 gab es schon ganz vereinzelt Immunthrombozytopenien nach anderen Impfungen, aber so ein umfassendes Durcheinanderwürfeln der Gerinnungskaskade haben wir zum ersten Mal bei den COVIDImpfstoffen gesehen“, erklärt Thomas Gary, assoziierter Professor der Medizinischen Universität Graz und zweiter stellvertretender supplierender Leiter der Klinischen Abteilung für Angiologie. Aufgetreten ist das ungewöhnliche Gerinnungsphänomen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:100.000 nach Erstimpfung mit Vaxzevria von AstraZeneca und mit 1:1.000.000 nach Erstimpfung mit Ad26.COV2.S von Johnson & Johnson; auch hier ausschließlich nach der Erstimpfung. „Da mit diesen Impfstoffen in Österreich gar nicht mehr erstgeimpft wird, sind seit circa einem Jahr auch keine neuen Patientinnen mit VITT dazugekommen“, berichtet Gary. VITT steht für Vaccine induced thrombotic thrombocytopenia. Ähnlich der Erkrankung Der Zusammenhang zwischen Impfstoff und der äußerst seltenen, aber schwerwiegenden immunologischen Reaktion ist bis heute nicht exakt geklärt. Für wenig wahrscheinlich hält Gary, troffen von der VITT waren junge Frauen, die Thrombosen der Sinusvene oder im Bauch- und Beckenraum entwickelt haben. 4 Grazer Patientinnen In Graz wurden vier Patientinnen mit VITT betreut, wovon zwei eine Sinusvenenthrombose zeigten und je eine ein Blutgerinnsel im Bauch- und Beckenbereich. „Die erste Patientin hat noch eineinhalb Wochen gebraucht, bis ihre Werte wieder stabil waren, bei den anderen, als auch international bereits ein Therapiealgorithmus gefunden wurde, waren die Laborwerte nach zwei Tagen wieder im Normbereich“, so Gary. Das Grazer Team um Thomas Gary, Reinhard Raggam und Marianne Brodmann von der Angiologie am Grazer Klinikum sowie Albert Wölfler von der Hämatologie und Thomas Gattringer von der Schlaganfallambulanz der Neurologie hat bereits im April 2021 seinen Therapiealgorithmus auch im Lancet publiziert. Als informelles europaweites „Impfthrombosen-Kompetenzzentrum“ hat sich relativ rasch die eigentlich auf HIT spezialisierte Abteilung für Transfusionsmedizin der Universität Greifswald im deutschen Mecklenburg-Vorpommern etabliert – aufgrund ihres enormen Vorwissens und des hochspezialisierten Thrombozytenlabors. Aus ganz Europa langten dort Anfragen ein. mRNA-Impfung ist sicher Nach mRNA-Impfungen hingegen wurde keine Häufung thrombotischer Ereignisse festgestellt – nicht nur gefühlt, sondern erwiesenermaßen im Rahmen eines kanadischen Reviews, rezent publiziert von Matthew Nicholson, der Studien mit bis zu 10 Millionen Proband*innen eingeschlossen hat. Auch die vier Grazer Patientinnen wurden ein paar Monate nach dem Ereignis mit einem mRNA-Impfstoff immunisiert, wobei es selbst bei diesen Hochrisikopatientinnen zu keiner auffallenden Reaktion kam. Aufgrund der veränderten Impfpraxis – keine Erstimpfung mehr mit Vektor-Impfstoffen – ist die Gefahr mittlerweile gebannt; herausfordernd war lediglich die Zeit davor. „Sehr hilfreich war in dieser Phase, dass alle Al lgemeinmediziner*innen informiert waren und wussten, was im Verdachtsfall zu tun ist“, betont Gary. dass der Vektor selbst den Verursacher darstel lt: „Da das beobachtete krankhafte Gerinnungsphänomen jenem sehr ähnelt, das wir schon zuvor bei intensivpflichtigen COVID-19-Patientinnen und -Patienten beobachtet haben, liegt es näher, das durch den Impfstoff im Körper produzierte Protein als Auslöser in Betracht zu ziehen.“ Schon im Frühjahr 2020, als noch kein Impfstoff gegen COVID-19 zur Verfügung stand, war bereits bei schwerk ranken COVIDPatient*innen das Paradox von verminderter Thrombozytenzahl bei gleichzeitiger Thromboseneigung an untypischer Lokation aufgetreten. Bei der als VITT bekannten Gerinnungsstörung werden Antikörper gebildet, welche Blutplättchen aktivieren können. Diese verbrauchen sich dann jedoch in Blutgerinnseln, wodurch ein Mangel entsteht. Der Vorgang findet in ähnlicher Weise auch bei der Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) statt. Be- „Durcheinanderwürfeln der Gerinnungskaskade“ Vektorimpfstoffe gegen COVID-19 können, wenn auch äußerst selten, gravierende paradoxe Auswirkungen auf das Gerinnungsgeschehen haben. Der Grazer Angiologe Thomas Gary skizzierte auf den Grazer Gerinnungstagen den rasanten Weg vom Erfassen des Problems zur Lösung. „Sehr hilfreich war in dieser Phase, dass alle Allgemeinmediziner*innen informiert waren und wussten, was im Verdachtsfall zu tun ist.“ Thomas Gary

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