NIEDERGELASSENE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE ÆRZTE Steiermark || 09|2022 47 Der ganz normale Praxiswahnsinn PRAKTISCH TÄGLICH Von Ulrike Stelzl Und irgendwann bleib I dann dort … Zu viel Arbeit mag schädlich sein für das Herz-Kreislauf-System oder man kann Migräne, Verspannungen und Schlafstörungen davon kriegen. Für ein Organ allerdings ist die Arbeitsbelastung das ideale Training. Nämlich für die Harnblase. Keiner von uns wird jemals Inkontinenzgymnastik brauchen. Pinkeln gehen während des Vormittags gibts einfach nicht. Als irgendwann um die Mittagszeit der Frühstücksespresso zu weit ins Zentrum meiner Aufmerksamkeit rückt, nehme ich mir widerwillig doch die Zeit für einen Sprint zur Toilette. Dabei muss ich durchs Vorzimmer und vorbei am Eingang. Es ist der vorletzte Tag vorm Urlaub, also stellen sich noch massenweise Patienten an. Ich grüße gehetzt freundlich und renne weiter. Am Rückweg ins Sprechzimmer bemerke ich eine Bewegung in der Menschentraube. Herein schießt Herr W., nachdem er einen anderen Patienten nicht ganz sanft beiseite gedrängt hat. Er überrennt Frau O. und stürzt in die Rezeption. Mit hochrotem Kopf und schwer schnaufend. Ich gehe zur Sicherheit auch dort hinein. „Ich komm nur den Zettel holen, den ich am Telefon verlangt habe.“ „Einen kurzen Moment, ich schreibe ihn gleich“, erwidert meine Assistentin freundlich. Etwas weniger freundlich erfährt er von mir, dass er gefälligst draußen warten soll, bis er dran ist, und außerdem kein Recht hat, Patienten, die schon vor ihm da waren, über den Haufen zu rennen. „Ich hab gesagt, dass ich nur einen Zettel brauche, Sie sind unmöglich Frau Doktor! Ich kündige, Sie sehen mich nie wieder!“ (Versprochen?) „Ich wechsle den Hausarzt“ (Bitte gerne, Sie haben die freie Arztwahl), „aber vorher zeige ich Sie noch an bei der Kasse und bei der Kammer!“ (you are welcome!) Während er schnaubend hinausstampft, läutet das Telefon, und eine Diskussion zwischen meiner Assistentin und dem anderen Ende der Leitung beginnt. Dran ist die Sekretärin von Herrn L. Zweimal hat er mich zur Vorsorgeuntersuchung versetzt und ist nicht erschienen. Ich mische mich ein: „Er kriegt jetzt keinen Termin, meine Zeit ist nämlich kostbar und nicht einfach selbstverständlich. Außerdem soll er bitte selber anrufen, wenn er etwas von mir möchte.“ „Während Sie da so lang herumreden, hätten wir schon längst einen Termin machen können“, ertönt es spitz vom anderen Ende der Leitung. „Ich richte ihm aus, dass Sie unkooperativ sind“, und legt auf. Liebe Leute, glaubt Ihr wirklich, dass ich so jemals aus dem Urlaub zurückkommen will? Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für Allgemeinmedizin. Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc! 2 Der ganz normale Praxiswahnsinn“ (erhältlich bei Amazon) Fotos: Stelzl, Adone Stock gesprochen, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass seine Umsetzung noch lange nicht Wirklichkeit werden kann. Außer natürlich in der ÖGK-eigenen Berichterstattung: „ÖGK hat Fusion gut abgeschlossen“ heißt es in einer offiziellen ÖGK-Meldung vom Juli 2022. „Von Harmonie keine Spur“ schrieb dagegen die Kleine Zeitung ebenfalls im Sommer dieses Jahres. Was der tatsächlichen Sachlage wohl weit eher entspricht. Einheitlichen Leistungskatalog übergeben Der steirische Niedergelassenen-Obmann und Ärztekammer-Vizepräsident Dietmar Bayer hat dazu einen pragmat ischen Vorschlag gemacht: „Wir haben der Österreichischen Gesundheitskasse einen einheit l ichen Leistungskatalog übergeben. Darin steht, was die Ärzte als sinnvoll erachten, welche Leistungen in ganz Österreich erbracht werden sollen. Aus dem heraus ist die Österreichische Gesundheitskasse eingeladen, die Leistungen zu übernehmen, die sie ihren Versicherten anbieten möchte. Der Rest wäre dann im kassenfreien Raum, die der Patient beim Kassenarzt privat bezahlen muss“, sagte er im Zeitungsinterview. Wobei zu ergänzen ist, dass die fehlende Harmonisierung nicht nur den unmittelbaren ärztlichen Bereich betrifft. Gilt das Motto „Steiermark last“? Im Zuge der Medienberichterstattung über enorme Zahlungsschwierigkeiten einer steirischen Rettungsorganisation wurde bekannt, dass auch die Sätze für Krankentransportfahrten in der Steiermark besonders niedrig sind. „Steiermark last“ kann man in Abwandlung des bekannten Slogans „America first“ sagen. „Wir haben der Österreichischen Gesundheitskasse einen einheitlichen Leistungskatalog übergeben. Darin steht, was die Ärzte als sinnvoll erachten, welche Leistungen in ganz Österreich erbracht werden sollen. Aus dem heraus ist die Österreichische Gesundheitskasse eingeladen, die Leistungen zu übernehmen, die sie ihren Versicherten anbieten möchte. Der Rest wäre dann im kassenfreien Raum, die der Patient beim Kassenarzt privat bezahlen muss.“ Dietmar Bayer gegenüber der Kleinen Zeitung
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