22 Ærzte Steiermark || 11|2022 kongress Ausbruch zu verzögern“, erläutert Schmidt, die genau darin einen gerade beginnenden „Paradigmenwechsel in der Medizin“ ortet. Für Schmidt ist es unumgänglich, Altern als etwas Modulierbares zu sehen und der Bevölkerung zu kommunizieren, dass sowohl das Individuum selbst als auch die Familie, in der es lebt und nicht zuletzt die Gesellschaft darauf Einfluss nehmen können. Gut dosierter Stress Zwei große evolutionsbiologische Hypothesen beschäftigen sich mit dem Altern und somit auch mit möglichen Faktoren, den Alterungsprozess verlangsamen zu können. Die Hormesis-Theorie basiert auf der Annahme, dass gut dosierter Stress die Zellregeneration und damit die Verjüngung des Organismus anregt. „Anzeichen dafür gibt es vom Einzeller bis zum Menschen, wichtig ist nur, die richtige Dosis für die Stressfaktoren zu finden“, betont Schmidt. Mit Stress ist hier nicht der Ärger bei der Arbeit gemeint, sondern kurzfristige körperliche Grenzsituationen wie Hungerphasen (etwa beim Dinner Cancelling), auspowernder Sport oder Hot-cold-Zyklen (wie in der Sauna). Besonders wirkungsvoll kann die Kombinat ion hormetischer Effekte sein, also beispielsweise intensiver Sport gegen Ende einer Hungerphase. Der Körper soll auf Stress trainiert werden; die Auswirkung auf biochemische Vorgänge ist mit intendiert: Aktiviert werden Sirtuine (körpereigene Proteine, stimuliert durch Stress oder sekundäre Pf lanzenstof fe), die AMP-aktivierte Proteinkinase (ein Enzym, das Zellen vor Energiemangel schützt) und die Autophagozytose. „Dinner Cancelling, zwei- bis dreimal wöchentlich Sport mit Schwitzen und ebenso häufige Saunazyklen wirken sich Berichten zufolge positiv auf das Altern aus“, erklärt Schmidt. Schützende Großelternschaft Die zweite evolutionsbiologische These zum Altern – die Grandmothering Hypothesis – besagt, dass dort, wo die Großelterngeneration die Jungen (mit) aufzieht und damit die Elterngeneration entlastet, auch die Überlebenschancen für den Nachwuchs steigen und mehr von ihnen die Langlebigkeitsgene weitertragen können. Die Alten tun damit aber nicht nur den Jungen etwas Gutes, sondern auch sich selbst: Ein reges Sozialleben und vor allem der Kontakt zur jüngsten Generation hält sie erwiesenermaßen biologisch jünger. „Wichtig wäre es daher, die älteste und die jüngste Generation wieder näher zusammenzubringen“, erläutert Schmidt. Ungenutzte Potentiale Die maximale Lebenserwartung sieht Schmidt limitiert, wohl aber gebe es noch viele ungenutzte Potentiale, um die gesunde Lebensspanne zu verlängern. Nicht alle Thesen zum langsameren Altern lassen sich jedoch so leicht beim Menschen überprüfen. „Kalorienrestriktion beispielsweise lässt sich nicht in großen Kohorten untersuchen, weil die Menschen zu wenig Compliance zeigen beziehungsweise Nährstoffmangel und daraus resultierende Sekundärerkrankungen entwickeln können.“ Auch wenn die HormesisHypothese mittlerweile bei verschiedenen Spezies gut untersucht sei, brauche es immer Humanstudien, um die Übertragbarkeit der Ergebnisse zu überprüfen. Umgekehrt sei es aber auch wichtig, für Phänomene, die sich beim Menschen zeigen, die richtigen Modellorganismen für die Tierstudien zu finden, um Gesetzmäßigkeiten zu erkennen – from bench to bedside and back again. Foto: Begestellt
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