Ærzte Steiermark || 11|2022 9 Cover Johann Leopold Auenbrugger: Erste Adresse in Europa Harald Salfellner Es ist das Paradebeispiel eines Analogieschlusses: Leopold Auenbrugger, geboren am 19. November 1722 in der Grazer Murvorstadt, sieht in jungen Jahren seinen Vater Sebastian, einen Schankwirt am nachmaligen Südtiroler Platz 5, mit den Fingerknöcheln die Fässer im Weinkeller abklopfen. Das Bild vom pochenden Vater, der die Füllung der Gebinde prüft, lässt den künftigen Mediziner nicht mehr los. Als junger Arzt überträgt Auenbrugger die väterliche Methode auf den Brustkorb, um etwa Hinweise auf die leidige Brustwassersucht , stärkere Empyeme oder Blutextravasate zu erhalten. So oder so ähnlich lässt sich die Geburtsstunde der segensreichen, bis heute geübten Perkussion (von lat. percussio für Schlag, Stoß) denken. Erkenntnisse erklopft Um die Mitte des 18. Jahrhunderts bedeutet die physikalische Untersuchungsmethode Auenbruggers eine überaus nützliche Erweiterung des noch sehr eingeschränkten diagnostischen Repertoires. Hilfsmittel wie Stethoskop, Spekula oder Kehlkopfspiegel sind Zukunftsmusik, die dem Seziermesser zu überprüfen. Auenbrugger injiziert Flüssigkeit in Leichenbrustkörbe, füllt Wasser in Fässer und erklopft sich die nötigen Kenntnisse auf verschiedene experimentel le Weise. In rastlosen Versuchen lernt er den tympanitischen Schall (sonus altior) vom gedämpften Schall (sonus obscurior) und diese wieder vom leeren Fleisch- oder Schenkelton (sonus percussae carnis) zu unterscheiden. So gelingt ihm in gewissenhaften und gründlichen Untersuchungen der Aufbau eines stattlichen Lehrgebäudes. Zur Zeit der Ersten Wiener Medizinischen Schule zeigen bisher festgefügte medizinische Dogmen erste Sprünge, an die Seite der antiken Humoralpathologie, die das Denken der Ärzte über Jahrtausende geprägt hat, tritt ein zunehmend organbezogenes Krankheitsverständnis. Anatomen jener Tage wie Giovanni Battisti Morgagni oder John Hunter tragen das ihrige zu diesem Paradigmenwechsel bei. Ihnen zur Seite stellt sich Auenbrugger mit seiner auf anatomischen und physikalischen Gegebenheiten begründeten Perkussionsmethode und wird damit zu untersuchenden Ärzte haben kaum mehr Rüstzeug als ihre fünf Sinne. Sie horchen auf Geräusche und Regelmäßigkeit der Atmung, inspizieren Gesicht, Augen, Haut und den Zustand der Zähne, verkosten den Patientenharn nach seinem Zuckergehalt, fühlen die Qualität des Pulses und versuchen aus dem Bouquet der menschlichen Gerüche den Gestank des Wundbrandes herauszuschnüffeln. Eine körperliche Untersuchung, wie wir sie heute kennen, ist wohl nur die Ausnahme. Nach eingehender anamnestischer Befragung und Beobachtung muss der Medicus jener Tage seine Schlüsse ziehen und die Diagnose wie Prognose stel len. Mit Auenbruggers Methode ist es erstmals möglich, noch zu Lebzeiten des Erkrankten klinisch bedeutsame Informationen aus dem Thoraxinneren zu gewinnen. Unermüdlich übt Auenbrugger seine Klopfmethode an Patienten, wozu er zwischen 1751 und 1762 als Sekundararzt und bald auch Ordinarius am Spanischen Hospital am Wiener Alsergrund reichlich Gelegenheit hat. Was am Krankenbett durch Klopfen am nicht selten Moribunden zu erfahren ist, bemüht er sich in der Prosektur mit einem der Geburtshelfer der modernen Medizin. Scharfer medizinischer Verstand Nach sieben Jahren des Forschens und Erkundens tritt Auenbrugger 1761 mit einer kleinen Schrift an die Öffentlichkeit, in der er die neue Verfahrensweise kurzgefasst und verständlich darlegt: Inventum novum ex percussione thoracis humani ut signo abstrusos interni pectoris morbos detegendi. Der Grazer Medizinhistoriker und Landeskrankenhausdirektor Viktor Fossel wird die grundlegende, 95 Seiten starke Schrift 1912 ins Deutsche übertragen und veröffentlichen: Neue Erfindung, mittelst des Anschlagens an den Brustkorb, als eines Zeichens, verborgene Brustkrankheiten zu entdecken. Ist der Titel auch sperrig – Auenbruggers Inventum novum erweist sich als Muster eines wissenschaftlich klaren, knappen und inhaltlich gehaltvollen Werkes, als Beleg eines scharfen medizinischen Verstandes. In 14 schlicht und verständlich formulierten Beobachtungen und 48 Leitsätzen breitet der Autor seine Gedanken aus, erläutert den Ein kurzes Medaillon zum 300. Geburtstag des Grazer Arztes und Namensgebers für den Auenbruggerplatz.
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