Fortbildung Ab fünf gleichzeitigen Arzneimittel-Verschreibungen findet sich statistisch signifikant ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Medikamenteninteraktionen. „Ab neun Verschreibungen leiden praktisch alle Patient:innen unter einer unbeabsichtigten Wirkung“, betont der Nephrologe und Geriater Gerhard Wirnsberger von der Universitätsklinik für Innere Medizin am Grazer Klinikum. Zudem kommt es bei Multimedikation auch zu Verschreibungskaskaden, wie Ingrid Friedl, Leiterin der Anstaltsapotheke am LKH Graz II, erklärt: „Nicht immer werden die Symptome unerwünschter Arzneimittelereignisse als solche erkannt. Treten bei alten Menschen Schwindel, Müdigkeit, Verwirrtheit oder Unruhezustände auf, werden sie oft als eigenständiges Symptom wahrgenommen und es wird ein weiteres Medikament dagegen verschrieben.“ Um Ärztinnen und Ärzte für die Problematik zu sensibilisieren, gestalten Ingrid Friedl und Gerhard Wirnsberger miteinander ein „Seminar imMärz“ zum Thema Multimedikation bei älteren Patient:innen. Was die Alten besonders macht Polypharmazie ist – unabhängig von ihrer Definition – bei alten Menschen sehr häufig. Das Risiko für unerwünschte Ereignisse korreliert nicht nur mit der Anzahl der Erkrankungen, sondern ist auch die Folge einer geänderten Physiologie im Alter. Zehn Prozent der Bevölkerung konsumieren rund 40 Prozent der rezeptpflichtigen Arzneimittelverschreibungen und je nach Studie schlucken 75 bis 95 Prozent der Patient:innen ab 65 mindestens fünf Präparate. In der Regel wird in Zulassungsstudien die Pharmakokinetik eines Präparates bei jüngeren Patient:innen erhoben. „Nur bei vier von wohl tausend Studien zu Antihypertensiva sind bewusst Patient:innen ab 65 inkludiert worden“, berichtet Wirnsberger. „Verschrieben werden diese Präparate überwiegend Polypharmazie: „Ab neun Verschreibungen leiden alle“ Mit steigender Lebenserwartung nehmen die Jahre in Multimorbidität zu. Durch entsprechende Medikamenten-Verschreibungen wächst das Risiko für Wechsel- und Nebenwirkungen. Mit ihrem „Seminar im März“ wollen die Pharmazeutin Ingrid Friedl und der Geriater Gerhard Wirnsberger Awareness für die Problematik schaffen. in dieser Altersgruppe.“ Sämt l iche pharmakokinetischen Prozesse verändern sich mit zunehmendem Alter: Durch verminderte Magenmotilität und Darmperistaltik, aber auch durch verringerte Magensäureproduktion verändert sich die Absorption. Die Verteilung des Präparates variiert je nach Körperzusammensetzung und wird durch einen höheren Körperfettanteil bei gleichzeitiger Verminderung des Körperwassers im Alter stark beeinflusst. Die reduzierte Leberdurchblutung in späteren Lebensjahren, aber auch die eingeschränkte Nierenfunktion führen zu verändertem Abbau der Wirkstoffe und zu unbeabsichtigter Kumulation durch eine reduzierte Ausscheidung. Speziell beim Einsatz von stark eiweißgebundenen Medikamenten, die rund 80 Prozent der Verschreibungen ausmachen, sollte man besondere Vorsicht walten lassen, da viele ältere Menschen an einer Eiweißmalnutrition leiden, wodurch das Risiko für eine Sarkopenie und letztendlich für Stürze steigt. Insbesondere Protonenpumpenhemmer, die meistens als „Magenschutz“ verschrieben werden, haben einen negativen Einfluss auf die Eiweißverdauung. Auch die häufig verschriebenen Thiaziddiuretika erhöhen signifikant über eine sekundäre Hyponatriämie das Sturz- und damit das Sterberisiko. Steigendes Risiko Aufgrund der erhöhten WahrÆrzte Steiermark || 03|2023 21 Foto: Adobe Stock
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