Ærzte Steiermark || 10|2023 17 Essay tensität. Selten wird ein letztes unfehlbares Mittel angewendet: die Opferung des Regenmachers durch die Gemeinde. Grausame irrationale Rituale. Bei näherer Betrachtung erweisen sie sich als höchst funktional. Das Wetter war kein unausweichliches Schicksal mehr, es wurde ja vom Regenmacher beeinflusst. Wenn er versagte, dann konnte man sein Geschick in die eigenen Hände nehmen und ihn opfern. Der Fokus unserer gemeinsamen Geschichte liegt eindeutig im Bereich Digitalisierung und Organisation. Weil e-Health und die organisatorische Integration zentrale Faktoren für die zukünftige gelingende Entwicklung des Gesundheitssystems sind. Nachdem wir beide an der TU Graz studiert haben, konnte man uns eine gewisse Affinität zur Mathematik – insbesondere zur Spieltheorie – nicht absprechen. Kontrollfrage: Warum ist es auf Herrentoiletten so schmutzig? Näher rangehen wäre eine Lösung, aber was habe ich davon, wenn sich mein Vorbenutzer nicht daran gehalten hat? So wählt man als Individuum eine Strategie, die man kollektiv nie eingeschlagen hätte. Auch diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch unser Berufsleben. John Maynard Keynes, der britische Nationalökonom, sagte: Die Schwierigkeit liegt weniger in den neuen Gedanken als in der Befreiung von den alten. Das Dauergerede über die destruktive digitale Transformation erzeugt eine optische Täuschung: Verbal sind wir weit vorne, faktisch agieren wir am Pflock des Augenblicks. Digitalisierung und Innovation sind das Leben, das wir noch vor uns haben, das Erkennen des Unterschieds. Das grundlegende Neue hat in einer Organisationskultur erst dann eine Chance auf Verwirklichung, wenn auch die verdeckten Regeln einer Organisation durch andere Regeln ersetzt worden sind. Peter Drucker, US-Ökonom österreichischer Herkunft, sagte voller Überzeugung: „Kultur frisst Strategie zum Frühstück.“ Werner und ich haben daher immer wieder und überall die klassische Taxifrage gestellt: Wo soll‘s denn hingehen? Und unsere Botschaft dazu lautete: Digitalisierung ist keine aufziehende Sturmfront, die wieder abzieht, sondern eine äußerst komplexe Veränderung, die gekommen ist, um zu bleiben. Die Komplexität der Digitalisierung verändert unser Leben und die Rahmenbedingungen der politischen und organisationalen Systeme. Aber nicht nur da kommt es zu spürbaren Veränderungen. Veränderungen machen offensichtlich vor niemandem halt, auch Optimismus hilft nicht gegen Naturgesetze. Veränderungen sind der Gegensatz der Normalität, die Alternative zur Regel. Innovation ist eine Entscheidung, eine Wahl zwischen Neustart und Neuanfang, für den wir beide eingetreten sind. Die Digitalisierung war auch schon in den 70er-, 80er-Jahren erfunden. Digitalisierung ist ein kultureller Paradigmenwechsel mit Wirkung auf Arbeitskultur, Organisationsformen, Bildungs- und Führungskultur. Digitalisierung ist eine politische Debatte, wir sind imReich der Politik und nicht der Technik und Notwendigkeit. Politik ist keine Menüleiste. (…) Wenn Kooperationen durch politische Entscheidungsträger eingeleitet werden, mit demHauptziel ökonomische Vorteile zu lukrieren, bringt das einige Fallstricke, die auch Schaden anrichten können. Und aus Schaden klug werden, sollte übergehen in klug sein, bevor der Schaden eintritt. Das Synergieargument ist sachlich unbestechlich, und daher findet meistens kein politischer kommunikativer Aushandlungsprozess statt, der der Entscheidung vorgelagert ist. Daraus folgt: Begrenzte Veränderungsenergie und die Erkenntnis, dass es keine isolierten Prozesse gibt. Das heißt: Wir schlagen uns auch mit kollateralen Effekten herum und ver- und bezweifeln das Zauberwort Kooperation, das übrigens auch kein Alleskleber ist. Werner war manchmal ein bisschen Hamlet: Die Welt ist aus den Fugen und ich muss sie einrenken. Und Werner war ein Prozessler, einer für den im positiven Sinne galt: Wer einen Hammer hat, sieht nur noch Nägel. Durch bzw. in seinem Studium hat er sich intensiv mit Prozessen, Prozessanalytik und Prozessevaluierung auseinander gesetzt. Sein Prozesscredo lautete: Wir steuern Zustände und leider keine Prozesse. Wir denken in Raum- und nicht in Zeitgestalten. Wie heißt es heute in der politischen Sprache? e-Health ist keine Raketenwissenschaft. Damit Sie ein wenig Einblick nehmen können, wie die Entwicklung eines e-Health-Projektes abläuft, eine etwas überdehnte Beispielsgeschichte: Der schwedische König Gustav II. Adolf bestellte am 16. Jänner 1625 vier neue Kriegsschiffe. Im Herbst 1625 änderte sich die Lage. Der König hatte gerade zehn Schiffe im Krieg verloren, brauchte schnell Ersatz. So befahl er, zwei Schiffe zu bauen. Der König bestellte rund fünf Monate nach Baubeginn insgesamt 72 Kanonen für das Schiff. Jede davon wog 1,5 Tonnen. Es waren so viele, dass sie nicht wie üblich alle ins Unterdeck passten, sodass Schiffsbaumeister Hybertsson ein zweites Kanonendeck darüber bauen musste. Er hatte solche Schiffe noch nie gebaut. Aber das Machtgefälle zwischen dem König und dem Schiffsbaumeister war zu groß. Verzögerungen hätten Hybertssons Kopf kosten können. Also wurde weitergearbeitet, ein Jahr vor Vollendung des Schiffs starb der Baumeister. Sein Assistent führte das Projekt zu Ende. Der König wurde ungeduldig und böse. Die Vasa sollte schnell in See stechen. Das Schiff ging am 10. August 1628 auf Jungfernfahrt. 69 Meter lang, 12 Meter breit, einGroßmast von 52Meter. Der Admiral hatte als Ballast so viele Steine wie möglich in den Rumpf geladen, um das Schiff zu stabilisieren. Trotzdem war es topplastig. Und beim ersten stärkeren Windstoß neigte sich das Schiff, Wasser lief in die offenen Kanonenluken und die Fahrt dauerte keine 20 Minuten. Das größte Kriegsschiff seiner Zeit kam gerade einmal 1.300 Meter weit. Der König tobte, und alle gaben sich gegenseitig die Schuld. Das gibt es halt nicht nur zu unserer Zeit. Das große Ziel, einen relevanten Mehrwert für alles zu erzeugen, konnte bei unseren e-Health-Projekten nicht wirklich in unserem Sinne geschaffen werden. Nicht nur die Tyrannei der kleinen Zahlen schuf für die beteiligten Ärzt:innen keine positive Nutzen-Bilanz. Das heißt, erwarteter Aufwand plus zusätzlicher Mehraufwand gegenüber erwartetem Nutzen. Und da war er wieder, der fehlende organisatorische und kulturelle Teil der Digitalisierung. In diesem Fall keine Einbindung in den Ordinationsalltag. Technik und Gesellschaft sind viel weiter als die Fähigkeit unserer Organisationen, sich den Veränderungen der Digitalisierung anzupassen. Digitalisierung verändert grundlegend bestehende Geschäftsmodelle, es reicht nicht aus, ein neues Produkt im Sinne einer technischen Lösung zu implementieren. Digitalisierung braucht Neugier und Entschlossenheit. Werner Leodolter Kurt Völkl
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