AERZTE Steiermark | November 2023

18 Ærzte Steiermark || 11|2023 Foto: Shutterstock Ein „Second victim“ ist eine Person, die indirekt von einem traumatischen Ereignis betroffen ist. Stirbt ein/e Patient:im unerwarteterweise, kommt es zu aggressivem Verhalten von Patient:innen oder deren Angehörigen oder misslingt eine Behandlung (fast), betrifft das auch den behandelnden Arzt oder die Ärztin. Nicht selten leiden die Ärzt:innen in Folge eines derartigen Ereignisses unter Selbstzweifeln, Schuldgefühlen oder emotionaler Erschöpfung. „Nicht selten“ bedeutet, dass laut einer kürzlich durchgeführten Befragung der österreichischen Kinder- und Jugendfachärzt:innen 89 Prozent sich selbst als Second Victim sehen (davon 74 Prozent mit mehrmaliger Erfahrung). Damit liegen die Werte deutlich über den Ergebnissen ähnlicher Befragungen im Bereich der Pflege (60 Prozent) oder unter angehenden Fachärzt:innen für Innere Medizin (59 Prozent). Eine Erklärung für die hohe Prävalenz könnten die organisator ischen Rahmenbedingungen sein: Im Setting der Niederlassung (und in diesem bef inden sich Kinderärzt:innen eher als angehende Fachärzt:innen; in dieser Befragung waren es mehr als 40 Prozent) geben die Ärzt:innen häufiger an, Studie bereits Erfahrungen als Second Victim gemacht zu haben. Sie haben eines der wichtigsten CopingWerkzeuge nicht so direkt an der Hand wie ihre Beschäftigten im Spitalsbereich: den kol legialen Austausch. 414 haben teilgenommen Initiiert wurde die bundesweite anonyme Querschnittstudie vom Verein The Second Victim Association Austria, fachl ich begleitet durch das Wiesbaden Institute for Healthcare Economics and Patient Safety (WiHelP), und in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde ÖGKJ durchgeführt. Zur Online-Befragung aufgerufen wurden die rund 2100 Mitglieder der ÖGKJ ab Mitte März 2023; die Beteiligung lag bei knapp 20 Prozent (414 Pädiater:innen). Auch die eher geringe Beteiligung könnte die hohe Prävalenz erklären, wenn man annimmt, dass eher jene den Fragebogen beantwortet haben, die sich betroffen fühlen. 70 Prozent der Antwortenden waren Frauen, mit einem Altersgipfel von 41 bis 50 Jahren und mehr als 15 Jahren Berufserfahrung. Spannend dabei: Rund 73 Prozent der Teilnehmenden hatten den Begriff „Second victim (SV)“ davor noch nicht gekannt. Dem im deutschsprachigen Raum bereits mehrfach eingesetzten Fragebogen wurden Fragen hinzugefügt, inwieweit die SV-Erfahrung mit der COVID-Pandemie assoziiert war und inwieweit die Befragten rechtliche Konsequenzen fürchten. Zudem wurde die Big Five der Persönl ichkeitspsychologie erhoben: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus, Extraversion, Ver trägl ichkeit. Unerwarteter Tod stresst Die häufigsten Schlüsselerlebnisse, welche die befragten Kinderärzt:innen zu indirekten Opfern gemacht hatten, waren der unerwartete Tod oder Suizid von Patient:innen (33 Prozent der Nennungen), gefolgt vom aggressiven Verhalten der Patient:innen oder ihrer Angehörigen (23 %) und Beinahe-Fehlern (19 %). Die Pandemie spielte bei ihren Erlebnissen eine untergeordnete Rolle. Pädiater:innen sind häufig indirekte Opfer Der Verein The Second Victim Association Austria befragte die österreichischen Kinder- und Jugendfachärzt:innen zu ihren Erfahrungen mit traumatischen Erlebnissen. Das Ergebnis: Fast neun von zehn Teilnehmenden sehen sich selbst als sekundäre Opfer, besonders die Niedergelassenen.

RkJQdWJsaXNoZXIy NDYwNjU=