AERZTE Steiermark | März 2024

niedergelassene Ärztinnen und ärzte Ærzte Steiermark || 03|2024 45 Der ganz normale Praxiswahnsinn praktisch täglich Von Ulrike Stelzl Mein Computer und ich Mit leerem Hirn sitze ich vorm Computer in der Rezeption und starre auf den blauen Bildschirm mit dem hypnotisierenden Ringerl aus wandernden weißen Punkten. Meine Mitarbeiter habe ich schon nach Hause geschickt und mir gedacht, das Update mach ich noch schnell und dann darf ich auch endlich heim nach einem langen, harten Tag. Aber mein Server scheint mich zu lieben und möchte mich offenbar gerne noch ein wenig um sich haben. Als endlich Windows vorbereitet, installiert und wieder funktionsfähig ist bin ich fast eingeschlafen. Ich starte die Praxis-EDV, checke die E-card-Verbindung und bin zufrieden. Alles da, alles funktionsfähig. Also darf ich jetzt auch endlich raus aus der Ordi. Ich will den Computer runterfahren und stelle fest: Er will aber nicht. Und nicht nur runterfahren geht nicht, die ganze Fußzeile weigert sich beharrlich, beim Anklicken irgendetwas zu öffnen oder auszuführen. Tja, mein Süßer. Ich hab da noch einen Trumpf in der Hand: Ich schalte Dich jetzt manuell aus. Ein Knopfdruck. Und tschüss. Während ich da so in den Bildschirm gestarrt habe, bin ich draufgekommen, dass wir so einiges gemeinsam haben, mein PC und ich. Er tut nicht immer, was er tun soll, und ich will auch nicht mehr ständig perfekt funktionieren müssen. Weil es einfach zu viel und zu lang und oft zu irre ist. Dann würde ich auch gerne mal abstürzen und mich weigern wieder hoch zu fahren. Oder ich würde gerne manchmal stur im „Nix geht mehr“-Modus verweilen, bis ich geduldigen und freundlichen Support bekomme. Oder ich hätte gelegentlich auch gerne die Zusicherung, alles zu bekommen – egal was es kostet –, nur damit ich wieder gut und gerne funktioniere. Und manchmal, wenn ich in den letzten Wochen meinen Mann täglich mindestens einmal ängstlich frage: „Du Schatz, bist du sicher, dass ich nicht langsam dement werde?“, und er mittlerweile leicht ungeduldig antwortet: „Nein, tust du nicht. Du hast nur einfach zu viel um die Ohren.“ Und das stimmt ja auch. In meinem Hirn tummeln sich Patienten, Familie, Einkaufslisten, Arzttermine, zu erledigende Telefonate, Kolumnen, Tierarztchecks und Wurmtabletten. Alles gleichzeitig – und alles ja nicht zu vergessen. Ich bin wie ein Computer, auf dem ständig mindestens ein Dutzend Programme gleichzeitig geöffnet sind und laufen. Und da beneide ich ihn jetzt, meinen PC. Er packt das. Bei mir droht demnächst System Error. Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für Allgemeinmedizin. Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc! 2 Der ganz normale Praxiswahnsinn“ (erhältlich bei Amazon) Fotos: Adobe Stock, Stelzl Psychiater:innen und noch mehr Kinderpsychiater:innen. „1.700 fertige Psychiater, davon gerade mal 159 mit allen Kassen, stehen schon jetzt fast 12.000 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gegenüber“, so Bayer. „Standards müssen auch für Psychotherapie angelegt werden“ „In § 6 (2) 1 soll bestimmt werden, dass … psychotherapeutische Versorgung als Krankenbehandlung bei akuten und chronischen Krankheitszuständen…‘ Teil des psychotherapeutischen Berufs sei“, hält Johannes Wancata, em. Professor für Sozialpsychiatrie der MedUni Wien und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie (ÖGSP), fest. Das wecke den Eindruck, dass Psychotherapie für alle Formen und Schweregrade aller psychischen Erkrankungen geeignet und indiziert sei. „Internationale Leitlinien beschreiben auf Basis wissenschaftlicher Studien, dass ausgewählte psychotherapeutische Interventionen bei bestimmten psychischen Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielen, bei anderen psychischen Erkrankungen aber nur eine geringere Bedeutung haben“, so Wancata. Die genannten Leitlinien würden auch darstellen, dass bestimmte Krankheitsstadien und Schweregrade eines Krankheitsbildes beeinflussen, welche Form der Behandlung jeweils indiziert ist. „Hintergrund für diese differenzierte internationale Beurteilung ist, dass keine einzige Behandlungsform (auch nicht Psychotherapie) bei allen psychischen Krankheiten, bei allen Krankheitsstadien und bei allen Schweregraden einen Wirksamkeitsnachweis erbringen kann“, sagt der Experte. Enorme Verschwendung von Ressourcen Die praktische Ausbildung „hat in psychotherapeutischen Versorgungseinrichtungen, in psychotherapeutischen Lehrpraxen sowie im niedergelassenen Bereich zu erfolgen“, heißt es in Paragraph 14 des Gesetzesentwur fes. Dazu kommentiert Christa Rados, President elect der Österreichischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (ÖGAPP): „Wenn Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten psychisch kranke Menschen behandeln sollen, ist es nötig, dass sie über die dafür notwendigen psychopathologischen, medizinisch-diagnostischen und therapeutischen Kenntnisse verfügen. Dies ist auch unumgänglich, um die Grenzen der Psychotherapie in der Krankenbehandlung erkennen zu können.“ In rein psychotherapeutisch ausgerichteten Behandlungseinrichtungen und in psychotherapeutischen Praxen würden allerdings meist nur ausgewäh lte Krankheit sbilder und kaum akut Kranke behandelt, sodass zumindest ein Teil der Ausbildung verpflichtend in Einrichtungen der psychiatrischen Krankenbehandlung stattfinden sollte. „Dies ist jedoch im vorliegenden Entwurf nicht vorgesehen, wodurch eine Ausbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten an der Medizin und speziell an der Psychiatrie vorbei ermöglicht wird. Das würde sich mit Sicherheit zum Nachteil für viele psychisch erkrankte Menschen auswirken“, ist Rados überzeugt.

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