AERZTE Steiermark | 10/2024

wirtschaft&Erfolg Walter Hoch Sie sehen etwas klobig aus, spielen aber die feinsten Stückerl der virtuellen Realität – die VR-Brillen, auch HeadMounted Displays genannt. Durch sie können sich zum einen Patient:innen, die unter Stress stehen oder eine schmerzvolle Behandlung über sich ergehen lassen müssen, sofort in eine Entspannungswelt versetzen lassen. Der Patient sieht ein 360-Grad-Bild bzw. -Video, genauer ein interaktives 3-DBild bzw. -Video und sonst nichts, weder einen Rahmen noch Teile seiner realen Umgebung. Idyllische Bilder lenken von Angst ab Allein eine Lieblingsumgebung ist wahrzunehmen, etwa ein sonniger Küstenstreifen am Meer mit sachten Wellen, Schwimmen mit Delphinen oder durch einen lichtdurchtränkten Buchenwald mit vielen grünen Bäumen spazieren oder darüber fliegen. Die persönlichen Erfahrungen des Patienten werden aktiviert, desgleichen seine Hormone. Menschen werden temporär an einen anderen Ort gebracht ... Der Patient zappelt dadurch nicht herum, hat ein reduMit VR-Brillen neue Dimensionen nützen ziertes Schmerzempfinden und ist während unangenehmer Behandlungen, bei Infusionen oder Spritzen sowie bei Operationen unter Lokalanästhesie, beruhigt und abgelenkt. So kann der Arzt/die Ärztin kann ihn/sie ohne Zwischengeräusche bzw. stressfreier behandeln. Der Patient wiederum empfindet subjektiv eine Verkürzung der Behandlungszeit, genießt im optimalen Fall sogar eine Tiefenentspannung. Besonders Kinder sind fasziniert von der neuen Bilderwelt. Therapien wirken stärker Zum anderen fand die Virtuelle Realität direkt Eingang in die Medizin über den Begriff Virtuelle Rehabilitation. Dieser Begriff wurde 2002 auf dem ersten Workshop zum Thema „Virtual Reality Rehabilitation (Mental Health, Neurological, Physical, Vocational) VRMHR 2002“ in Lausanne geprägt. Entsprechende Forschung wird seither in den Fachgebieten Medizin, Therapie, Robotik, Neurologie, Informatik darunter zusammengefasst. Gegenüber einer herkömmlichen Therapie werden bei der Virtuellen Rehabilitation einige Mehrwerte gefunden: eine gesteigerte Motivation der Patienten zur Mitarbeit, die automatische Aufzeichnung und Auswertung der Therapiedaten, die Möglichkeit zur Heim- bzw. Teletherapie räumlich getrennt vom Therapeuten. Durch den Einsatz von VR-Brillen entstanden viele Projekte aus Psychologie und Psychotherapie, die sich mit dem Bereich der Expositionstherapie beschäftigten. Statt Lieblingsplätzen werden nun therapeutische Übungen, ein Krankenhaussetting oder menschliche Organe eingeblendet. Bei Herzoperationen wird etwa visualisiert, was der Patient mit seinem gesunden Herzen wieder machen kann. Booster für medizinische Ausbildungen Eine noch größere Bedeutung wird den VR-Brillen in der medizinischen Ausbildung prophezeit. Verantwortlich dafür ist u. a., dass laut WHO „bis zum Jahr 2030 weltweit mehr als 40 Millionen neue Ärzte, Krankenpfleger, medizinisches Fachpersonal und andere Fachkräfte im Gesundheitswesen benötigt (werden)“, so www. healthcare-digital.de/virtualreality-in-der-medizinischenausbildung. Das entspricht einer Verdoppelung des bisherigen medizinischen Personals. Die große Anzahl wird das herkömmliche Ausbildungssystem mit vollen Vorlesungssälen an die Grenze seiner Kapazitäten bringen. Hier können VR-Trainingssimulationen die medizinische Ausbildung verbessern und vorantreiben. Medizinstudierende können durch die Simulation in der VR-Brille praktische Erfahrung mit seltenen Krankheiten bündeln. Der Avatar kann jedes beliebige Aussehen annehmen und Körpersprache, Gestik und Texte verwenden, um zu kommunizieren. Befürworter von VR-Brillen können in lerntheoretischer 32 Ærzte Steiermark || 10|2024 VR-Brillen sind auf dem Weg, die medizinische Ausbildung und Forschung sowie das Setting von Behandlungen grenzenlos zu erweitern. Trotz technologischer Euphorie ist auch Vorsicht geboten. „Ein Gefühl der Präsenz entsteht, wodurch das Erlernte nachhaltiger verinnerlicht wird als durch bloßes Lesen oder Zuschauen.“

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