AERZTE Steiermark Jänner 2024

geltend zu machen. Da gibt es denn freilich viele Missverständnisse. Es kommt hinzu, dass das Prinzip der persönlichen Autorität durch unsere modernen politischen und sozialen Wandlungen einen argen Stoß erlitten hat. Auch den Arzt will man nicht mehr als souverän in seiner Stellung zum Publikum gelten lassen; man fragt erst so und so viele Verwandte und Bekannte, ehe man seine Anordnungen befolgt. Früher wurde ihm noch eine Ausdrucksform seiner autoritativen Stellung konzediert: die Grobheit. Doch die wirkt jetzt nur noch hie und da bei der Landbevölkerung; in der Stadt soll sich der Arzt höflich, urban benehmen. – In Summa: Man will, beeinflusst durch den Zeitgeist, überhaupt das persönliche autoritative Prinzip im Arzt nicht mehr anerkennen. Dass einige wenige – meist wissenschaftlich und sozial entgleiste – Ärzte in größeren Städten eine unanständige Reklame betreiben und sich auch sonst nicht gentlemanlike benehmen, hat damit meiner Ansicht nach nichts zu tun. Es wäre ein Wunder, wenn in einer gewissen Summe von Menschen, welche zufällig dem gleichen Stande angehören, sich nicht auch minderwertige Subjekte vorfänden. Sie aus der Gemeinschaft des ärztlichen Standes auszuschließen, wird auch eine der Aufgaben der Ärztekammern sein. Wenn ich nun auch eine gewisse Verkleinerung der persönlichen autoritativen Wirkungsweise der Ärzte zugegeben habe, so gilt dies eigentlich doch nur ganz in abstracto. Im Einzelfalle stellt sich das – wenigstens bei unserer lebhaft warm- und weichherzigen Bevölkerung – ganz anders heraus, und zwar wiederum zu Ungunsten der Ärzte. ‚Raten Sie mir wie einem Freunde, lieber Doktor!‘ ‚Ich komme zu Ihnen wie zu einem Vater.‘ ,Nur Ihnen vertraue ich; wenn Sie mir nicht helfen, bin ich verloren!‘ Das hört der Arzt immer und immer wieder. Die Angst und die Not machen den modern selbstbewusstesten Menschen mit aller seiner naturwissenschaftlichen Bildung und mit dem dicksten Majoritäts-Ideal vorm Kopf doch wieder zum Autoritätsgläubigen. Der kranke Mensch will menschlich an seinen Arzt glauben; er will bei uns zu Lande wenigstens nicht die abstrakte medizinische Wissenschaft zu Rate ziehen; er will in das Auge des Arztes blicken, er will seine sympathische Stimme hören, er will seinen warmen Händedruck empfinden. Darin hat sich bei uns nichts geändert und wird sich auch wohl nichts ändern! Dies führt mich nun, so sonderbar Ihnen dieser Übergang erscheinen mag, auf die materielle Seite des Verhältnisses zwischen Arzt und Publikum, wie es bei uns zurzeit besteht. Ich bemerke hier gleich ausdrücklich, dass ich in Folgendem nur von den Stadt- und Landärzten spreche, welche von ihrer Praxis leben müssen, nicht von den vom Staat angestellten Ärzten, nicht von den Universitätsprofessoren, welche dadurch, dass sie vom Staate gewissermaßen punziert sind, eine besonders günstige Ausnahmestellung haben. Für den praktischen Arzt ist das – ich möchte fast sagen – sentimentale Verhältniss zu seiner Clientel ein gewagtes Hemmnis für seinen Erwerb. Auch ein Advokat kann zu einigen seiner Klienten in ein besonderes freundschaftliches Verhältnis kommen; doch das wird ihn nicht leicht hindern, über jede kürzere oder längere Besprechung, über jeden Besuch, den er im Interesse seines Der kranke Mensch will menschlich an seinen Arzt glauben; er will bei uns zu Lande wenigstens nicht die abstrakte medizinische Wissenschaft zu Rate ziehen; er will in das Auge des Arztes blicken, er will seine sympathische Stimme hören, er will seinen warmen Händedruck empfinden. Der Kranke kommt ja zum Arzt, wie zu einem Freunde, wie zu einem Vater, zu einem Priester der Humanität. Das Publikum versucht vielfach, sich durch die Lektüre allerlei populärmedizinischer Bücher selbst ein eigenes Urteil zu bilden, und glaubt sich berechtigt, dies dem Arzt gegenüber geltend zu machen. Cover 16 Ærzte Steiermark || 01|2025

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