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Ærzte

Steiermark

 || 05|2016

Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Foto: Furgler, ÖAAB

Der ganz normale Praxiswahnsinn

Was soll ich tun?

Vor mir sitzt Herr S. Er ist Mitte Sechzig und der Vater ei-

ner meiner besten Freundinnen. Was die Sache auch nicht

unbedingt erleichtert. Immer wenn es um Familie, Freunde

und Bekannte geht, ist für mich der Druck besonders groß.

Ich laufe ja sonst auch nicht durch die Gegend und verpfu-

sche die Leute, aber in solchen Fällen ist die Latte extrem

hoch gesteckt und die Versagenstoleranz mir selbst gegen-

über gleich null. Normalerweise geht das ja auch gut. In der

Familie gibt es immer einen gewissen Prozentsatz Unthera-

pierbarer, die alles besser wissen. Aber ansonsten scheinen

sich Freunde und Bekannte auch besonders anzustrengen

und sind extracompliant. Niemand möchte sich eine Blöße

geben. Alles funktioniert wunderbar.

Und dann kamHerr S. Beim Erstkontakt erhobene Befunde

umfassten einen BMI von 32, mehr Schachteln Zigaretten

in einem Tag als ich in meiner Studentenzeit im ganzen

Semester hatte und Blutfette für fünf Personen. Ich hatte

schon immer mal nach dem Zentrifugieren fettgetrübtes

Serum gesehen. Nie jedoch war beim Schleudern Butter

im Röhrchen entstanden. Da die Triglyceride an die 2000

gingen, habe ich ihn auch panisch sofort in eine Stoffwech-

selambulanz geschickt.

Im Laufe der letzten zwei Jahre habe ich Ernährungsbera-

tungen gemacht, Raucherberatung – mal als guter Doktor

(einfühlsam), mal als böser Doktor (alle grauslichen Folgen

aufzeigend und mit barscher Stimme). Ich habe ihn aufs

Ergometer setzen lassen und zum Koronar CT geschickt.

Heute erscheint er wieder zur Kontrolluntersuchung.

Tschick idem, Gewicht idem, Laborwerte habe ich noch kei-

ne, das Serum war aber erstmals in unserer gemeinsamen

Geschichte durchsichtig. Trotzdem komme ich wieder mit

dem Lifestyle-Sprüchlein und dem armen Herzen. Worauf

er meint: „Voriges Jahr haben wir das eh alles untersuchen

lassen und alles war gut.“ „Gar nix war gut“ erwidere ich

schrill. „Die rechte Koronararterie ist zu 70 Prozent zu und

in der linken ist eine hochgradige Verengung. Gar nix ist

gut, wenn das so weiter geht, macht das Herz bald seinen

letzten Rülpser!“ Beim Verabschieden merke ich, dass er´s

schon wieder verdrängt hat. Hoffentlich mag mich meine

Freundin trotzdem noch!

Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für

Allgemeinmedizin.

Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc!

Anekdoten aus der Sprechstunde“ (Goldegg Verlag

2014).

praktisch

täglich

Von Ulrike Stelzl

641 der mehr als 1.200 Wahl-

ärztinnen und Wahlärzte in

der Steiermark üben diese

Tätigkeit hauptberuflich aus.

Sie haben eine weitere Be-

schäftigung von höchstens

15 Wochenstunden. Was be-

deutet: Gemeinsam mit den

983 §-2-Kassenärztinnen und

-ärzten sind sie für die Grund-

versorgung der Bevölkerung

zuständig.

Zu einem solchen Wahlarzt

geht ein Mensch. Die Hono-

rarnote weist 100 Euro aus.

Die Kassenleistungen sind ge-

nau nach Positionsnummern

dargestellt, verlangt wird nur

der Kassentarif. Nun würden

die meisten meinen, dass es

für diese 100 Euro eine Rück-

erstattung von 80 Prozent,

also 80 Euro, gibt. Was aber

keineswegs der Fall sein muss,

wie das Faksimile rechts zeigt.

Im diesem Fall, der noch

nicht lange zurückliegt, be-

trug die „Erstattung“ 1 Euro

und 30 Cent. Womit die Kos­

ten für das Porto und das

Kuvert nur notdürftig gedeckt

sind – vom Aufwand, den ein

Versicherter auf sich nehmen

muss, gar nicht zu reden.

Bilanz: Billiger wäre es ge-

kommen, diese Rechnung gar

nicht zur Rückerstattung ein-

zureichen. Dem Versicherten

wohlgemerkt, allerdings auch

die Kasse, die ja auch einen

Antwortbrief schreibt, der in

Summe ebenfalls mehr kostet

als die 1 Euro 30 – denn auch

in der Kasse müssen Men-

schen arbeiten, damit so ein

Brief hinausgehen kann. Viele

Versicherte lassen angesichts

solcher Rückersätze auch die

Finger vom Rückerstattungs-

antrag, rund ein Viertel der

medizinischen Leistungen in

Österreich wird laut OECD-

Statistik „out of the pocket“,

also privat bezahlt.

Aber ist das gerecht? Nein. Es

ist aber ein ziemlich gutes

Geschäft für die Versicherung.

Ist diese Rechnungs-Erfah-

rung ein Einzelfall? Extrem

vielleicht, aber kein Einzelfall.

Ein paar Beispiele: Ein „ärzt-

liches Gespräch“ (Ausführ-

liche diagnostisch-therapeu-

Unterschriften-Akt

Wahlarztpatientinnen und -patienten

bekom-

men in jedem Fall 80 Prozent des Kassentarifs.

Das glauben die meisten. Es stimmt nur nicht. Die

Initiative

GePad.at

(Gerechtigkeit für Patienten

durchsetzen) soll das endlich ändern.

GePad steht für

„Gerechtigkeit

für Patienten

durchsetzen“.

Infos gibt es

auch unter der

Internet-Adresse

www.gepad.at

.