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ÆRZTE
Steiermark
|| 10|2015
NIEDERGELASSENE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE
Im August 2015 war dann
plötzlich alles anders: Das
Ge sundheit smi n ister ium
machte eine Punktation („Po-
litische Eckpunkte“) publik,
die – teils verklausuliert –
weit hinter den Konsens 2014
zurückfällt. Insbesondere
werden die Gesamtverträge
dadurch ad absurdum ge-
führt, dass bei Nichteinigung
bzw. Kündigung die Sozi-
alversicherungen das Recht
erhalten, einseitig einen Ab-
schluss zu tätigen. Das bedeu-
tet: Wenn Arbeitgeber- und
Arbeitnehmervertretung sich
nicht auf einen Kollektiv-
vertrag einigen, können die
Arbeitgeber einseitig einen
dekretieren. Der Einzelne ist
schutzlos. „Aufgrund des öf-
fentlichen Interesses“ müsse
das so sein, lautet die Begrün-
dung.
Die Bundeskurie Niederge-
lassene Ärzte reagierte ent-
sprechend empört auf diesen
Schritt, der letztlich einen
Wortbruch darstellt. Als letz-
te Konsequenz wurde auch
die Möglichkeit einer öster-
reichweiten Kündigung aller
Gesamtverträge in den Raum
gestellt. Als der Bundesob-
mann der Kurie Niederge-
lassene Ärzte, ÖÄK-Vizeprä-
sident Johannes Steinhart,
diese Möglichkeit in einem
Hintergrundgespräch vor
Journalisten erläuterte, folgte
eine Eilt-Meldung der Aus-
tria Presse Agentur, die aus
der Möglichkeit eine Gewiss-
heit machte und suggerierte,
dass diese Vertragskündi-
gung unmittelbar bevorstehe.
Gesundheitspolitikerinnen
und -politiker sowie Vertre-
terinnen und Vertreter der
Krankenkassen zogen da-
rauf hin unmittelbar gegen
Ärzteschaft und Ärztekam-
mer vom Leder. Exemplarisch
der Titel einer Presseaussen-
dung der steirischen GKK-
Obfrau Verena Nussbaum:
„Ärztekammer degradiert sich
zu Verhinderungsverein!“
Angesichts dieser geballten
Polemiken sah sich der Leiter
der Abteilung für Allgemein-
und Familienmedizin an der
Medizinischen Universität
Wien, Univ.-Prof. Manfred
Maier (der mit der Ärzte-
kammer nichts zu tun hat),
genötigt, in einem offenen
Brief Sachlichkeit einzufor-
dern: „Es ist schwer nachvoll-
ziehbar, warum Teilinforma-
tionen bzw. Eckpunkte eines
in Ausarbeitung befindlichen
Gesetzes vorgestellt werden
und dieser Ankündigung ein
sofortiger Protest folgt, ohne
dass der ausgearbeitete Ge-
setzesentwurf auf dem Tisch
liegt, interpretiert und disku-
tiert werden kann.
Es ist auch nicht nachvoll-
ziehbar, warum es dieses Ge-
setz zum jetzigen Zeitpunkt
überhaupt geben soll, zumal
die Implementierung der Pri-
mary Health Care Zentren an
Pilotstandorten erfolgt und
evaluiert werden muss. Wa-
rum wartet man nicht die
Ergebnisse der Evaluierung
ab, um daraus für die Erstel-
lung des Gesetzes auf Daten
basierende Schlüsse ziehen
zu können? Das international
anerkannte, evidenzbasierte
Modell der Primary Health
Care Teams und das darauf
auf bauende Konsenspapier
der Bundeszielsteuerungs-
kommission vom Juni 2014
wird vielfach missverständ-
lich und beliebig zugunsten
der eigenen Interessen inter-
pretiert. Die Primärversor-
gung und damit die medi-
zinische Grundversorgung
durch Ärzte für Allgemein-
medizin soll aufgewertet und
gestärkt werden, schenkt man
den mittlerweile jahrzehnte-
langen Ankündigungen und
Absichtserklärungen Glauben.
Die Realität sieht anders aus:
Die Ausbildung der Studie-
renden an der Medizinischen
Universität Wien im Fach
Allgemeinmedizin wurde
von einem Pflicht- zu einem
Wahlfach umgewandelt, frei
gewordene Assistentenstellen
für den wissenschaftlichen
Nachwuchs werden nicht
nachbesetzt, die Weiterbil-
dung zum Arzt für Allge-
meinmedizin (z. B. Lehrpra-
xis) hinkt immer weiter hinter
den internationalen Entwick-
lungen nach und die Reform
der Primärversorgung von
Einzelpraxen zu den künfti-
gen Aufgaben gewachsenen
Pr imä r versorgungsteams
wird bekämpft. Jede dieser
Fehlentwicklungen ist für sich
schon schlimm genug, der
kumulative Effekt im glei-
chen Zeitraum und für die-
selbe Generation von jungen
Ärzten ist jedoch fatal. Die seit
Juni dieses Jahres geltende
neue Ärzteausbildungsord-
nung und ihre Umsetzung
haben bereits in kurzer Zeit
zu deutlichen negativen Kon-
sequenzen geführt. Wie ich
erfahren habe, haben Kran-
kenhäuser wenig Interesse,
Medizin-AbsolventInnen für
den Common Trunk aufzu-
nehmen, wenn sie die Absicht
haben, später das Fach All-
gemeinmedizin zu ergreifen.
Den Bewerbern werden be-
reits vor dem Common Trunk
Verträge für spätere Facharz-
tausbildungsstellen vorgelegt
und jene KollegInnen, die sich
trotzdem für Allgemeinmedi-
zin entscheiden, bekommen
eine geringere Bezahlung! Ein
großer Teil der Absolventen
der medizinischen Universi-
PHC-Tricksereien
Mitte 2014 war
alles klar. Es gab einen breiten Konsens darüber, wie die
Primärversorgung in Österreich verbessert werden soll. Im Wesentlichen
ging es um die Integration in das ASVG und die Gesamtverträge, eine an-
gemessene Klarstellung der ärztlichen Funktion („Team rund um den Haus-
arzt“), die Definition der Einbeziehung der Fachärzte, eine Klärung für die
ärztlichen Hausapotheken und die Lehrpraxen.
„Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum
es dieses Gesetz zum jetzigen Zeitpunkt
überhaupt geben soll.“
Prof. Maier, Meduni Wien