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54

ÆRZTE

Steiermark

 || 10|2015

NIEDERGELASSENE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE

Im August 2015 war dann

plötzlich alles anders: Das

Ge sundheit smi n ister ium

machte eine Punktation („Po-

litische Eckpunkte“) publik,

die – teils verklausuliert –

weit hinter den Konsens 2014

zurückfällt. Insbesondere

werden die Gesamtverträge

dadurch ad absurdum ge-

führt, dass bei Nichteinigung

bzw. Kündigung die Sozi-

alversicherungen das Recht

erhalten, einseitig einen Ab-

schluss zu tätigen. Das bedeu-

tet: Wenn Arbeitgeber- und

Arbeitnehmervertretung sich

nicht auf einen Kollektiv-

vertrag einigen, können die

Arbeitgeber einseitig einen

dekretieren. Der Einzelne ist

schutzlos. „Aufgrund des öf-

fentlichen Interesses“ müsse

das so sein, lautet die Begrün-

dung.

Die Bundeskurie Niederge-

lassene Ärzte reagierte ent-

sprechend empört auf diesen

Schritt, der letztlich einen

Wortbruch darstellt. Als letz-

te Konsequenz wurde auch

die Möglichkeit einer öster-

reichweiten Kündigung aller

Gesamtverträge in den Raum

gestellt. Als der Bundesob-

mann der Kurie Niederge-

lassene Ärzte, ÖÄK-Vizeprä-

sident Johannes Steinhart,

diese Möglichkeit in einem

Hintergrundgespräch vor

Journalisten erläuterte, folgte

eine Eilt-Meldung der Aus-

tria Presse Agentur, die aus

der Möglichkeit eine Gewiss-

heit machte und suggerierte,

dass diese Vertragskündi-

gung unmittelbar bevorstehe.

Gesundheitspolitikerinnen

und -politiker sowie Vertre-

terinnen und Vertreter der

Krankenkassen zogen da-

rauf hin unmittelbar gegen

Ärzteschaft und Ärztekam-

mer vom Leder. Exemplarisch

der Titel einer Presseaussen-

dung der steirischen GKK-

Obfrau Verena Nussbaum:

„Ärztekammer degradiert sich

zu Verhinderungsverein!“

Angesichts dieser geballten

Polemiken sah sich der Leiter

der Abteilung für Allgemein-

und Familienmedizin an der

Medizinischen Universität

Wien, Univ.-Prof. Manfred

Maier (der mit der Ärzte-

kammer nichts zu tun hat),

genötigt, in einem offenen

Brief Sachlichkeit einzufor-

dern: „Es ist schwer nachvoll-

ziehbar, warum Teilinforma-

tionen bzw. Eckpunkte eines

in Ausarbeitung befindlichen

Gesetzes vorgestellt werden

und dieser Ankündigung ein

sofortiger Protest folgt, ohne

dass der ausgearbeitete Ge-

setzesentwurf auf dem Tisch

liegt, interpretiert und disku-

tiert werden kann.

Es ist auch nicht nachvoll-

ziehbar, warum es dieses Ge-

setz zum jetzigen Zeitpunkt

überhaupt geben soll, zumal

die Implementierung der Pri-

mary Health Care Zentren an

Pilotstandorten erfolgt und

evaluiert werden muss. Wa-

rum wartet man nicht die

Ergebnisse der Evaluierung

ab, um daraus für die Erstel-

lung des Gesetzes auf Daten

basierende Schlüsse ziehen

zu können? Das international

anerkannte, evidenzbasierte

Modell der Primary Health

Care Teams und das darauf

auf bauende Konsenspapier

der Bundeszielsteuerungs-

kommission vom Juni 2014

wird vielfach missverständ-

lich und beliebig zugunsten

der eigenen Interessen inter-

pretiert. Die Primärversor-

gung und damit die medi-

zinische Grundversorgung

durch Ärzte für Allgemein-

medizin soll aufgewertet und

gestärkt werden, schenkt man

den mittlerweile jahrzehnte-

langen Ankündigungen und

Absichtserklärungen Glauben.

Die Realität sieht anders aus:

Die Ausbildung der Studie-

renden an der Medizinischen

Universität Wien im Fach

Allgemeinmedizin wurde

von einem Pflicht- zu einem

Wahlfach umgewandelt, frei

gewordene Assistentenstellen

für den wissenschaftlichen

Nachwuchs werden nicht

nachbesetzt, die Weiterbil-

dung zum Arzt für Allge-

meinmedizin (z. B. Lehrpra-

xis) hinkt immer weiter hinter

den internationalen Entwick-

lungen nach und die Reform

der Primärversorgung von

Einzelpraxen zu den künfti-

gen Aufgaben gewachsenen

Pr imä r versorgungsteams

wird bekämpft. Jede dieser

Fehlentwicklungen ist für sich

schon schlimm genug, der

kumulative Effekt im glei-

chen Zeitraum und für die-

selbe Generation von jungen

Ärzten ist jedoch fatal. Die seit

Juni dieses Jahres geltende

neue Ärzteausbildungsord-

nung und ihre Umsetzung

haben bereits in kurzer Zeit

zu deutlichen negativen Kon-

sequenzen geführt. Wie ich

erfahren habe, haben Kran-

kenhäuser wenig Interesse,

Medizin-AbsolventInnen für

den Common Trunk aufzu-

nehmen, wenn sie die Absicht

haben, später das Fach All-

gemeinmedizin zu ergreifen.

Den Bewerbern werden be-

reits vor dem Common Trunk

Verträge für spätere Facharz-

tausbildungsstellen vorgelegt

und jene KollegInnen, die sich

trotzdem für Allgemeinmedi-

zin entscheiden, bekommen

eine geringere Bezahlung! Ein

großer Teil der Absolventen

der medizinischen Universi-

PHC-Tricksereien

Mitte 2014 war

alles klar. Es gab einen breiten Konsens darüber, wie die

Primärversorgung in Österreich verbessert werden soll. Im Wesentlichen

ging es um die Integration in das ASVG und die Gesamtverträge, eine an-

gemessene Klarstellung der ärztlichen Funktion („Team rund um den Haus-

arzt“), die Definition der Einbeziehung der Fachärzte, eine Klärung für die

ärztlichen Hausapotheken und die Lehrpraxen.

„Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum

es dieses Gesetz zum jetzigen Zeitpunkt

überhaupt geben soll.“

Prof. Maier, Meduni Wien