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Ærzte
Steiermark
|| 12|2016
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte
Der ganz normale Praxiswahnsinn
Kommt heuer das Christkind?
Ich habe eine sehr nette und interessante Buchrezension
von jemandem, der sich G. nennt, zu „Hallo Doc 2“ be-
kommen. Darin schreibt der Verfasser großes Lob über das
Buch (das tut gut! Danke!) und meint abschließend etwas,
das mir zu denken gibt: „Letztendlich beklagen wir ja
‚first-world-problems’ und müssen uns glücklich schätzen,
so leben zu dürfen, wie wir es tun.“ Dafür möchte ich ihm
noch einmal extra „Danke!“ sagen. Es ist ja nicht so, dass
mich meine „first-world-problems“ nicht die Wände hoch
bringen, oder dass sie mich nicht zwischendurch in tiefe
Verzweiflung stürzen würden. Es ist auch nicht so, dass
ich nicht zuweilen Schlafstörungen hätte, weil ich nicht
weiß, wie ich meinen Kredit zurückzahlen soll, oder was
mir die Gesundheitsreform bringen könnte und wie es um
die Gesundheit meiner Lieben und Meinerselbst bestellt ist.
Die Liste der Sorgen und Probleme, der Ängste und der Be-
schwerden ist lang wie eine Klopapierrolle. Und ich denke,
dass wir alle solche Listen mit uns herumschleppen. Da
kann man durchaus zwischendurch einmal den Überblick
verlieren, sich davon unterkriegen lassen und die Welt sehr
schwarz sehen. Da kommt es schon vor, dass man nichts
mehr geben möchte und fühlt, dass man einfach nicht
genug bekommen hat. Da ist es verständlich, dass man
neidisch und ängstlich wird. Und es ist klar, dass man Sün-
denböcke sucht, die man hassen kann. Verständlich schon,
aber es tut uns nicht gut.
Weihnachten steht vor der Tür. Und Weihnachten ist das
„Will-haben-Fest“, das Hochamt des Konsumwahns und die
Huldigung an das Wirtschaftswachstum. Offenbar glauben
wir, dass uns das glücklich macht, also versuchen wir es
jedes Jahr wieder und intensiver.
Möglicherweise sollten wir uns aber einfach zurückleh-
nen und das „Will-geben-Fest“ daraus machen. Und statt
Wunschlisten Dankbarkeitslisten an die lieben Menschen
und guten Dinge in unserem Leben schreiben. Ich bin mir
nämlich sicher, dass diese, wenn wir ganz ehrlich sind, ge-
nauso lang werden können. Und dann kann das Christkind
landen und im Gepäck hat es Glück, Liebe und Frieden.
Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für
Allgemeinmedizin in Graz.
Ihr zweiter Kolumnenband „Hallo Doc 2 – Der ganz
normale Praxiswahnsinn“ ist (auch als E-Book)
bei Amazon erhältlich.
praktisch
täglich
Von Ulrike Stelzl
a Leich und kann dann net“
verweigert, darüber, dass der
Arzt aktuell einen lebenden
Patienten bei sich habe und
gerade in diesem Moment
darauf achten müsse, dass
aus dem „ka Leich“ würde.
Sie klärt Missverständnisse
auf, wenn statt der Harn- eine
Haarprobe abgegeben wird,
und dolmetscht auf jede er-
denkliche Weise.
Für Mystery Shopper
Zahlreiche Anekdoten the-
matisieren hanebüchene Vor-
schläge, warum eine Krank-
schreibung – am besten im
Nachhinein – nötig sei, wa-
rum diese aber gänzlich ohne
ärztliche Anamnese ausge-
stellt werden könne. Ein Lehr-
stück für Mystery Shopper,
möchte man meinen. Oder
gerade eben nicht, denn die
Patientinnen und Patienten
scheitern naturgemäß mit ih-
rem Vorhaben.
Aus vielen Erlebnissen lässt
sich schließen, dass die Ordi-
nation nicht selten mit einem
Selbstbedienungsladen ver-
wechselt wird und dass Re-
spekt nicht unbedingt zur
charakterlichen Grundausstat-
tung eines jeden Zeitgenossen
gehört. Hierin unterscheiden
sich die beiden Seiten der Pols
tertür möglicherweise – wäh-
rend die ärztliche Kompetenz
nicht so (offen) angezweifelt
wird, bekommen die Assisten-
tinnen oft genug zu hören, dass
sie ja ohnehin nichts zu sagen
hätten. Im Gegenzug erwar-
ten andere PatientInnen gleich
eine komplette Diagnose im
Vorzimmer.
Wer selbst eine Ordination
führt, wird viele der geschil-
derten Situationen wiederer-
kennen, sich aber auch aufs
Neue bewusst werden, wie
wertvoll fachlich kompetente,
kommunikativ geschulte und
stressresistente Ordinations-
assistenten und -assisten-
tinnen für einen ärztlichen
Arbeitgeber sind.
Smolaks Buch ist im No-
vember 2016 im Eigenverlag
erschienen und demnächst
über den Buchhandel oder
sofort per E-Mail (lucyna@
marelapis.at)um EUR 19,90
erhältlich. Illustriert wurde es
mit den maritim inspirierten
Mosaik-Werken der Autorin
– bei deren Gestaltung sie sich
von ihrem fordernden Berufs
alltag erholt.
Fotos: Comstock, Furgler