ÆRZTE
Steiermark
|| 10|2015
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COVER
die medizinische Grundver-
sorgung hinausgeht. Weitere
wichtige Versorgungsaufgaben
sind die kontinuierliche Ver-
sorgung chronischer Erkran-
kungen (z. B. Diabetes) und
die Versorgungskoordination
nach stationärer Entlassung,
in der Altenpflege, Rehabilita-
tion oder Palliativversorgung.
Eine gute Primärversorgung
kümmert sich aber vor allem
auch um die Erhaltung der
Gesundheit. Sie ist also schon
aktiv, bevor Krankheiten und
Probleme entstehen. Sie wirkt
hier stark vernetzend mit an-
deren regionalen gesundheit-
lichen Initiativen, veranstaltet
Informationsveranstaltungen
zur Vermeidung von Risiken
und Steigerung der eigenen
Ressourcen. Schlagworte sind
Prävention und Gesundheits-
förderung. Beispiele sind Un-
terstützung bei der Rauchent-
wöhnung, Bewegung und Er-
nährung, Impfungen, Sucht-
behandlung. Hier soll auch auf
die speziellen sozialen Verhält-
nisse in den entsprechenden
Regionen und den damit ver-
bundenen Problemstellungen
eingegangen werden. Beispiele
hierfür wären Regionen mit
hoher Arbeitslosigkeit, Ar-
mut, ländlicher Zersiedelung,
Überalterung etc.“
Ernest Pichlbauer formuliert
es ähnlich, aber doch ein
wenig anders: „Darunter wird
jene Versorgung verstanden,
die man als Patient, der sich
mit gesundheitlichen Be-
schwerden an Gesundheitsbe-
rufe wendet, als erstes erhält.
Das kann in Österreich der
Apotheker, die Heimkranken-
pflege oder ein befreundeter
Physiotherapeut genauso sein
wie die Ärztin in einer Spitals
ambulanz oder der Haus-
arzt – je nachdem, wo der
Patient hingeht. Wo die ‚erste
Versorgung‘ bei uns stattfin-
det, wirkt sehr zufällig und
ist oft durch nicht sinnvolle
Faktoren bestimmt. Vor allem
die Angebotsbreite ist hier ein
schwieriges Thema, weil eben
‚gesundheitliche Beschwerden‘
nicht nur medizinische sein
müssen. Primärversorgung
agiert nach dem bio-psycho-
sozialen Krankheitsmodell,
das eben nicht nur eine biolo-
gisch nachweisbare Krankheit
behandelt, sondern auch und
vor allem das Zusammenspiel
aus Psyche, sozialem Umfeld
und körperlichen Beschwer-
den: Ein einsamer Mensch
empfindet Kopfschmerzen
anders als ein sozial einge-
bundener – der eine braucht
Zuspruch, der andere nimmt
selbst eine Tablette. Kran-
kenkassen sind aber eben nur
für die biologische Krankheit
zuständig – also die Tablette.“
Knapp ist die Erklärung
von Harald Gaugg, dem Ge-
schäftsführer des steirischen
Gesundheitsfonds: „Primär-
versorgung oder Primary
Health Care ist eine umfas-
sende Versorgung der Be-
völkerung von Prävention,
Behandlung bis hin zu sozia-
len Belangen wie Pflege und
Betreuung.“
Andreas Schneider über
PHC: „Eigentlich ein Haus-
arzt oder mehrere, der/die
dem Patienten alle notwen-
digen Leistungen für seine
Beschwerden/Krankheit an-
bieten kann bzw. können.
Er stellt eine oder mehrere
Diplomierte Kranken- und
Gesundheitsschwester(n)/-
pfleger ein, die z.B. Verbands-
wechsel durchführen, die eine
Berechtigung zur Weiterver-
schreibung von Medikamen-
ten haben, die selbstständig
Beratungsleistungen – z. B.
zur Ernährung – durchfüh-
ren können, die selbstständig
und in Kooperation mit z. B.
SozialarbeiterInnen und/oder
PhysiotherapeutInnen (oder
anderen TherapeutInnen)
Heilbehelfe wie Verbands-
material oder Rollstühle etc.
verordnen können. Er stellt
auch noch im Idealfall eine
Psychotherapeutin bzw. einen
Psychotherapeuten an.“
Reinhold Glehr weist darauf
hin, dass es die eine, verbind-
liche Erklärung nicht gebe:
„PHC ist schwer zu erklären,
da Leistungsempfänger, Leis
tungserbringer, Leistungsfi-
nanzierer, Staat bzw. die ge-
setzgebenden Körperschaften
wie Länder und Kommunen,
aber auch die wissenschaft-
liche Medizin jeweils andere
Inhalte mit den Begriffen
verbinden. Von Laien wird in
unserem Kulturkreis einer-
seits die beste Anlaufstelle für
ein unkompliziertes Gesund-
heits-Problem, andererseits
die beste immer wieder in
gleicher Weise ansprechbare
Beratungsstelle bei persön-
lichen, komplexeren Proble-
Fotos: Fotolia, Scheinast, Wilke, Bergmann
Die Experten
HR Dipl.-Ing. Harald Gaugg,
seit 2006
Geschäftsführer des Gesundheitsfonds
Steiermark, zuvor Sektionschef im Ge-
sundheitsministerium.
MR Dr. Reinhold Glehr,
Arzt für Allge-
meinmedizin in Hartberg, Past president
und 2. Vizepräsident der Österreichi-
schen Gesellschaft für Allgemeinmedi-
zin (ÖGAM).
Priv.-Doz. Dr. Stefan Korsatko,
Arzt
für Allgemeinmedizin, Institut für All-
gemeinmedizin und evidenzbasierte
Versorgungsforschung, MUG.
Dr. Ernest Pichlbauer,
promovierter
Mediziner, Experte für Gesundheits-
politik und Gesundheitsversorgung,
gesundheitspolitischer Kolumnist und
strategischer Berater.
Dr. Andreas Schneider,
Facharzt für
Neurologie und Psychiatrie, bis 2012
ärztlicher Leiter des LKH St. Pölten,
Versorgungsplaner im niederösterreichi-
schen Gesundheitsfonds (NÖGUS), freiberuflicher
Berater (Vinstec).
„Die Einführung einer neuen
Primärversorgung wird initial
nichts einsparen.“
Stefan Korsatko