Ærzte
Steiermark
 || 01|2014
11
Fotos: Conclusio
politik
Welche Basiszahlen fordern
Sie ein?
Hoff:
Die exakte Zahl der tat-
sächlich vorhandenen Betten
an jedem Standort, die Zahl
der genehmigten, aber noch
nicht errichteten oder schon
wieder außer Betrieb genom-
menen Betten. Bei 12.000 sta-
tistisch vorhandenen Betten
kann das Land von rund zehn
Prozent nicht sagen, ob es sie
physisch gibt oder nicht. Das
heißt, wir haben ein Frage-
zeichen über rund 1.000 Bet-
ten, wenn nicht mehr. Gerade
im Bereich der Pflegeheime
ist die politische Diskussi-
on ganz schwierig geworden,
weil aus taktischen Gründen
die Budgetzahlen zu Lasten
der Heime verbogen werden.
Es ist immer von 360 Milli-
onen Euro Landesausgaben
pro Jahr für die stationäre
Pflege die Rede, das ist aber
falsch. Dabei wird absichtlich
verschwiegen, dass mehr als
die Hälfte davon durch die
Pensionen und das Bundes-
pflegegeld der Bewohner wie-
der hereinkommt. De facto
bleiben nicht einmal 120 Mil-
lionen Euro für das Land bud-
getwirksam übrig. Umgekehrt
argumentiert das Land, dass
es die neun Millionen Euro
aus dem Pflegeregress, die
es angeblich einnimmt, un-
bedingt braucht. Dabei wird
vorsorglich verschwiegen, was
die Einhebung des Regresses
kostet. Netto bleiben wahr-
scheinlich nicht einmal drei
Millionen übrig, sofern wirk-
lich neun Millionen vorge-
schrieben werden. Gleichzei-
tig ist die Steiermark nicht
in der Lage, die zustehenden
Finanzmittel aus dem Bun-
despflegegeldfonds zur Gänze
abzuholen. Das ist einfach
durch Fehler der zuständigen
Abteilung passiert. Dort wur-
de mehr liegengelassen, als die
rechnerisch korrekte Tarifan-
passung für die Pflegeheime
ausgemacht hätte. Betrachtet
man aber die bisherigen vier
Landespflegheime – nunmehr
von der KAGes geführt – so
könnte man meinen, das Land
Steiermark kennt keinerlei
Budgetnöte. Allein in den
Jahren 2007 bis 2012 wur-
den rund 13 Millionen Euro
als Betriebsabgangsdeckung
zusätzlich zu den Pflegege-
bühren aus Steuermitteln
zugeschossen. Da diese vier
Heime die baulichen Min-
deststandards ab 2014 nicht
erfüllen können, weil sie nicht
innerhalb der doch zehnjähri-
gen Übergangsfrist adaptiert
wurden, wurde einerseits eine
Verlängerung der Übergangs-
frist um vier Jahre beschlos-
sen und dazu noch eine Son-
derfinanzierung im Ausmaß
von rund 50 Millionen Euro
für den Um- bzw. Neubau die-
ser vier Heime mit lediglich
rund 400 Betten. Die privaten
und privat-gemeinnützigen
Heimbetreiber haben hinge-
gen alle fristgerecht umgebaut
oder neue Heime errichtet
und dies aus den laufenden
Einnahmen finanziert. Soviel
zum Thema wirtschaftliche
Betriebsführung und spar-
same Verwendung von Steu-
ermitteln.
Ein Thema ist immer auch die
ärztliche Versorgung in Pfle-
geheimen. Wie stehen Sie zu
eigenen obligatorischen Heim­
ärzten?
Hoff:
Auch eine weitere
Grundsatzfrage: Ist ein Pfle-
geheim das Leben wie zu
Hause mit pflegerischer Un-
terstützung, oder ist es ein
abgespecktes Krankenhaus
für alte Menschen? Das sind
zwei Positionen, die nicht so
ohne weiteres zur Deckung
zu bringen sind. Die Forde-
rung nach angestellten Ärzten
in Heimen muss man sofort
mit der Gegenfrage beant-
worten, wo denn die Ärzte
herkommen sollen, wenn es
bereits einen Ärztemangel
gibt. Zweite Frage: Entspricht
es den Wünschen der Bewoh-
ner? Aus meiner Sicht sind die
niedergelassenen Allgemein-
mediziner zuständig, aber die
Bezahlung für die Betreu-
ung in Pflegeheimen muss
grundlegend neu geregelt wer-
den. Es kann nicht sein, dass
ein Arzt für einen Bewohner
zur Visite hinkommt, und
dann für zehn weitere An-
ordnungen treffen soll, aber
nur den einen verrechnen
kann. Wenn man sich Heim­
ärzte wünscht, muss man aber
gleich dazu sagen, wer sie
bezahlt. Die Heime sind es in
der derzeitigen Tarifsituation
sicher nicht. Derzeit ist ja
nicht einmal die Honorierung
von Gutachten über freiheits-
beschränkende Maßnahmen
geregelt.
Generell – wenn man Ihnen
zuhört, hat man den Eindruck,
dass das öffentliche Gesund-
heitswesen auf einer schiefen
Ebene unweigerlich nach un-
ten rutscht. Ist das überhaupt
noch aufzuhalten?
Hoff:
Durch speziell steirische
Konstellationen, politisch wie
im Sozialversicherungsbe-
reich, gelangen wir im Bun-
desvergleich immer mehr ins
Hintertreffen, und zwar in
verschiedensten Teilbereichen.
Das reicht von den wenig at-
traktiven ärztlichen Arbeits-
bedingungen in den Kran-
kenhäusern – etwa unbesetz-
bare offene Facharztstellen
– bis zu einem Leistungs- und
Tarifkatalog der steirischen
Gebietskrankenkasse, der in
vielen Bereichen nur mehr als
medizinhistorisches Doku-
ment bezeichnet werden kann.
Im Vergleich zu anderen Bun-
desländern besteht ein immer
größer werdender Nachhol-
bedarf, sowohl in der Art der
vereinbarten Leistungen, als
auch bei den Tarifen. Hier
muss vor allem die Ärztekam-
mer massiver auftreten, um
das Recht der steirischen Be-
völkerung auf eine hochwer-
tige extramurale Versorgung
von den Versicherungsträgern
einzufordern.
Das ist eine düstere Diagnose.
Was ist Ihr Therapievorschlag?
Hoff:
Politik und Sozialver-
sicherungen müssen die ge-
setzlichen Interessensvertre-
tungen, also Ärztekammer
und Wirtschaftskammer, wie-
der als Gesprächspartner auf
Augenhöhe ernst nehmen, wie
es diesen beiden Interessens-
vertretungen aufgrund der
ihnen übertragenen Rechte
und Pflichten auch zukommt.
Nur gemeinsam kann man
der gesellschaftlichen Ver-
pflichtung nachkommen, die
Leistungsfähigkeit und auch
die Finanzierbarkeit des Ge-
sundheitssystems zu sichern.
Von einem partnerschaft-
lichen Verhältnis, das ja auch
im Begriff Sozialpartnerschaft
steckt, bewegen wir uns der-
zeit aber immer weiter weg in
Richtung eines obrigkeitsla-
stigen, feudalistisch-dekretie-
renden Systems.
Das Gespräch führte
Martin Novak.
„Gerade im Bereich der Pflegeheime
ist die politische Diskussion ganz
schwierig geworden, weil aus
taktischen Gründen die Budget-
zahlen zu Lasten der Heime
verbogen werden.“
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10 12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,...48