AERZTE Steiermark | Mai - page 6-7

Ærzte
Steiermark
 || 05|2015
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Danke. Allen fast 500 Kolleginnen und Kollegen,
die aktiv an unserer Zukunftsbefragung teilge-
nommen haben, sage ich herzlichen Dank. Sie
haben den Auftrag an die Ärztekammer präzisiert
und geschärft. Und hoffentlich haben sie auch
Politikerinnen und Politiker, aber ebenso die Ent-
scheider in den Krankenkassen zum Nachdenken
gebracht.
Unter allen Themen – und es sind viele – wurde
eines besonders oft genannt, direkt und indirekt.
Es ist die über viele Jahrzehnte vernachlässigte
Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In den „tra-
ditionellen“ Familien, in denen ein Partner (fast
immer der Mann) das Geld verdient und ein
Partner (fast immer die Partnerin) die Familie „ge-
schupft“ hat, brauchte man darauf nicht sonderlich
zu achten. Aber diese Zeiten sind längst vorbei,
die Entwicklung des Berufs muss dem nun rasch
Rechnung tragen.
Vordringlich brauchen wir neue Praxisorganisa­
tionen im niedergelassenen Bereich. Das heißt
Job-Sharing, damit auch Privatleben möglich ist,
und niemand vom Beruf völlig vereinnahmt wer-
den muss. Das bedeutet neue Kooperationsformen
(so neu sind sie nicht, aber noch längst nicht rea-
lisiert). Also Gemeinschaftspraxen und Ärztege-
sellschaften, die Teamarbeit möglich machen. Die
es erlauben, auch am Land nicht Tag und Nacht
eingespannt zu sein.
Eine Handvoll staatlicher Primary Health Care
Center sind allerdings keine Lösung. Sie sind teuer,
ineffizient und deswegen nicht breitenwirksam. Sie
schränken zusätzlich die Freiheit des Berufs ein,
der auch ein wichtiger Wert ist.
Daher muss echtes ärztliches Teamwork möglich
gemacht werden. Nicht irgendwann, sondern
rasch. Dafür kämpfen wir.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
Die österreichischen Landesgesundheitsreferenten haben in ihrer
jüngsten Konferenz eine „Lösung“ gefunden, um den Ärzteman-
gel zu beheben. Sie wollen an den Universitäten mehr Medizine-
rinnen und Mediziner ausbilden.
Ist es völlige Verkennung der Realität? Denn Österreich hat
durchaus keinen Mangel an Absolventinnen und Absolventen,
wie Experte Ernest Pichlbauer gleich in einer ersten Replik
festgestellt hat. Das Problem ist, dass (zu) viele dieser Absol-
ventInnen Jahr für Jahr gar nicht versuchen, einen Platz in der
österreichischen, öffentlichen Gesundheitsversorgung zu finden.
Sie gehen gleich ins Ausland oder stei-
gen spätestens nach Abschluss der post-
promotionellen Ausbildung aus.
Eine besondere Ironie ist, dass die Wie-
ner Gesundheitslandesrätin dem Bund
mitteilte, er möge seine Verantwortung
wahrnehmen. Die für den angekündig­
ten Stellenabbau in den Spitälern der Stadt Wien wird sie wohl
nicht gemeint haben.
Natürlich hat auch der Bund Verpflichtungen, denen er nicht
nachkommt. Es gibt immer noch keine Lösung für die Bedien-
steten der Medizinischen Universitäten in Wien und wieder
keine für jene in Graz. Und diese Wissenschafterinnen und Wis-
senschafter, die das wohl nur als Geringschätzung interpretieren
können, sollen noch mehr Studierende ausbilden?
Aber wir brauchen nicht nur auf Spitäler und Universitäten zu
schauen. Immer mehr Ärztinnen und Ärzte pfeifen angesichts
des überkommenen Leistungskatalogs, der Hausapotheken-
Nichtlösung und der administrativen Überlastung auf Kassen-
verträge und richten sich in der Privatmedizin ein.
Sie alle werden diesen politischen Vorstoß nur so interpretieren
können. Produzieren wir halt um viel Geld (denn Ausbildung
gibt es nicht kostenlos) möglichst rasch wieder ein Ärzteüber-
angebot, damit wir die Ärztinnen und Ärzte wieder so richtig
schlecht behandeln können. Die Sache hat nur einen Haken: Es
wird ein gutes Jahrzehnt dauern …
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der
Ärztekammer Steiermark.
extra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 38.
Jörg Garzarolli
Beruf und Familie in
Einklang bringen
debatte
Ist es eine gute oder weniger gute Gehaltslösung
für die Ärztinnen und Ärzte an der Medizini­
schen Universität Graz? Diese Frage stellt sich
nun nicht mehr. Es ist gar keine Lösung, nach-
dem der Universitätsrat seine Zustimmung ver-
weigert hat.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen nun
zwar, wie es um die Opt-out-Regelung und die
Rufbereitschaft steht, ihr Einkommen kennen sie
aber nicht.
Der Wissenschaftliche Betriebsrat, der auf eigene
Faust verhandelt und die mehrfach angebote-
ne Unterstützung der Ärztekammer mehrfach
zurückgewiesen hat, reagierte zwar mit einem
Widerruf aller Betriebsvereinbarungen. Ob dieser
Widerruf möglich ist, darüber wird es wohl noch
einen Rechtsstreit geben.
Es ist aber wohl zu hoffen, dass es genügend ver-
nünftige Kräfte gibt, die begreifen, dass dieser
Schwebezustand unerträglich für die betroffenen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist. Und für die
Universität insgesamt, die sich erst kürzlich ihrer
Exzellenz gerühmt hat.
Welche Wissenschafterinnen und Wissenschafter
werden sich wohl an eine Universität berufen las-
sen, die ihnen nicht einmal sagen kann, wie ihr
Einkommen ausschaut?
Daher gibt es jetzt eine gemeinsame Verantwor-
tung des Rektorats und des Aufsichtsgremiums,
raschest aus dieser Sackgasse herauszufinden.
Seitens der Ärztekammer gibt es aber ein Ver-
sprechen: Wir werden uns nicht mit der Suche
nach Schuldigen aufhalten, sondern bieten poli-
tische und juristische Unterstützung, wo immer
sie gebraucht wird. Wenn die Gescheiterten es
nicht weiter auf eigene Faust versuchen wollen.
Vizepräsident Dr. Martin Wehrschütz
ist Obmann der Kurie Angestellte Ärzte.
intra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 36.
Martin Wehrschütz
Die Meduni braucht
rasch eine Lösung
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, beigestellt, Grafik: Mirko Maric´
Standortbestimmung
Herwig Lindner
Die politische Sehnsucht nach
einer neuen Ärzteschwemme
kont a
Einmal mehr Prekäres: Notstand im Wohlstand.
Es schrillen die Alarmglocken, weil dem Land seine
Jungmediziner ausgehen. 1997 wurden wir mit nicht
einmal 900 Studienanfängern der Medizinischen Fa-
kultät Graz als quantitativ relativ schwacher Jahrgang
bezeichnet. Die Wartezeit zur Turnusausbildung be-
trug bis zu fünf Jahre.
Als junger Medizinstudent hatte man den Eindruck,
Österreich brauche nicht noch mehr Mediziner. Wer
sich trotzdem für die Medizin entschied, galt als opti-
mistischer Idealist.
Beinahe zwei Jahrzehnte später hat sich jenes Bild ge-
wandelt. Österreichische Krankenanstalten werben bei
Kongressen der Med Uni Graz um junge Ärzte. Oben-
drein erweist sich das Stadt-Land-Gefälle als prekär.
Viele Landpraxen stehen leer, Nachbesetzungen – Fehl-
anzeige.
Was sagt die Steirische Statistik (Heft 10/2011) dazu?
Während sich die Anzahl der niedergelassenen Allge-
meinmediziner in Graz-Stadt von 163 auf 327 verdop-
pelt hat, ist diese in Mürzzuschlag sogar von 29 auf 28
gesunken. Im Bezirk Radkersburg kam es lediglich zu
einer minimalen Steigerung von 18 auf 20 und in Knit-
telfeld von 16 auf 18.
Die Dichte der Versorgung durch Zahnbehandler hat
sich ähnlich, wenn auch etwas günstiger, entwickelt.
Es mutet an, dass die junge Mediziner-Generation weiß,
was sie will und selbstbewusst ihre Prioritäten anders
setzt als ihre teils selbstaufopfernden Vorgänger. Diese
jungen Mediziner werden wir in Zukunft mehr denn je
in Österreichs Krankenhäusern und Praxen brauchen.
Es wird Zeit zu fragen, unter welchen Rahmenbedin-
gungen sie sich ein Berufsleben in der Peripherie vor-
stellen können.
Dr. med. univ. Tanja Macheiner ist Turnusärztin der
KAGes (derzeit karenziert) und Projektmanagerin an
der MedUni Graz. Beim Science Park Wettbewerb 2015
wurde sie gemeinsam mit Karine Sargsyan Kategorien-
siegerin für die Medizinische Universität Graz.
Tanja Macheiner
Ärztliche Nahversorgung – 
ein Notfall
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