

Ærzte
Steiermark
|| 06|2015
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COVER
Wann darf die ärztliche
Schweigepflicht
durchbrochen werden?
Auch eine mediale Diskussion über die Schweigepflicht von Ärztinnen und Ärzten
bzw. generell von Gesundheitsberufen hat der nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen
vorsätzlich herbeigeführte Absturz der germanwings-Passagiermaschine in den franzö
sischen Alpen ausgelöst. Ein Überblick der rechtlichen Situation.
Dieter Müller
Zum Teil wurde als Konse-
quenz aus der Katastrophe
gefordert, die Schweigepflicht
bei Angehörigen von Gesund-
heitsberufen zu lockern und
Auskunftspflichten gegenüber
Behörden oder Arbeitgebern
auszuweiten. Vor derartigen
Diskussionen und allfälligen
Anlassgesetzgebungen ist aus-
drücklich zu warnen.
Die Schweigepflicht ist ein
wesentlicher Bestandteil des
Vertrauensverhältnisses zwi-
schen Ärztin/Arzt und Pa-
tientin/Patient. Die Bereit-
schaft, sich bei einer Ärztin
bzw. einem Arzt untersuchen
zu lassen, würde unweigerlich
abnehmen, wenn man nicht
mehr auf die grundsätzliche
Verschwiegenheit der Ärztin
bzw. des Arztes vertrauen
könnte. Die ärztliche Ver-
schwiegenheit schützt ja nicht
nur die Privatsphäre der Pati-
entin bzw. des Patienten, son-
dern eigentlich in erster Linie
ihre bzw. seine Gesundheit,
weil sie Bedingung dafür ist,
dass sich die Patientin bzw.
der Patient der Ärztin bzw.
dem Arzt bedenkenlos an-
vertrauen kann. Die geltende
Rechtslage erlaubt es aber den
ÄrztInnen bereits heute, zum
Schutz höherwertiger Interes-
sen die Schweigepflicht unter
Beachtung enger Grenzen im
Bedarfsfall zu durchbrechen.
Die Schweigepflicht zählt zu
den ältesten Berufspflichten
der Ärztinnen und Ärzte.
Sie ist aufgrund ihres hohen
Stellenwertes nicht nur be-
rufsrechtlich, sondern auch
strafrechtlich abgesichert
1
.
Gemäß § 54 ÄrzteG sind
die Ärztin/der Arzt und ihre/
seine Hilfspersonen zur Ver-
schwiegenheit über alle ihnen
in Ausübung ihres Berufes
anvertrauten oder bekannt
gewordenen Geheimnisse
verpf lichtet. Das Berufsge-
heimnis gilt immer dann,
wenn eine Mitteilung der
Ärztin bzw. dem Arzt gerade
in ihrer/seiner Eigenschaft
als Angehörige/r dieses Be-
rufsstandes gemacht worden
ist, nicht aber, wenn kein
sachlicher Zusammenhang
zur Berufsausübung mehr
besteht – so etwa dann, wenn
die Ärztin bzw. der Arzt auf
dem Weg zu einem Patienten
im Straßenverkehr zufällig
eine Beobachtung macht
2
.
Inhalt des
Berufsgeheimnisses
Mit dem Begriff des „Ge-
heimnisses“ sind Tatsachen
angesprochen, die nur dem
Geheimnisträger selbst oder
einem beschränkten Perso-
nenkreis bekannt sind und
bei denen ein Interesse be-
steht, sie Außenstehenden
nicht bekannt zu machen
3
.
Unter den Geheimnisbegriff
fallen auch die Tatsachen,
dass jemand einen Arzt auf-
gesucht hat, oder ob jemand
krank oder nicht krank ist
4
.
Das Berufsgeheimnis ist ge-
genüber jedermann zu wah-
ren. Es gilt daher grund-
sätzlich auch gegenüber Be-
rufskollegInnen. Es gilt auch
gegenüber EhepartnerInnen,
sonstigen Familienangehöri-
gen, Arbeitgebern, staatlichen
Dienststellen, Kirchen und
privaten Vereinigungen. Dass
der Empfänger der Informati-
on selbst einer Verschwiegen-
heitsplicht unterliegt, berech-
tigt die Ärztin bzw. den Arzt
nicht zur Weitergabe einer
dem Arztgeheimnis unterlie-
genden Information
5
.
Das Recht des Patienten auf
Wahrung des Berufsgeheim-
nisses wirkt – wie alle Persön-
lichkeitsrechte – auch über
den Tod des Empfängers hi-
naus
6
.
Ausnahmen von der
Verschwiegenheitspflicht
Ausnahmen von der Ver-
schwiegenheitsplicht sind in
§ 54 Abs. 2 und 3 geregelt.
Eine Verschwiegenheitspflicht
besteht naturgemäß dann
nicht, wenn nach gesetzlichen
Vorschriften Meldepflichten
der Ärztin bzw. des Arztes
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