

ÆRZTE
Steiermark
09|2017
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Fotos: Oliver Wolf, Elke Meister, Harry Schiffer, Grafik: Konrad Lindner
Ärztinnen und Ärzte sind technikfeindlich?
Dieser oft gehörte Satz ist blanker Unsinn. Wir
brauchen uns nur in unserer Praxis umzuschauen:
Sie ist voller Technik. Technik, die uns bei unserer
Arbeit unterstützt, die es uns erleichtert, unsere
Patientinnen und Patienten zu behandeln. Diese
Technik entwickelt sich auch ständig weiter. Vieles,
was vor 20 oder 30 Jahren noch völlig undenkbar
schien, ist heute selbstverständlich. Aber gerade,
weil Technik für uns so selbstverständlich ist, wis-
sen wir auch, was sie nicht kann. Wir wissen zum
Beispiel, dass es eine Patientin oder ein Patient gar
nicht schätzt, wenn die Ärztin, der Arzt nur auf
den Monitor starrt, statt der Gesprächspartne-
rin oder dem Gesprächspartner in die Augen zu
schauen.
Daher muss Technik eines: Sie muss klaglos und
schnell funktionieren. Sie muss sich in jeder Hin-
sicht rechnen, sie darf nicht Zeit fressen, sie muss
Zeit ersparen, sie darf nicht Kosten verursachen,
sie muss Kosten reduzieren. Das tut sie aber oft
nicht. Gerade die ach so tolle Datenübermittlung
kann quälend lange dauern. Und wenn alle Sicher-
heitsstandards eingehalten werden, die für sensible
medizinische Informationen unabdingbar sind,
dann sind auch die Kosten erheblich.
Mit einem Patienten, den ich kenne, einen schnel-
len Abgleich auch per Video zu machen, kann ich
mir gut vorstellen. Allgemeinmedizinische Kolle-
ginnen und Kollegen würden oft genug mit einem
chronisch kranken Patienten durchaus über Ka-
mera und Monitor kommunizieren, statt auf einer
Schneestraße hinfahren zu müssen. Aber in vielen
Regionen fehlt die Grundlage dafür, das schnelle
Internet, das genauso notwendig ist wie die ge-
räumte Straße. Und es muss klar sein, dass ein
Hausbesuch per Video ebenfalls eine Leistung ist.
Kassen und öffentliche Hand müssen ihre Haus-
aufgaben machen, statt auf Ärztinnen und Ärzte
hinzuhacken, die in einem ELGA-pdf-Datenfried-
hof keinen Nutzen sehen. Es würde auch niemand
freiwillig ein Uralt-Ultraschallgerät verwenden.
Vizepräsident Dr. Norbert Meindl ist Obmann
der Kurie Niedergelassene Ärzte.
EXTRA
Norbert Meindl
Gebt den Ärzten
zeitgemäße Technik
STANDORTBESTIMMUNG
Herwig Lindner
Mehr Freiheit statt mehr
politischer Zwang
Man kann die Politik ja verstehen: Wenn alle Ärztinnen und
Ärzte gleich wären, täte sie sich leicht. Dann könnte sie eine tol-
le politische Maßnahme setzen – und alles wäre gut. Aber das
Prinzip „Hände falten, Gosch‘n halten“, das nie funktioniert hat,
funktioniert jetzt schon gar nicht. Weder bei den Jungen noch
bei den „Alten“. Die einen wollen eine Anstellung, die anderen
wollen freiberuflich arbeiten. Die einen wollen eher unabhängig
(Stichwort Einzelpraxis) arbeiten, andere aber im Team.
Eines eint uns alle: Wir wollen gute Medizin machen können, so
wie wir sie im Studium und in der Ausbildung
gelernt haben. Wir wollen, dass unsere vielen
Fortbildungen nicht sinnlos sind, weil wir das
gewonnene Wissen in der Praxis nicht umsetzen
können. Wir wollen nicht mit jemanden, der
viel weniger in einem bestimmten Bereich der
Medizin weiß, über die Genehmigung eines
Medikaments streiten müssen, das ein Patient
unbedingt braucht. Wir wollen nicht Dokumen-
tationen anfertigen, die dann niemand auswer-
tet, die überhaupt keinen Sinn ergeben.
Bürokratieabbau und Freiheit, das Richtige zu tun, ist nicht nur
ein Ärztethema. Unternehmer stöhnen, Apotheker sind verzwei-
felt, Bauherren werden in den Wahnsinn getrieben – alle Bereiche
des Lebens sind durchsetzt mit einem Wust an überflüssigen Vor-
schriften und widersprüchlichen Regeln.
Das Primärversorgungsgesetz, viele Regeln im Sozialversiche-
rungsbereich, in den Spitälern … nehmen den Ärzten die Zeit für
ihre Patienten – und damit den Patienten ihre Ärzte. Ärzteman-
gel? Erfinden wir noch eine neue Regel, sagen die Bürokraten
und machen sich emsig ans Werk. Schönes Beispiel: Da wird eine
„Effizienz“-Studie bestellt, 1.393 Seiten stark, die weitgehend aus
vorhandenen Informationen besteht. Fast 250 Seiten sind über-
haupt Statements der österreichischen Stakeholder. Aus der Studie
kann jeder herauslesen, was er herauslesen will.
Was tatsächlich kommt, hängt weit mehr von der Nationalrats-
wahl ab als von diesem vierteiligen Werk. Das ist ja grundsätzlich
gut, nur hätte man die viele Energie besser in eine Entrümpelung
des Gesundheitssystems gesteckt als in die Produktion von noch
mehr Papier.
Wir brauchen Befreiung statt immer noch mehr Zwang.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark.
DEBATTE