

ÆRZTE
Steiermark
|| 09|2017
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COVER
sind es gerade die konkreten
positiven Erfahrungen in der
Lehrpraxis, die den Ausschlag
für die Niederlassung als All-
gemeinmediziner geben.“
Ein Dilemma (nicht aus Sicht
der Ärztinnen und Ärzte)
ist in diesem Zusammen-
hang, dass auch die Spitä-
ler den Nachwuchs dringend
benötigen und daher keinen
großen Wert darauf legen,
dass die Ausbildung junge
Doktorinnen und Doktoren
der gesamten Heilkunde nach
Studienabschluss aus dem
Krankenhaus hinausführt.
Ein zentraler Schlüssel ist
die Wertschätzung für den
A l lgemei nmed i zi n-Ber u f.
Und zwar nicht nur bei den
Patientinnen und Patienten
und der Gesellschaft, son-
dern auch bei den politischen
Entscheidungsträgern im
Gesundheitssystem und den
Kolleginnen und Kollegen
anderer Fachrichtungen.
Imagekampagnen haben da
in Deutschland in den letzten
Jahren vieles verbessert. Wo-
raus man zweierlei ableiten
kann: Erstens ist der Mangel
an Allgemeinmedizinern kein
österreichisches Problem, son-
dern eines, mit dem viele Län-
der zu kämpfen haben. Zwei-
tens ist es durchaus möglich
gegenzusteuern. In der Studie
konnte immerhin gezeigt wer-
den, dass die deutschen Stu-
dierenden sich mehr von der
politischen Seite unterstützt
fühlen und in einem höheren
Prozentsatz sicher den Beruf
des Allgemeinmediziners an-
streben. Wie würden junge
Ärztinnen und Ärzte in der
Niederlassung gerne arbeiten,
wenn es möglich wäre? Ein-
fache Antwort: die meisten im
Team (sprich in einer Gemein-
schafts- oder Gruppenpraxis),
nicht so wenige in der Ein-
zelpraxis, die wenigsten (aber
immerhin noch knapp 30 Pro-
zent) als Angestellte in einer
Hausarztpraxis, was deutlich
divergent zu den Zahlen aus
Deutschland ist. Poggenburg
resümiert: „Die Jungmedizi-
ner können sich alle möglichen
Szenarien der Zusammenar-
beit für ihre spätere Berufs-
ausübung vorstellen“. Wobei
sie sich (unabhängig von dem,
was sie später machen wollen)
am meisten für eine Tätig-
keit als Selbstständige in einer
Gemeinschafts-/Gruppenpra-
xis aussprechen. Immerhin
fast 50 Prozent können sich
auch vorstellen, selbstständig
in einer Einzelpraxis zu ar-
beiten und deutlich mehr als
50 Prozent im multiprofessi-
onellen Team eines PHC. Die
angestellte Tätigkeit in einer
Arztpraxis ist weniger attrak-
tiv. All dies spricht stark dafür,
die Autonomie der Jungme-
diziner zu akzeptieren und
es ihnen selbst zu überlassen,
in welcher Form sie mit wem
auf ärztlicher und mit wem
auf nichtärztlicher Seite zu-
sammenarbeiten wollen. Dies
kann ja auch kein starres Kon-
zept sein, sondern sollte dem
Bedarf der Region, der sozia-
len Struktur und den Bedürf-
nissen der Patienten und des
Teams angepasst sein. Abgese-
hen davon hält Poggenburg es
für sehr wahrscheinlich, dass
Präferenzen sich im Laufe
der postpromotionellen Aus-
bildung noch ändern. Sie ist
davon überzeugt, dass eine ge-
wisse Freiheit bei der Wahl der
Zusammenarbeitsform den
Hausarztberuf attraktivieren
könnte; zu starre Regularien
hingegen könnten demotivie-
rend wirken. Immerhin hat
sich in der längsschnittlichen
Evaluation von Medizinischen
Versorgungszentren (MVZ)
in Deutschland gezeigt, dass
diese in ländlichen Regi-
onen zu über 50 Prozent ein
Nachwuchsproblem haben,
dort entgegen anderen Erwar-
tungen überwiegend Männer
arbeiten und auch die Quote
von Ärztinnen und Ärzten,
die in Teilzeit arbeiten, aus-
geglichen ist – dies trotz einer
massiven Feminisierung der
Medizin auch in Deutschland.
Auch ist das Primärversor-
gungsgesetz so kompliziert,
dass selbst qualifizierte Fach-
juristen sich nicht über die
eindeutige Interpretation ei-
nigen können. „Damit ist der
Willkür der Verwaltung Tür
und Tor geöffnet“, befindet
Versorgungsforscher Ernest
Pichlbauer, der fürchtet, dass
wir nun 20 Jahre mit einem
Gesetz leben müssen, das die
Primärversorgung nicht vo-
ranbringen wird.
Zu wenig Allgemeinmediziner?
Mehr Allgemeinmedizin!
In Deutschland wurde auf den Landarzt- und Haus-
arztmangel neben vielen anderen seit Jahren laufenden
Maßnahmen mit einem „Masterplan Medizinstudium
2020“ reagiert. Das wurde auch im Koalitionsvertrag
der letzten deutschen Bundesregierung so festgelegt. Die
Rahmenbedingungen waren ähnlich wie in Österreich.
Einerseits brachten die Patientinnen und Patienten ihren
Hausärztinnen und Hausärzten besonderes Vertrauen
entgegen, andererseits brach das Interesse der Medizine-
rinnen und Mediziner ein. „Nur jeder zweite Hausarzt
findet einen Nachfolger und zwei ausscheidende Haus
ärzte traditionellen Typs müssen durch drei Hausärzte
der neuen Generation ersetzt werden“, so der Befund von
Ferdinand M. Gerlach (Institut für Allgemeinmedizin,
Universität Frankfurt). Als Reaktion wurde der Allge-
meinmedizin im Studium weit mehr Raum gegeben als
zuvor. Dazu gehört auch ein Pflicht-Quartal Allgemein-
medizin im Praktischen Jahr, von einigen heftig kriti-
siert, von anderen freudig begrüßt.
„Sehr oft sind es die konkreten positiven Erfahrungen
in der Lehrpraxis, die den Ausschlag für die
Niederlassung als Allgemeinmediziner geben.“
Karlheinz Kornhäusl
Foto: Schiffer