

ÆRZTE
Steiermark
09|2017
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COVER
könnten. Wirft das nicht in
doppelter Hinsicht auch Pro-
bleme auf? Einerseits können
Ärztinnen und Ärzte das als
Abwertung wahrnehmen, an-
dererseits ist die qualifizierte
Pflege nicht nur in Österreich
ein Mangelberuf.
Interdisziplinäre Arbeits-
formen wurden in vielen
Positionspapieren von inter-
nationalen Organisationen
gefordert, von österreichi-
schen Experten jedoch nicht
priorisiert. Konkrete Fragen
bezüglich der Maßnahmen
umsetzung wurden in dieser
Studie nicht behandelt.
In Deutschland waren Kam-
pagnen recht erfolgreich. Die
heimischen Experten sehen
solche „Rekrutierungskam-
pagnen“ eher zurückhaltend.
Warum?
Warum die Experten diese
Maßnahme eher zurückhal-
tend bewertet haben, kann
durch die Methode dieser Stu-
die nicht beantwortet werden.
Persönliche Frage: Sie sind
Allgemeinmediziner. Was hält
Sie davon ab, Landarzt zu
werden?
Nicht viel, jedoch leider noch
zu viel. Vom Studienbeginn
bis zum letzten Studienjahr
wollte ich immer Kinderarzt
werden, habe in diesem Fach
viel famuliert und Fortbil-
dungen besucht. Bis ich im
letzten Studienjahr das erste
Mal in einer allgemeinme-
Maßnahme umsetzt, jeder
seine eigene Verantwortung
übernimmt, dann kann sich
etwas bewegen. Beteiligte gibt
es nämlich viele – Gesund-
heitsministerium, Gesund-
heitsfonds, Gebietskranken-
kasse, Ärztekammer, Univer-
sitäten, Länder, Gemeinden,
Wissenschaftler und Prakti-
ker. Und bei diesem Prozess
wären wir als Institut gerne
dabei. Falls wir eines Tages
der Landbevölkerung erklä-
ren müssen, warum sie keinen
Hausarzt mehr hat – und
warum wir mit deren Steuern
und Beiträgen stattdessen die
Stadtbevölkerung versorgen –,
Der Projektleiter
Projektleiter Flori-
an Stigler ist nicht
der klassische Allge-
meinmediziner. Sei-
ne Neigung verteilt
sich zwischen Wis-
senschaft und prak-
tischer Arbeit.
2009 promovierte er an der
Meduni Graz und absolvierte
dann seinen allgemeinmedizi-
nischen Turnus, teils in Kran-
kenhäusern, teils in Lehrpra-
xen. Famuliert hat er schon
während des Studiums, nicht
nur in Österreich, sondern
auch in Äthiopien, Ghana,
Brasilien, Japan und England.
In England graduierte er auch
zum Master of Public Health
in Manchester, an der London
School of Hygiene & Tropical
Medicine will er im kommen-
den Jahr sein Doktorat in
Public Health (Schwerpunkt
Allgemeinmedizin) abschlie-
ßen. Seine Tätigkeit am Insti-
tut für Allgemeinmedizin und
evidenzbasierte Versorgungs-
forschung ist mit Abschluss der
Studie vorläufig (weitgehend)
beendet. Ein weiteres
berufliches Standbein
hat er im Fachärzte-
zentrum Graz der
GKK gefunden, wo
er die Vorsorgeunter-
suchungen abwickelt.
Von der Ausbildung
in der Praxis ist Stig-
ler zutiefst überzeugt: „Man
lernt bei Allgemeinmedizinern
am meisten – auch als Stu-
dent.“
Die Ausbildung in der Lehr-
praxis – und zwar länger als
sechs Monate – ist ihm eben-
falls wichtig: „Ich habe neun
Monate gemacht und selbst
das war zu wenig.“ Als Einstieg
in die allgemeinmedizinische
Praxis hält er die Anstellungs-
möglichkeit für wichtig, „zu-
mindest für ein oder zwei
Jahre“. Dieser Vorschlag hat
auch Eingang in den Maßnah-
menkatalog der Studie gefun-
den – in der Kategorie „rele-
vant, aber nicht umsetzbar“.
Und: Die Aufwertung zum
„Facharzt“ für Allgemeinme-
dizin hält er für „ein wichtiges
Symbol“.
dizinischen Landarztpraxis
war! Das war für mich ein
wunderschönes Erlebnis und
ich habe seitdem viele moti-
vierte, glückliche Hausärzte
kennenlernen dürfen. Das
wissen leider auch zu we-
nig Studierende: Auch wenn
vieles in der Allgemeinmedi-
zin besser sein könnte, nicht
alles ist schlecht! Persön-
lich geht es mir bei meiner
Berufswahl aber wie vielen
in meiner Generation: Ich
möchte nicht alleine arbei-
ten, sondern gemeinschaftlich
und interdisziplinär, keine
60-Stunden-plus, sondern
auch ein Privatleben haben
und anderen – z. B. wis-
senschaftlichen – Interessen
nachgehen.
Wenn Sie zwei bis drei Maß-
nahmen als Gesundheitspoli-
tiker sofort umsetzen könnten,
welche wären das?
Ich erlaube mir, mir etwas an-
deres zu wünschen, bevor es
Zeit wird, konkrete Vorschlä-
ge zu machen. Ich – und da
spreche ich für das gesamte
Team des Instituts für Allge-
meinmedizin und evidenzba-
sierte Versorgungsforschung
– wünsche mir, dass sich
alle
Beteiligten zusammensetzen
und ein Maßnahmenpaket
schnüren, einen „Masterplan
Allgemeinmedizin“. Denn
mit einer einzelnen Maßnah-
me wird man keine großen
Sprünge machen! Wenn je-
doch jeder Beteiligte eine
dann werden wir uns fragen
müssen, warum wir „damals“
nicht gehandelt haben. Auf
andere zu zeigen, wird leider
weder heute noch im Nachhi-
nein etwas verändern.
1
Dr. med. Florian Stigler,
MPH (Projektleiter), Dr. med.
Klaus Jeitler, Julia Schirgi,
Mag. rer. nat. Thomas Sem-
litsch, Univ.-Prof. Dr. med.
Andrea Siebenhofer-Kroitzsch
(Institutsleitung IAMEV), Ca-
rolin Zipp, BA (Masterarbeit
FH Joanneum): Prävention
eines allgemeinmedizinischen
Landärztemangels. 2017. Un-
veröffentlicht.
„Ich wünsche mir, dass sich
alle
Beteiligten zusammensetzen und ein
Maßnahmenpaket schnüren, einen
‚Masterplan Allgemeinmedizin‘.“
Florian Stigler