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ÆRZTE

Steiermark

09|2017

15

COVER

könnten. Wirft das nicht in

doppelter Hinsicht auch Pro-

bleme auf? Einerseits können

Ärztinnen und Ärzte das als

Abwertung wahrnehmen, an-

dererseits ist die qualifizierte

Pflege nicht nur in Österreich

ein Mangelberuf.

Interdisziplinäre Arbeits-

formen wurden in vielen

Positionspapieren von inter-

nationalen Organisationen

gefordert, von österreichi-

schen Experten jedoch nicht

priorisiert. Konkrete Fragen

bezüglich der Maßnahmen­

umsetzung wurden in dieser

Studie nicht behandelt.

In Deutschland waren Kam-

pagnen recht erfolgreich. Die

heimischen Experten sehen

solche „Rekrutierungskam-

pagnen“ eher zurückhaltend.

Warum?

Warum die Experten diese

Maßnahme eher zurückhal-

tend bewertet haben, kann

durch die Methode dieser Stu-

die nicht beantwortet werden.

Persönliche Frage: Sie sind

Allgemeinmediziner. Was hält

Sie davon ab, Landarzt zu

werden?

Nicht viel, jedoch leider noch

zu viel. Vom Studienbeginn

bis zum letzten Studienjahr

wollte ich immer Kinderarzt

werden, habe in diesem Fach

viel famuliert und Fortbil-

dungen besucht. Bis ich im

letzten Studienjahr das erste

Mal in einer allgemeinme-

Maßnahme umsetzt, jeder

seine eigene Verantwortung

übernimmt, dann kann sich

etwas bewegen. Beteiligte gibt

es nämlich viele – Gesund-

heitsministerium, Gesund-

heitsfonds, Gebietskranken-

kasse, Ärztekammer, Univer-

sitäten, Länder, Gemeinden,

Wissenschaftler und Prakti-

ker. Und bei diesem Prozess

wären wir als Institut gerne

dabei. Falls wir eines Tages

der Landbevölkerung erklä-

ren müssen, warum sie keinen

Hausarzt mehr hat – und

warum wir mit deren Steuern

und Beiträgen stattdessen die

Stadtbevölkerung versorgen –,

Der Projektleiter

Projektleiter Flori-

an Stigler ist nicht

der klassische Allge-

meinmediziner. Sei-

ne Neigung verteilt

sich zwischen Wis-

senschaft und prak-

tischer Arbeit.

2009 promovierte er an der

Meduni Graz und absolvierte

dann seinen allgemeinmedizi-

nischen Turnus, teils in Kran-

kenhäusern, teils in Lehrpra-

xen. Famuliert hat er schon

während des Studiums, nicht

nur in Österreich, sondern

auch in Äthiopien, Ghana,

Brasilien, Japan und England.

In England graduierte er auch

zum Master of Public Health

in Manchester, an der London

School of Hygiene & Tropical

Medicine will er im kommen-

den Jahr sein Doktorat in

Public Health (Schwerpunkt

Allgemeinmedizin) abschlie-

ßen. Seine Tätigkeit am Insti-

tut für Allgemeinmedizin und

evidenzbasierte Versorgungs-

forschung ist mit Abschluss der

Studie vorläufig (weitgehend)

beendet. Ein weiteres

berufliches Standbein

hat er im Fachärzte-

zentrum Graz der

GKK gefunden, wo

er die Vorsorgeunter-

suchungen abwickelt.

Von der Ausbildung

in der Praxis ist Stig-

ler zutiefst überzeugt: „Man

lernt bei Allgemeinmedizinern

am meisten – auch als Stu-

dent.“

Die Ausbildung in der Lehr-

praxis – und zwar länger als

sechs Monate – ist ihm eben-

falls wichtig: „Ich habe neun

Monate gemacht und selbst

das war zu wenig.“ Als Einstieg

in die allgemeinmedizinische

Praxis hält er die Anstellungs-

möglichkeit für wichtig, „zu-

mindest für ein oder zwei

Jahre“. Dieser Vorschlag hat

auch Eingang in den Maßnah-

menkatalog der Studie gefun-

den – in der Kategorie „rele-

vant, aber nicht umsetzbar“.

Und: Die Aufwertung zum

„Facharzt“ für Allgemeinme-

dizin hält er für „ein wichtiges

Symbol“.

dizinischen Landarztpraxis

war! Das war für mich ein

wunderschönes Erlebnis und

ich habe seitdem viele moti-

vierte, glückliche Hausärzte

kennenlernen dürfen. Das

wissen leider auch zu we-

nig Studierende: Auch wenn

vieles in der Allgemeinmedi-

zin besser sein könnte, nicht

alles ist schlecht! Persön-

lich geht es mir bei meiner

Berufswahl aber wie vielen

in meiner Generation: Ich

möchte nicht alleine arbei-

ten, sondern gemeinschaftlich

und interdisziplinär, keine

60-Stunden-plus, sondern

auch ein Privatleben haben

und anderen – z. B. wis-

senschaftlichen – Interessen

nachgehen.

Wenn Sie zwei bis drei Maß-

nahmen als Gesundheitspoli-

tiker sofort umsetzen könnten,

welche wären das?

Ich erlaube mir, mir etwas an-

deres zu wünschen, bevor es

Zeit wird, konkrete Vorschlä-

ge zu machen. Ich – und da

spreche ich für das gesamte

Team des Instituts für Allge-

meinmedizin und evidenzba-

sierte Versorgungsforschung

– wünsche mir, dass sich

alle

Beteiligten zusammensetzen

und ein Maßnahmenpaket

schnüren, einen „Masterplan

Allgemeinmedizin“. Denn

mit einer einzelnen Maßnah-

me wird man keine großen

Sprünge machen! Wenn je-

doch jeder Beteiligte eine

dann werden wir uns fragen

müssen, warum wir „damals“

nicht gehandelt haben. Auf

andere zu zeigen, wird leider

weder heute noch im Nachhi-

nein etwas verändern.

1

Dr. med. Florian Stigler,

MPH (Projektleiter), Dr. med.

Klaus Jeitler, Julia Schirgi,

Mag. rer. nat. Thomas Sem-

litsch, Univ.-Prof. Dr. med.

Andrea Siebenhofer-Kroitzsch

(Institutsleitung IAMEV), Ca-

rolin Zipp, BA (Masterarbeit

FH Joanneum): Prävention

eines allgemeinmedizinischen

Landärztemangels. 2017. Un-

veröffentlicht.

„Ich wünsche mir, dass sich

alle

Beteiligten zusammensetzen und ein

Maßnahmenpaket schnüren, einen

‚Masterplan Allgemeinmedizin‘.“

Florian Stigler