AERZTE Steiermark 05 2014 - page 12

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Ærzte
Steiermark
 || 05|2014
medizin & gesellschaft
Substitutionstherapie –
eine medizinische Aufgabe
Martin Kurz
Die gesellschaftspolitischen
Hindernisse waren groß,
idealistische traditionelle
Therapieziele von Abstinenz
als einziger Lösungsmöglich-
keit und die krankheitsimma-
nente Nähe der Betroffenen
zu strafrechtlich relevanten
Handlungen in einer Welt
im Krieg gegen Drogen lie-
ßen auch die substituierenden
ProfessionistInnen verdächtig
werden: ÄrztInnen als Dealer,
die fahrlässig die Suchter-
krankung ihrer PatientInnen
prolongieren und ähnliche
Klischees werden bei Bedarf
auch heute noch bemüht.
Dennoch hat die breite An-
wendung dieser Therapieform
nicht nur auf individueller,
sondern auch auf gesellschaft-
licher Ebene zu enormen Ver-
änderungen der Drogenpro-
blematik in Bezug auf Opio-
ide geführt: Sekundärkrank-
heiten und Todesfälle wurden
reduziert, Opioidabhängige
können ein integriertes Le-
ben führen, epidemiologische
Untersuchungen zeigen eine
Stagnation der Neuerkran-
kungen, und die dominie-
rende illegale Marktsituation
konnte zerschlagen werden.
Der gesetzliche Rahmen zur
Substitutionstherapie besitzt
eine in der Medizin einzig-
artige zusätzliche Regulie-
rung ärztlichen Handelns
durch das Suchtmittelgesetz,
welches von einem hohen
Sicherheitsbedürfnis an-
getrieben ist und entspre-
chende Sanktionsdrohungen
bei Nichteinhaltung der (aus
therapeutischer Sicht teilwei-
se sehr rigiden) Regelungen
enthält.
Viele der gesetzlichen Rege-
lungen sind jedoch auch hilf-
reich, so wird eine seriöse Zu-
satzausbildung gefordert und
die geteilte Verantwortung
zwischen BehandlerInnen,
Behörde und Apotheken kann
auch konstruktiv beim Um-
gang mit „schwierigen“, bes-
ser gesagt, schwer kranken
Patientinnen und Patienten
genützt werden.
Aus einer unideologischen
und pragmatischen Perspek-
tive steht außer Zweifel, dass
der Großteil opioidabhängiger
Menschen im Querschnitt
nicht stabil abstinenzfähig ist.
Dafür sind mehrere Faktoren
verantwortlich: die Schwere
der Abhängigkeit (Opioide
besitzen ein enormes Abhän-
gigkeitspotential, da sie auf
neurobiologischer Ebene ele-
mentare Funktionen der Af-
fektregulierung besitzen), der
Krankheitsbeginn in Pubertät
und Adoleszenz (und die da-
raus entstehenden psychosozi-
alen Fehlentwicklungen) und
die häufig bereits vorbestehen-
den zusätzlichen psychischen
Probleme (Persönlichkeitsent-
wicklung, posttraumatische
Störungen, Ängste, Depres-
sionen, Psychosen, ADHS).
Viele der Betroffenen stam-
men aus prekären Herkunfts-
situationen und hatten sowohl
dadurch, als auch durch die
Kriminalisierung ihrer Le-
bensform noch keine Chance
auf eine Vision bzw. auf ein
leitendes Vorbild im Sinne ei-
ner bürgerlichen Lebensform.
Die Substitutionstherapie
strebt daher primär Ziele an,
wie sie die Medizin immer
schon bei chronisch Kranken
verfolgt hat: Herstellung einer
sicheren und begleiteten Ver-
sorgungssituation bezüglich
der benötigten Substanzen,
Behandlung bzw. Verhinde-
rung von Sekundärschäden
und die Ermöglichung von
dauerhafter ärztlicher und
psychosozialer Betreuung
ohne hohe Schwellen. Ärzt-
liches Ethos beinhaltet auch
immer den Respekt vor indi-
viduellen Lebenswelten, sogar
wenn sie destruktives Verhal-
ten beinhalten und krank-
heitsimmanent gestörtes Be-
ziehungsverhalten die klas-
sische ExpertInnenposition
immer wieder in Frage stellt
(Faktoren, welche im Übrigen
auch bei anderen Alters- und
Krankheitsgruppen therapeu-
tische und nicht exkludieren-
de Themen darstellen). Erst
auf der Basis dieser neu ge-
wonnenen Sicherheit können
weitere Schritte in Richtung
Die orale Opioid-Substitutionstherapie
für Opiodabhän-
gige hat sich während der letzten 25 Jahre auch in Österreich
als medizinische Standardmethode etabliert, berichtet Martin
Kurz, Leiter des Zentrums für Suchtmedizin am LSF Graz.
Prim. Univ. Prof. Dr.
Martin Kurz ist Leiter
des Zentrums für
Suchtmedizin am
LSF Graz.
Foto: KAGES/Furgler, beigestellt
„Substitutionstherapie muss somit leicht
erreichbar, wohnortnah und in einer
vertrauensvollen Atmosphäre stattfinden, in
welcher die zahlreichen basalen Anliegen der
Patienten und Patientinnen aus somatischer
und sozialer Ebene rasch und sorgfältig
beantwortet werden können.“
Martin Kurz
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