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Ærzte
Steiermark
|| 03|2015
ethik
martin novak
Am 20. Februar erschien
das Magazin Newsweek mit
einem düsteren Titel: „Ster-
ben auf Holländisch: Eutha-
nasie verbreitet sich Europa“,
lautete die Schlagzeile. We-
nige Tage zuvor hatte die
Bioethikkommission beim
Bundeskanzleramt ihre um-
strittene Stellungnahme be-
schlossen, in der sie sich für
eine Lockerung der Bestim-
mungen für den assistierten
Selbstmord aussprach. Und
noch drei Tage früher hatte
die Ärztekammer Steiermark
zur Diskussionsveranstaltung
„Menschenwürde am Lebens-
ende“ geladen. Auf Initiative
des Vorsitzenden der stei-
rischen ÄK-Ethikkommission,
Prof. Ronald Kurz, referierten
dort Prof. Karl Harnoncourt,
Mitbegründer der Hospiz-
idee in der Steiermark, der
Sozialmediziner Prof. Horst
Noack, der frühere Dekan der
Medizinischen Fakultät Graz,
Prof. Thomas Kenner und die
Palliativmedizinerin OA Jul-
jana Verebes. Mit dem Theo
logen und Mediziner Prof.
Walter Schaupp war auch ein
Mitglied der österreichischen
Bioethikkommission anwe-
send, deren Text wenig später
so hohe Wellen schlagen sollte.
Holland war auch in Graz
omnipräsent: Ärztekammer-
präsident Herwig Lindner
wies bereits in seiner Begrü-
ßung auf die nahezu explo-
sive Entwicklung der nie-
derländischen Tötungszahlen
hin. Diese Zahlen sind tat-
sächlich beklemmend: 2013
(letzte verfügbare Zahl) gab
es 4.829 gemeldete ärztlich
assistierte Suizide, 641 mehr
als im Jahr davor. Rund drei
Viertel betrafen Krebspati-
enten, die höchsten Steige-
rungsraten – wenngleich auf
niedrigem Niveau – gab es
aber bei Demenzkranken und
psychiatrischen Diagnosen.
„Die Sterbehilfe gerät außer
Kontrolle, da ist ein System
krank“ warnte Lindner. Diese
Entwicklung ist nicht neu:
Seit mehreren Jahren steigen
die Fälle jährlich um zwei-
stellige Prozentsätze. Selbst
einer der Befürworter des
niederländischen Euthana-
siegesetzes, der Ethiker Theo
Boer, hat sich kürzlich von
seiner positiven Einstellung
verabschiedet: „Ich lag falsch“,
schrieb er in einem Mitte
2014 veröffentlichten Artikel,
„wenn der Geist einmal aus
der Flasche ist, ist es unwahr-
scheinlich, dass er je wieder
zurückkehrt.“
Während in Holland fast
4.300 Allgemeinmediziner
Innen und hunderte Fachärzt
Innen Euthanasie betreiben
(müssen), gibt es hierzulande
eine klare ärztliche Ableh-
nung: „Töten ist nicht im
Kanon der Ärzte festgelegt“,
formulierte Noack in Graz die
Position, die auch Inhalt einer
ÖÄK-Resolution ist, die erst
kürzlich wieder bekräftigt
wurde.
Aber: Es ist sei „ein Kampf“
im Gange, warnte Schaupp
bei der Enquete. Zur von
der Euthanasiebewegung
proklamierten „Philosophie
der Freiheit“ gehöre auch der
selbstbestimmte Tod. Der He-
bel zur Lockerung scheint die
Abschaffung des Paragrafen
78 im Strafgesetzbuch zu sein,
der die Mithilfe zur Selbsttö-
tung unter Strafe stellt. Die
Bioethikkommission verlangt
hier (mehrheitlich) eine Ab-
änderung. Schaupp gehört
zu jenen, die das ablehnen,
Ärztinnen und Ärzte,
die Patienten bei der Selbsttötung
unterstützen (müssen)? Die Ablehnung in Österreich ist
groß. Aber die aus Holland kommende Welle hat die hei-
mischen Ufer bereits erreicht.
„Darüber hinaus sollte die Hilfeleistung
durch Ärzte beim Suizid in bestimmten
Fällen entkriminalisiert werden, um es
letztlich dem Patienten zu ermöglichen,
offen mit dem Arzt über seine Situation zu
sprechen, ohne gleich fürchten zu müs-
sen, aufgrund akuter Selbstgefährdung
zwangsweise untergebracht zu werden.“
Mehrheitsvotum
Stellungnahme der Bioethikkommission
„Bei Angehörigen oder betreuenden Ärzten
der suizidwilligen Person kann ein solcher
Suizidwunsch zu gravierenden Gewissens-
konflikten führen, nicht zuletzt aufgrund
von Unkenntnis der geltenden Rechtslage
bzw. irrtümlicher Annahme einer Strafbar-
keit. Eine solche Gewissensnot ist in der
ethischen und rechtlichen Urteilsbildung in
Fällen von Suizidbeihilfe bei Angehörigen
und bei Ärzten zu berücksichtigen.“
Abweichendes Votum
Sterbehilfeschrei
Fotos: Schiffer, Newsweek