Ærzte
Steiermark
|| 07_08|2015
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extra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 48.
debatte
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, Rothwangl, Grafik: Mirko Maric´
Standortbestimmung
Je mehr man sich mit dem Mystery Shopping be-
fasst, desto absurder wird es: Der politische Scha-
den wird gewaltig sein, der wirtschaftliche Nutzen
aber höchst bescheiden – oder noch schärfer: Es
wird gar keinen geben.
Aber das will die Regierung nicht zugeben:
Schließlich geht es um das Prestigeobjekt „Steuer-
reform“. Allerdings sollten die Verantwortlichen
bedenken, dass sie mit derart unsinnigen Begleit-
maßnahmen den eigenen Erfolg zerstören und
das belastete Klima im Gesundheitsbereich weiter
vergiften.
Es gibt sie ja, die Stimmen der Vernunft. Auch
unter den Experten, auch in der Politik. Sie argu-
mentieren auch sehr sachlich, ähnlich wie die Ärz-
tekammer. Das Vertrauen zwischen Ärztin/Arzt
und Patientin/Patient ist zu wertvoll, um es für
einen fiktiven wirtschaftlichen Nutzen aufs Spiel
zu setzen.
Wer Misstrauen in die Arztpraxen trägt, liefert
gleichzeitig Kontrollmehraufwand. Das heißt
weniger Zeit, mehr Diagnostik, mehr Verwaltung.
Dadurch entstehen wiederum zusätzliche Kosten
und starke Belastungen für das System, für die
Ärztinnen und Ärzte, für die Patientinnen und
Patienten.
Wir Ärztinnen und Ärzte werden uns zu wehren
wissen. Möglichkeiten gibt es genug. Aber der
Schaden für die politischen Entscheidungsträger,
der Schaden für das Gesundheitssystem und der
für die Bevölkerung wird bleiben, wenn Regierer
und Parlamentarier auf dem Sozialbetrugsgesetz
in der angekündigten Form beharren.
Diese sollten also nicht darüber streiten, welche
der beiden Koalitionsparteien die Schuld trägt,
sondern schlicht von diesem Vorhaben Abstand
nehmen. Dann ist keiner schuld.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
Es gehört zu den politischen Ritualen, der Ärzteschaft Reform-
verweigerung vorzuwerfen. Diese Reformverweigerung ist ein
Mythos, der einfach widerlegt werden kann.
Einige Beispiele: Ärztliche Institutionen und Gesellschaften
bemühen sich laufend um Qualitätsmessung, Qualitätsverbes-
serung und Qualitätsmanagement – nur nicht in der oberfläch-
lichen und nutzlosen Form, die manche Laien (und dazu gehö-
ren oft auch Politikerinnen und Politiker) gerne hätten.
Ärztinnen und Ärzte wollen Gruppenpraxen, Ärztegesellschaften
und Ärztezentren. Aber solche, in de-
nen sie ihre ärztliche Arbeit gut machen
können – und nicht solche, die einfach
nur viel Geld kosten, aber weder den
dort Tätigen, noch den Patientinnen
und Patienten etwas bringen. Das erste
umfassende Konzept für ein Ärztezen-
trum hat die Ärztekammer Steiermark
bereits 2004/2005 vorgelegt. Unsere „Versorgungspartner“ haben
es nur weitgehend ignoriert.
Über die mittlerweile zehn
Styriamed.net-Netzwerke brauchen
wir nicht viele Worte zu verlieren: Sie sind nicht perfekt, aber es
sind reale, lernende Systeme.
Wir wissen auch alle, dass die Versorgungsstrukturen in der
Steiermark auf dem Prüfstand stehen. Dass Reformen angegan-
gen werden müssen. Wir wissen auch, dass es sich dabei um
ein langfristiges Projekt handelt. Vieles, was heute entschieden
wird, kann erst in zehn bis 15 Jahren greifen. Was heute nicht
diskutiert und entschieden wird, kann es in zehn bis 15 Jahren
nicht geben. Ohne transparente, offene Diskussionskultur gibt es
politische Konflikte, die sachlich richtige Entscheidungen sehr,
sehr schwierig – und manchmal sogar unmöglich – machen. Vor
allem kommen sie oft zu spät.
Ein simples, aber greifbares Beispiel: Die endgültige Entschei-
dung, das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder auf einen
Standort in Graz zu konzentrieren, ist 2013 gefallen – nach lan-
ger Diskussion. Fertiggestellt wird das „neue“ Krankenhaus der
Barmherzigen Brüder voraussichtlich im Jahr 2021.
Also: Wenn wir 2025 die richtigen Strukturen haben wollen,
müssen wir heute starten. Und das ist schon sehr spät.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark.
Jörg Garzarolli
Mysteriöses
Mystery Shopping
Herwig Lindner
Reformen starten – damit sie in
zehn Jahren möglich werden