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ÆRZTE
Steiermark
|| 10|2015
Fotos: Harry Schiffer
#OFFENEWORTE
„Es muss mehr drinnen sein“
In der Betreuung alter Menschen
fehlt es an vielem. Darüber waren sich die Teilneh-
mer der Diskussionsveranstaltung „Alte Eisen – neue Wege“ einig. Dem Motto der Reihe
„#offeneworte“ wurde der Abend mehr als gerecht.
MARTIN NOVAK
Wie ist es um die Betreuung
älterer, alter und hochaltriger
Menschen bestellt? Das war
Ende September das Thema
einer bewegten Diskussions-
veranstaltung im Rahmen der
Reihe #offene Worte.
Mit dem ehemaligen Rektor
der Karl-Franzens-Universi-
tät, dem Manager und Wirt-
schaftswissenschafter Alfred
Gutschelhofer, fand sich da-
für ein Keynote-Speaker, der
die eigene Erfahrung bei der
Betreuung seiner Eltern mit
allgemeiner Systemkenntnis
zu verknüpfen wusste. „Es
ist ein Thema, das in der Ge-
sellschaft schon lange brennt“,
sagte Gutschelhofer. Aber es
brennt im Verborgenen. Denn
die Schuld an der eigenen
Krankheit – oder auch nur
Einschränkung – werde oft
den Betroffenen, und wenn
diese aufgrund einer men-
talen Beeinträchtigung die
Schuldzuweisung nicht mehr
wahrnehmen könnten, den
Angehörigen gegeben. Dabei
müsse „mehr für die Gruppe
drinnen sein, die Hilfe am
dringendsten benötigt“. Da-
bei würde die Betreuung und
Pflege in einzelnen Bereichen
durchaus gut funktionieren,
nur gäbe es zwischen diesen
einzelnen Bereichen große,
teils für Betroffene und Ange-
hörige kaum überwindliche
Gräben. „Aber“, so der Re-
ferent, „meine Mutter inte-
ressiert es nicht, wenn sich
Funktionäre jahrzehntelang
nicht einigen können“. Mit
dieser Bemerkung traf er ei-
nen Nerv.
Ähnliche Erfahrungen wie
Gutschelhofer hat auch die
ehemalige Landtagsabgeord-
nete Ingrid Gady gemacht, die
ihren kürzlich verstorbenen
Gatten „liebevoll, würdevoll
und wertschätzend“ betreut
hat und einen Verein lei-
tet, der ehrenamtliche Hilfe
besser zugänglich machen
will. Sie habe sich „oft sehr
alleingelassen gefühlt“, sagte
sie und sprach sich für eine
„Wertediskussion“ aus.
Dass es grundlegende Feh-
ler gibt, bestätigte auch der
Geschäftsführer des Sozial-
hilfeverbandes Liezen und
Obmann des Dachverbandes
der öffentlichen Pf legeein-
richtungen, Jakob Kabas: „Es
gibt ausreichend kreative
hauptamtliche und ehren-
amtliche Menschen in diesem
Bereich, aber auch Fixie-
rungen finanzieller, struk-
tureller, rechtlicher ideolo-
gischer, menschlicher Art“,
sodass er sich frage, „ob das
System insgesamt nicht gegen
das Heimaufenthaltsgesetz
verstößt“.
Der WK-Obmann der Ge-
sundheitsbetriebe und Arzt
Martin Hoff übte Kritik an
den geografischen Versor-
gungslücken, die oft zu einer
Entwurzelung alter Menschen
führe: „Das ist das Schlimms
te, das man einem alten Men-
schen antun kann.“
Prim. Peter Mrak, ärztlicher
Direktor des LKH Voitsberg
und Geriatrie-Experte, plä-
dierte für die Stärkung ei-
ner auf die Menschen aus-
gerichteten geriatrischen
Versorgung und sprach
von einer „wahnsinnige(n)
Diagnosesehnsucht, aber
unterbelichtete(n) Refunk-
tionalisierungssehnsucht“.
Der Patient, zitierte Mrak
den deutschen Psychologen
Volker Pudel, wolle immer
unbeschadet aus der Situa-
tion herauskommen, „aber
wir schaffen das nicht“. Mrak
wies auch auf die zu we-
nig beachteten Potentiale der
Akutgeriatrie hin, die es laut
internationaler Forschung in
beeindruckender Dimensi-
on schaffe, Menschen nach
einem Schicksalsschlag wie-
der zu befähigen, weitgehend
selbstständig zu bleiben. Und
„Es ist ein Thema, das in
der Gesellschaft schon
lange brennt.“
Alfred Gutschelhofer
„Es gibt zu wenig
Anreize für ärztliche
Hausbesuche.“
Jörg Garzarolli
„Es gibt Fixierungen
rechtlicher (…) und
menschlicher Art.“
Jakob Kabas
„Oft habe ich mich habe
sehr alleingelassen
gefühlt.“
Ingrid Gady