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ÆRZTE
Steiermark
|| 09|2017
WIRTSCHAFT
&
ERFOLG
Kleine Änderungen
mit großer Wirkung
Generell müssen Durchgänge
unverstellt sein, Stehlampen
mit losen Kabeln im Raum
oder „wandernde“ Kleinmö-
bel sind im wahrsten Sinne
des Wortes ein No-Go. Auch
Glaswände in „Verkehrsflä-
chen“ können für Menschen
mit Sinnes- und/oder Be-
wegungsbeeinträchtigung
ausgesprochen problematisch
sein. Höhere Sitzmöbel sind
vorteilhaft für ältere und in
der Bewegung beschränkte
Menschen, weil sie nicht aus
der Tiefe aufstehen müssen.
Parkett- oder Linoleumböden
sind gewiss stolperfrei, Tep-
pichbrücken aber nicht. Mö-
belelemente, die der Raum-
gliederung dienen, verstellen
oft die Sicht auf mittlerweile
sehr gängige elektronische
Aufruftafeln. Grundsätzlich
gilt: In klar angeordneten und
gestalteten Räumen kommen
die Patientinnen und Pati-
enten am besten zurecht.
Geräumiges,
grifffestes WC
Klein, aber umso heikler ist
das WC. Bei Althausordina-
tionen kann ein behinder-
tengerechtes WC fast nicht
eingebaut werden, ohne auf
tragende Mauern zu stoßen.
Oft wird die Trennwand zum
Badezimmer entfernt. Für
diese nachträgliche Adap-
tierung dürfen die zu ent-
fernenden Wände keine In-
stallationsrohre, elektrische
Leitungen und dergleichen
führen – oder diese müssen
verlegt werden. Notwendig
sind neben dem Rangierkreis
von 150 cm Durchmesser
noch 90 cm Platz als Hilfe
zum Wechseln vom Rollstuhl
auf einen WC-Sitz, der durch
einen Stützklappengriff oder
Bügelgriff unbedingt Sicher-
heit bieten sollte. Auch seit-
lich des WC-Sitzes sind ein
vertikaler und ein horizonta-
ler Haltegriff vorgeschrieben.
Bei Installierung neuer Griffe
ist zu prüfen, ob die Mauer,
in der sie verankert sind, die-
se Belastung trägt. Der Sitz
sollte ebenfalls 46 bis 48 cm
über dem rutschfesten Boden
liegen. Leichtgängige Spül-
knöpfe und Armaturen und
ein Notruf-Knopf komplet-
tieren ein barrierefreies WC.
Nach außen zu öffnende WC-
Türen ermöglichen rasche
Hilfe, falls trotzdem jemand
stürzt. Für das Waschbecken
hilft ein Selbsttest weiter: sich
auf einen Sessel oder einen
Gästerollstuhl setzen und ver-
suchen, sich aus dieser Posi-
tion so genau wie üblich zu
waschen. Eine Höhe von 80
bis 85 cm macht das leichter
und erlaubt es den Patient
Innen im Rollstuhl, unter das
Becken zu fahren.
Besser umziehen?
Dämmt das Haus schlecht,
oder machen Anrainer oder
Mitbesitzer die Barrierefrei-
Sanierung schwer (etwa den
Einbau von Rampen zum
Hauseingang) – werden also
mehrere Mängel mit einem
Schlag virulent –, sollte
durchaus auch ein Umzug ins
Auge gefasst werden.
Prinzipiell ist für alle äußeren
Umbauten eine Baugenehmi-
gung nötig. Im Inneren nur,
wenn die Bausubstanz be-
troffen ist, etwa wenn in eine
tragende Mauer ein Durch-
reicheschlupf eingebaut wird.
Oder wenn eine Benutzungs-
änderung vorliegt. Im äuße-
ren Bereich muss man vor
allem wegen Lift und Rampe
ansuchen. Sind nur ein paar
Treppen von der Straße oder
dem Vorgarten in das Haus
zu überwinden, wird eventu-
ell ein Plattform-Treppenlift
ausreichen. Liegt die Ordi-
nation hingegen im 3. Stock
eines Altbauhauses, wird man
um einen Personenlift kaum
herumkommen. Dieser wird
dann meist außen angebaut,
bei einem geräumigen Trep-
penhaus auch innen. Drei
Fragen stellen sich: Sind die
Kosten tragbar, sind die üb-
rigen HausbewohnerInnen
einverstanden und wird so
ein Umbau bewilligt werden
– was gerade in Altstadt-
Arealen leider nicht selbst-
verständlich ist. Würde es zu
teuer werden oder würden
sich die anderen Bewohner
kategorisch sperren, so ist
ein Standortwechsel der Or-
dination wahrscheinlich ins
Auge zu fassen. Oder man
nimmt die durchsetzbaren
Sanierungen vor und hofft im
Fall der Beanstandung einer
Diskriminierung auf ein Ent-
gegenkommen der Behörde.
Förderungen bzw. Zuschüsse
für den Umbau zu barrie-
refreien Ordinationen sind
eher im Auslaufen. In Zeiten
des Ärztemangels erklären
sich aber manche (Land-)
Gemeinden bei dringenden
Fällen bereit, Umbauten, die
der Barrierefreiheit dienen, zu
unterstützen.
Vergleich statt Prozess
Werden Barrieren wie Stufen
oder nicht-barrierefreies WC
nicht beseitigt, können Pati-
entInnen eine Diskriminie-
rung geltend machen und auf
Schadenersatz klagen, außer
die Beseitigung der Barriere
wäre gesetzeswidrig – etwa
in Denkmal-geschützten Bau-
ten. Damit sich solche Kla-
gen in Grenzen halten, ist
zunächst ein verpflichtendes
Schlichtungsverfahren bei
den Landesstellen des Sozial-
ministeriumsservices vorge-
sehen. Damit kann kostenfrei
und formlos versucht wer-
den, eine außergerichtliche
Einigung zu erzielen. Geprüft
wird etwa, ob eine unzumut
bare Belastung vorliegt. Sie
stellt auf den Aufwand zur
Beseitigung der Barriere, die
wirtschaftliche Leistungsfä-
higkeit des Verpflichteten und
eventuelle Förderungen aus
öffentlichen Mitteln ab.
Sprengt die Beseitigung der
Barriere die Zumutbarkeit,
liegt nur dann eine Diskri-
minierung vor, wenn verab-
säumt wurde, durch zumut-
bare Maßnahmen zumindest
eine maßgebliche Verbesse-
rung der Lage zu bewirken
– daher zahlt sich ein de-
taillierter und sachkundiger
Blick, was mit vertretbarem
Aufwand machbar ist, durch-
aus aus. Wenn eine einzelne
Patientin oder ein einzel-
ner Patient klagt, trägt sie/
er das Prozessrisiko, weni-
ger Risiko besteht allerdings,
wenn mehrere PatientInnen
den gleichen Leidensdruck
empfinden. Dann kann der
Weg zum Klagsverband ein-
geschlagen werden, der diese
Risiken minimiert. Am bes
ten ist also, diesbezüglich al-
les Machbare von vorneherein
umzusetzen und sich „im Fall
des Falles“ mit der Patientin/
dem Patienten zumindest im
außergerichtlichen Schlich-
tungsverfahren zu einigen.
Informationen:
„Der Weg zur barrierefreien
Ordination“: Verlagshaus der
Ärzte, Wien 2016
„Barrierefreies Bauen für alle
Menschen“: Stadtbaudirektion
Graz, Referat für Barrierefrei-
es Bauen, 2006. (Eine Neuauf-
lage dieser sehr detaillierten
Broschüre mit den neuen Ö-
Normen ist für 2018 geplant.)