Previous Page  34 / 60 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 34 / 60 Next Page
Page Background

34

ÆRZTE

Steiermark

 || 09|2017

WIRTSCHAFT

&

ERFOLG

Kleine Änderungen

mit großer Wirkung

Generell müssen Durchgänge

unverstellt sein, Stehlampen

mit losen Kabeln im Raum

oder „wandernde“ Kleinmö-

bel sind im wahrsten Sinne

des Wortes ein No-Go. Auch

Glaswände in „Verkehrsflä-

chen“ können für Menschen

mit Sinnes- und/oder Be-

wegungsbeeinträchtigung

ausgesprochen problematisch

sein. Höhere Sitzmöbel sind

vorteilhaft für ältere und in

der Bewegung beschränkte

Menschen, weil sie nicht aus

der Tiefe aufstehen müssen.

Parkett- oder Linoleumböden

sind gewiss stolperfrei, Tep-

pichbrücken aber nicht. Mö-

belelemente, die der Raum-

gliederung dienen, verstellen

oft die Sicht auf mittlerweile

sehr gängige elektronische

Aufruftafeln. Grundsätzlich

gilt: In klar angeordneten und

gestalteten Räumen kommen

die Patientinnen und Pati-

enten am besten zurecht.

Geräumiges,

grifffestes WC

Klein, aber umso heikler ist

das WC. Bei Althausordina-

tionen kann ein behinder-

tengerechtes WC fast nicht

eingebaut werden, ohne auf

tragende Mauern zu stoßen.

Oft wird die Trennwand zum

Badezimmer entfernt. Für

diese nachträgliche Adap-

tierung dürfen die zu ent-

fernenden Wände keine In-

stallationsrohre, elektrische

Leitungen und dergleichen

führen – oder diese müssen

verlegt werden. Notwendig

sind neben dem Rangierkreis

von 150 cm Durchmesser

noch 90 cm Platz als Hilfe

zum Wechseln vom Rollstuhl

auf einen WC-Sitz, der durch

einen Stützklappengriff oder

Bügelgriff unbedingt Sicher-

heit bieten sollte. Auch seit-

lich des WC-Sitzes sind ein

vertikaler und ein horizonta-

ler Haltegriff vorgeschrieben.

Bei Installierung neuer Griffe

ist zu prüfen, ob die Mauer,

in der sie verankert sind, die-

se Belastung trägt. Der Sitz

sollte ebenfalls 46 bis 48 cm

über dem rutschfesten Boden

liegen. Leichtgängige Spül-

knöpfe und Armaturen und

ein Notruf-Knopf komplet-

tieren ein barrierefreies WC.

Nach außen zu öffnende WC-

Türen ermöglichen rasche

Hilfe, falls trotzdem jemand

stürzt. Für das Waschbecken

hilft ein Selbsttest weiter: sich

auf einen Sessel oder einen

Gästerollstuhl setzen und ver-

suchen, sich aus dieser Posi-

tion so genau wie üblich zu

waschen. Eine Höhe von 80

bis 85 cm macht das leichter

und erlaubt es den Patient­

Innen im Rollstuhl, unter das

Becken zu fahren.

Besser umziehen?

Dämmt das Haus schlecht,

oder machen Anrainer oder

Mitbesitzer die Barrierefrei-

Sanierung schwer (etwa den

Einbau von Rampen zum

Hauseingang) – werden also

mehrere Mängel mit einem

Schlag virulent –, sollte

durchaus auch ein Umzug ins

Auge gefasst werden.

Prinzipiell ist für alle äußeren

Umbauten eine Baugenehmi-

gung nötig. Im Inneren nur,

wenn die Bausubstanz be-

troffen ist, etwa wenn in eine

tragende Mauer ein Durch-

reicheschlupf eingebaut wird.

Oder wenn eine Benutzungs-

änderung vorliegt. Im äuße-

ren Bereich muss man vor

allem wegen Lift und Rampe

ansuchen. Sind nur ein paar

Treppen von der Straße oder

dem Vorgarten in das Haus

zu überwinden, wird eventu-

ell ein Plattform-Treppenlift

ausreichen. Liegt die Ordi-

nation hingegen im 3. Stock

eines Altbauhauses, wird man

um einen Personenlift kaum

herumkommen. Dieser wird

dann meist außen angebaut,

bei einem geräumigen Trep-

penhaus auch innen. Drei

Fragen stellen sich: Sind die

Kosten tragbar, sind die üb-

rigen HausbewohnerInnen

einverstanden und wird so

ein Umbau bewilligt werden

– was gerade in Altstadt-

Arealen leider nicht selbst-

verständlich ist. Würde es zu

teuer werden oder würden

sich die anderen Bewohner

kategorisch sperren, so ist

ein Standortwechsel der Or-

dination wahrscheinlich ins

Auge zu fassen. Oder man

nimmt die durchsetzbaren

Sanierungen vor und hofft im

Fall der Beanstandung einer

Diskriminierung auf ein Ent-

gegenkommen der Behörde.

Förderungen bzw. Zuschüsse

für den Umbau zu barrie-

refreien Ordinationen sind

eher im Auslaufen. In Zeiten

des Ärztemangels erklären

sich aber manche (Land-)

Gemeinden bei dringenden

Fällen bereit, Umbauten, die

der Barrierefreiheit dienen, zu

unterstützen.

Vergleich statt Prozess

Werden Barrieren wie Stufen

oder nicht-barrierefreies WC

nicht beseitigt, können Pati-

entInnen eine Diskriminie-

rung geltend machen und auf

Schadenersatz klagen, außer

die Beseitigung der Barriere

wäre gesetzeswidrig – etwa

in Denkmal-geschützten Bau-

ten. Damit sich solche Kla-

gen in Grenzen halten, ist

zunächst ein verpflichtendes

Schlichtungsverfahren bei

den Landesstellen des Sozial-

ministeriumsservices vorge-

sehen. Damit kann kostenfrei

und formlos versucht wer-

den, eine außergerichtliche

Einigung zu erzielen. Geprüft

wird etwa, ob eine unzumut­

bare Belastung vorliegt. Sie

stellt auf den Aufwand zur

Beseitigung der Barriere, die

wirtschaftliche Leistungsfä-

higkeit des Verpflichteten und

eventuelle Förderungen aus

öffentlichen Mitteln ab.

Sprengt die Beseitigung der

Barriere die Zumutbarkeit,

liegt nur dann eine Diskri-

minierung vor, wenn verab-

säumt wurde, durch zumut-

bare Maßnahmen zumindest

eine maßgebliche Verbesse-

rung der Lage zu bewirken

– daher zahlt sich ein de-

taillierter und sachkundiger

Blick, was mit vertretbarem

Aufwand machbar ist, durch-

aus aus. Wenn eine einzelne

Patientin oder ein einzel-

ner Patient klagt, trägt sie/

er das Prozessrisiko, weni-

ger Risiko besteht allerdings,

wenn mehrere PatientInnen

den gleichen Leidensdruck

empfinden. Dann kann der

Weg zum Klagsverband ein-

geschlagen werden, der diese

Risiken minimiert. Am bes­

ten ist also, diesbezüglich al-

les Machbare von vorneherein

umzusetzen und sich „im Fall

des Falles“ mit der Patientin/

dem Patienten zumindest im

außergerichtlichen Schlich-

tungsverfahren zu einigen.

Informationen:

„Der Weg zur barrierefreien

Ordination“: Verlagshaus der

Ärzte, Wien 2016

„Barrierefreies Bauen für alle

Menschen“: Stadtbaudirektion

Graz, Referat für Barrierefrei-

es Bauen, 2006. (Eine Neuauf-

lage dieser sehr detaillierten

Broschüre mit den neuen Ö-

Normen ist für 2018 geplant.)