Ein Richter, der durchgehend 25 Stunden verhan-
delt. Eine Statikerin, die 25 Stunden an Brücken-
konstruktionen rechnet. Ein LKW-Fahrer, der
25 Stunden ununterbrochen auf der Autobahn
unterwegs ist. Die Pilotin, die 25 Stunden ohne
Pausen Passagiere in den Urlaub und wieder zu-
rück bringt. Das sind durchwegs unvorstellbare
Szenarien.
Sollten sie doch vorkommen weil ein (privater)
Arbeitgeber Geld sparen will, geht eine Welle der
Empörung durch die Republik.
Aber Ärztinnen und Ärzte dürfen und müssen
noch länger arbeiten – für einen Arbeitgeber, der
in den meisten Fällen die öffentliche Hand ist
oder von der öffentlichen Hand finanziert wird.
Jene öffentliche Hand, die darüber wacht, dass
solche Vorfälle im Bereich der Privatwirtschaft
nicht vorkommen.
Ruhephasen, eine beliebte Rechtfertigung für
überlange Dienste, sind längst die seltene Aus-
nahme. Ärztinnen und Ärzte werden nicht nur
überdurchschnittliche intellektuelle Leistungen
sondern oft auch körperliche Höchstleistungen
abverlangt, die selbst in einer normalen Arbeits-
zeit von acht oder zehn Stunden schon schwer
auszuhalten sind. Die Folgen von arbeitszeitbe-
dingten Aussetzern wirken sich unmittelbar auf
Menschenleben aus, es gibt kein Netz, keine tech-
nischen Warnsignale und keinen Co-Piloten, der
unauffällig das Steuer übernimmt.
Auf den letzten Vorstoß hat der Sozialminister
mit dem zarten Hinweis reagiert, dass es halt am
nötigen Geld fehle. Frage: Darf sich ein Stahlkon-
zern in Zukunft auch darauf berufen? Oder sind
nahe frühkapitalistische Arbeitsbedingungen ein
Privileg des öffentlichen Bereichs?
Vizepräsident Dr. Martin Wehrschütz
ist Obmann der Kurie Angestellte Ärzte.
intra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 42.
Martin Wehrschütz
Frühkapitalistische
Arbeitszeiten
kont a
Sie gelten als zwei der sieben Todsünden: Gier und Geiz – und
nicht selten hängen sie zusammen. Im Gesundheitswesen be-
dingen sie sich zum Teil gegenseitig und könnten mittelfristig
zum Tod des Systems führen. Da ist zum einen die Gier: in
kaum einem anderen Bereich des öffentlichen Lebens wird
soviel Geld bewegt wie im Gesundheitswesen. Sage und schrei-
be mehr als elf Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung in
unserem Land. Damit ist die Gesundheitswirtschaft die größte
Branche des Landes.
Und weil das System intransparent ist, haben es sich viele
zum Ziel gesetzt, es kräftig für den eigenen Vorteil auszu-
nutzen: Pharmafirmen haben Gewinnspannen von bis zu 30
Prozent, Medizinproduktehersteller teilweise mehr. Einzelne
Spitzenärzte verdienen mit Privathonoraren mehr als eine
Million Euro pro Jahr. Baufirmen drängen in den Spitalsbau,
Dienstleister wollen Rehabzentren betreiben – die Leistung ist
planbar, die Honorare kommen von der öffentlichen Hand –
das verspricht satte, krisensichere Gewinne. Immer mehr hat
man den Eindruck, dass das Gesundheitswesen zum Selbstbe-
dienungsladen für einige wenige wird. ImWeg stehen die Pati-
enten. Sie sollen sich ruhig verhalten, sich Heilung versprechen
und mit allem therapieren lassen, was Gewinne verspricht.
So viel Gier produziert bei jenen, die die Leistungen zahlen
müssen Geiz. Sie sparen wo es geht. Das ist nicht immer das
Sinnvollste. Es stellt sich nicht die Frage, wie eine optimale
Versorgung im Sinne der Patienten aussehen kann, sondern
nur, wo es am leichtesten möglich ist, die begrenzten Ressour-
cen tatsächlich zu begrenzen. In Krankenhäusern werden be-
reits mehr als 50 Prozent der Arzneimittelausgaben für teure
Krebsmedikamente ausgegeben. Darüber zu diskutieren ist
heikel. Prioritäten zu setzen und die Frage zu stellen, welches
Angebot nötig ist, führt in ethische Sackgassen. Dabei ist diese
Form von Geiz gar nicht notwendig. Wir sollten einfach mehr
Transparenz schaffen im System, die gierigen Geldverschwen-
der benennen und diskutieren, wie eine optimale Versorgung
im Sinne der Patienten aussehen kann. Es geht nicht um die
Frage, allen alles zu Verfügung zu stellen oder Dinge zu ratio-
nieren, sondern um die Frage, was wirklich sinnvoll ist. Dann
wird sich zeigen, dass genügend Geld für die zentralen Themen
und eine gute Versorgung – der Patienten, nicht der Anbieter –
vorhanden ist.
Martin Schriebl-Rümmele ist Gesundheits- und Wirtschafts-
journalist sowie Autor mehrerer Bücher.
Martin Schriebl-Rümmele
Von den Todsünden
Gier und Geiz
6
Ærzte
Steiermark
|| 06|2013