Ærzte
Steiermark
|| 06|2013
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thema
(Un)heimliche
Rationierung
Robert Ernst-Kaiser
Martin Novak
Als der damalige deutsche
Bu nde s ä r z t e k amme r pr ä-
sident Jörg-Dietrich Hoppe
2009 das Thema der Priori-
sierung im Gesundheitswe-
sen offen ansprach, wurde
er von PolitikerInnen und
Krankenkassenfunktionären
heftig geprügelt. Gesund-
heitsministerin Ulla Schmidt
bezeichnete die Aussage als
„menschenverachtend“, FDP-
Gesundheitsexperte Daniel
Bahr sah es eher taktisch
und meinte, „wer eine solche
Debatte im Wahljahr beginnt,
muss sich über so scharfe Re-
aktionen in der Öffentlichkeit
nicht wundern.“
Als Bahr dann zwei Jahre
später als amtierender Ge-
sundheitsminister beim 114.
Deutschen Ärztetag auftrat,
formulierte er seine Ableh-
nung bereits grundsätzlicher:
Es sei „unser Ehrgeiz und
unser Ziel, die Versorgungs-
strukturen so zu verbessern
und die Finanzierung des Ge-
sundheitswesens so nachhaltig
zu gestalten, dass Debatten
über Rationierung und auch
Priorisierung unnötig werden“.
Der Politik, so könnte man
meinen, ist heimliche Ratio-
nierung weniger unheimlich
als eine öffentlich geführte De-
batte über die Einschränkung
von solidarisch finanzierten
Gesundheitsleistungen.
In skandinavischen Ländern
(siehe Kasten) wird das Thema
bereits seit Jahrzehnten offen
diskutiert und praktiziert.
>>
Priorisierung
ist für die einen ein
Weg zur Transparentmachung der
begrenzten Möglichkeiten des öf-
fentlichen Gesundheitswesens, für
die anderen der erste Schritt zu einer
brutalen „offiziellen“ Rationierung. In
Deutschland gibt es eine breite Fach-
diskussion. In Österreich offenbar nur
hinter vorgehaltener Hand.
Das System Schweden
1997 verabschiedete der schwedische Reichstag eine Priori-
sierungsordnung, welche als Grundlage für die Priorisierung
dient. Zum einen wurde in einem demokratischen Prozess
das Angebot an gemeinschaftlich finanzierten Gesundheits-
leistungen festgelegt und danach wurde der Zugang zu diesen
Leistungen nach Prioritäten fixiert.
Priorisierungsgruppe 1
y
Die Versorgung lebensbedrohlicher, akuter Krankheiten
y
Versorgung solcher Krankheiten, die ohne Behandlung zu
dauerhafter Invalidisierung oder zu einem vorzeitigen Tod
führen
y
Versorgung schwerer chronischer Krankheiten
y
Palliative Versorgung sowie Versorgung in der Endphase
des Lebens
y
Versorgung von Menschen mit herabgesetzter Autonomie
Priorisierungsgruppe 2
y
Prävention und Rehabilitation
Priorisierungsgruppe 3
y
Versorgung weniger schwerer akuter und chronischer
Erkrankungen
Priorisierungsgruppe 4
y
Versorgung aus anderen Gründen als Krankheit oder
Schaden
Höchste Priorität hat die erste Gruppe. Innerhalb dieser haben
die Versorgungen lebensbedrohender akuter Erkrankungen
Vorrang. Die weiteren Teilgruppen haben untereinander den
gleichen Rang, wobei die zweite und dritte in abnehmender
Reihenfolge öffentlich finanziert werden. Für Leistungen aus
der vierten Gruppe gibt es keine öffentlichen Gelder. Als
Faktoren der Priorisierung dienen Krankeitsschwere, Dring-
lichkeit und Wirksamkeit. Das Alter oder die soziale Stellung
spielen keine Rolle. Das oberste Prinzip der Menschenwürde
und auch das Solidaritätsprinzip wurden mit dieser Priorisie-
rung nicht außer Kraft gesetzt.