Ende Juli fand im Grazer Klinikum eine Poly-
traumabesprechung statt. Inhalt: Wie geht man
damit um, dass es wegen knapper Ressourcen
gerade im Sommer zu Engpässen kommen kann.
Das Protokoll fand dann offenbar auch den Weg
in die Medien, es wurde ausführlich berichtet.
Anfangs schien es so, als wolle man in erster Li-
nie die Öffentlichkeit beruhigen, abschwächen,
(und hinter den Kulissen nach Wegen suchen, da-
mit unangenehme Wahrheiten in Hinkunft nicht
mehr den Weg an die Öffentlichkeit finden).
Das ist nicht geschehen. Der KAGes-Vorstand,
namentlich Prof. Tscheliessnig, der als langjäh-
riger Chirurgieleiter solche Probleme genau kennt,
ist in die Offensive gegangen und hat die prekäre
Situation sehr klar als systembedingtes Problem
benannt. Das ist wichtig. Denn solange man ein
Problem nicht anerkennt und mehr Energie in die
Verschleierung steckt als in Problemlösung, kann
es kein Licht am Ende des Tunnels geben.
Zweitens ist damit klargestellt, dass einzelne Kolle-
ginnen und Kollegen, die in ähnlichen Fällen letzt-
endlich als Schuldige dastehen, obwohl sie unter
den vorgegebenen Rahmenbedingungen nicht an-
ders können, als Prioritäten zu setzen und nolens
volens zu triagieren, nicht für Systemschwächen
zur Verantwortung gezogen werden dürfen.
Die Vorgangsweise war also ein mutiger und
wichtiger Schritt, der eine neue Qualität in das
Klinikum bringen kann. Die Wirklichkeit an-
zuerkennen, sich ihr zu stellen und aktiv mit ihr
umzugehen, ist eine vertrauensbildende Maßnah-
me, die Ärztinnen und Ärzte anerkennen.
Jetzt muss nur mehr die tatsächliche Lösung fol-
gen. Und diese Vorgangsweise darf kein Einzel-
fall bleiben.
Vizepräsident Dr. Martin Wehrschütz
ist Obmann der Kurie Angestellte Ärzte.
intra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 43.
Martin Wehrschütz
Probleme erkennen,
anerkennen, lösen
kont a
Am Anfang war die Hysterie, dann die Abwiegelung,
schließlich eine leichte Kurskorrektur. In der Reihen-
folge: Um Gottes willen, der gläserne Patient. Aber es
ist doch eh alles anonym. Und hie und da ein paar grob
aggregierte Daten, die täten wir schon brauchen.
Nein – ich will eine flächendeckende Datenerhebung.
Keine 400 Ärzte, sondern alle Ärzte, alle Spitäler. Nie-
mand weiß (im Sinne einer einigermaßen systema-
tischen medizinischen Erhebung), was Ärzte in ihrer
Praxis treiben. Simples Benchmarking, wie anderswo
üblich, wäre aufschlussreich. Denn auch Ärzte sehen nur
das, was sie sehen können – da wäre es auffallend, wenn
der eine die Diagnose X doppelt so oft fällt wie der ande-
re. Da die (angebliche) Qualitätskontrolle der Ärztekam-
mer offenbar nicht funktioniert, wäre es naheliegend,
wenigstens statistische Auffälligkeiten zu hinterfragen.
Man muss ja nicht immer (wie im jüngsten Wiener Fall)
auf die Toten warten.
Freilich wäre das die Aufgabe einer offiziellen
(offiziösen) Stelle: Alle Daten, Diagnosen, Kranken-
geschichten, Verschreibungen, Ergebnisse sammeln
– und in solider Form auch weitergeben. Denn auch
Pharmafirmen könnten an einigermaßen systematischen
Befunden Interesse haben, wie ihre Medikamente wir-
ken; ob und warum Behandlungen abgebrochen werden;
ob die Ärzte die Medikamente richtig verwenden – das
könnte ja für die Weiterentwicklung der Medikamente
Folgen haben.
Die individuellen „Spionierereien“ laufen ganz anders,
viel direkter. So etwa der Anreiz, den amerikanische
Konzerne setzen: Wenn die Angestellten ihre wesent-
lichen Gesundheitsdaten ärztlich bestätigen lassen, be-
kommen sie bei der Betriebskrankenversicherung einen
50-$-Rabatt. Da braucht es keine spezielle Software.
Manfred Prisching ist Professor für Soziologie an der Uni-
versität Graz
Der Kommentar wurde in der Wochenzeitung „Die Furche“
35/2013 veröffentlicht.
Manfred Prisching
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