Ærzte
Steiermark
|| 03|2013
15
Foto: Fotolia
Sucht
selbstschädigendem Verhal-
ten nachhaltiger gefördert
werden kann. Familienpolitik,
Gewaltprävention, Schul- und
Arbeitsplatzpolitik sind hier
lohnendere Gestaltungsfelder.
Es gibt aber immer wieder
Klagen seitens der Polizei und
mancher Sicherheitspolitiker,
dass mit Substitutionpräpa-
raten illegal gehandelt wird.
Muss man diese Kritik nicht
ernst nehmen?
Kurz:
Natürlich ist das Han-
deln mit Substitutionspräpa-
raten auch aus therapeutischer
Sicht ein Problem. Dieses Ver-
halten zeigt aber nur eine
kleinere Gruppe der Betrof-
fenen, der Großteil der sub-
stituierten Drogenkranken ist
heilfroh, dass sie den perma-
nenten Beschaffungsstress hin-
ter sich haben. Der Handel mit
Ersatzstoffen ist auchweder ein
auf bestimmte Länder, noch
ein auf bestimmte Substanzen
eingeschränktes Phänomen.
Die gesetzlichen Rahmenbe-
dingungen und Durchfüh-
rungsbestimmungen für Be-
handler, Behörden und abge-
bende Stellen sind großteils
eindeutig und gewährleisten
hohe Sicherheit bei der Abga-
be der Medikamente.
Eines ist aber klar: Wer nicht
in Behandlung ist, muss
suchtbedingt täglich illegale
Dinge tun. Je stressfreier und
damit sorgsamer Substituti-
onsbehandlung angelegt wer-
den kann, desto weniger sind
drogenabhängige Menschen
zu dissozialem und destruk-
tivem Verhalten gezwungen.
Was ist denn aus medizi-
nischer Sicht das Ziel bzw. der
Zweck einer Substitutionsthe-
rapie? Der Anteil jener, bei
denen eine völlige Entwöh-
nung gelingt, ist ja tatsächlich
bescheiden.
Kurz:
Hätte man Suchtme-
diziner wohlwollender und
umfassender in die gesund-
heitspolitische Planung einbe-
zogen, wäre schon lange klar,
dass substitutionsgestütze
Therapie eine breite Palette
von schadensbegrenzenden
Zielen verfolgt, die klinisch,
wissenschaftlich und auch ge-
sellschaftlich von unbestreit-
barer Bedeutung sind: Be-
handlungskontinuität („Hal-
tequoten“), Überleben, soma-
tische und psychische Stabi-
lisierung, Senken der Infek-
tionsraten von Hepatitis und
HIV, Behandlung komorbider
psychischer Störungen (mehr
als die Hälfte der weiblichen
Drogenpatientinnen waren
Opfer massiver Gewalt in
der Kindheit), Regulierung
des Beikonsums, Reduktion
selbstschädigenden Konsum-
verhaltens, soziale Reintegra-
tion u.v.m.. Wie bei jeder
umfassenden Behandlungs-
strategie für chronische Er-
krankungen kann man nicht
a priori auf das Verschwin-
den des Kardinalsymptoms,
in diesem Fall des Konsums
von Opioiden, beharren. Pri-
märes Ziel ist die begleitete
Eingrenzung des Symptoms,
um den Schaden auf relevante
Lebensbereiche möglichst ge-
ring zu halten und die Chan-
ce zur Weiterentwicklung zu
bieten. Langfristig abstinente
Lebensführung ist eine von
vielen langfristigen Optionen
und keine zentrale Absicht
dieser Behandlungsform.
Wer die substitutionsgestützte
Behandlung mit dieser Un-
terstellung kritisiert, kann
oder will nichts vom We-
sen der Opioid-Abhängigkeit
verstehen und müsste mit
dem gleichen Mut Kräutertee
statt medikamentöser Hoch-
drucktherapie fordern. In
der „PRESSE“ vom 14.Febru-
ar wird kolportiert, dass in
Deutschland 20 Prozent der
Substituierten dauerhaft ab-
stinent werden. Wenn hier als
Quelle die große PREMOS-
Studie gemeint war, dann
wurden bei 20 Prozent der
PatientInnen ein Abstinenz-
versuch von seiten der Be-
handler begonnen. Insgesamt
jedoch lagen die langfristigen
Abstinenzraten auch in dieser
deutschen Studie bei unter
fünf Prozent und damit im
internationalen Vergleich.
Die Fragen stellte Martin
Novak. Lesen Sie das
vollständige Gespräch auf
Der international geführte „war
on drugs“ ist gescheitert. In
Österreich will das nicht jeder
wahrhaben.