AERZTE Steiermark 05/2021
Aufstand der Hausärztinnen und Hausärzte
Weltweit fühlen sich Ärztinnen und Ärzte beim Impfen benachteiligt. In der Steiermark sind sie zwar in die Impfstrategie hervorragend eingebunden, bemängeln aber Systemschwächen. Offener Dialog soll Verständnis füreinander schaffen.
Martin Novak
Eine gute Nachricht für den neuen Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein gab es 14 Tage nach seiner Amtseinführung: Laut Polit-Barometer der Wiener Gratiszeitung Heute (Online-Befragung durch Unique Research; 500 Personen) war er der Bundespolitiker, der den meisten „positiv“ aufgefallen ist. Aber diese Bewertung sei nur eine „Momentaufnahme“, beeilte sich die Zeitung hinzuzufügen.
Der Hausarzt als Minister wurde also medial sehr freundlich empfangen. Ein Jahr zuvor stand aber auch der Gesundheitsminister an der Spitze des Positiv-Rankings. Der, Rudolf Anschober, war aber gelernter Volksschullehrer und drei Jahrzehnte Berufspolitiker gewesen, bevor er gesundheitsbedingt das Staffelholz an den Arzt Mückstein weitergab.
Faktum ist aber, dass Ärztinnen und Ärzte das besondere Vertrauen der Bevölkerung genießen, auch beim Impfen, wie internationale Studien immer wieder belegen. So auch die im Dezember durchgeführte EU-Befragung mit 24.424 Befragten. Demnach vertrauen weit mehr (55 Prozent) am ehesten den „Health Professionals“ und nur 43 Prozent den nationalen Gesundheitsbehörden. Mit 60 Prozent liegt der Wert in Österreich sogar über dem EU-weiten Schnitt und damit an neunter Stelle der EU-Staaten. Ganz vorne ist Luxemburg, gefolgt von Griechenland und Spanien. Gesundheitsbehörden sind nur in vier Ländern, Dänemark, Finnland, Schweden und Malta, die Nummer 1.
Von Deutschland bis Australien
Was aber diese nationalen Behörden in vielen Ländern nicht davon abhält, Ärztinnen und Ärzte beim Impfen nachzureihen: „Bund reduziert Impfstoff-Lieferungen an Hausärzte massiv“, berichtete das deutsche Wirtschaftsmagazin „Business Insider“: Statt 1,7 Millionen Dosen sollten demnach nur etwas mehr als 1 Million an die Praxen gehen. Das Motiv für die Kürzung: Laut deutschen Medien drohende Lieferengpässe in öffentlichen Impfzentren.
Ein deutsches Problem? Offenbar nicht: „Wir sollten ab Mitte des Jahres zur normalen Tagesordnung übergehen und die Impfungen primär in den Hausarztpraxen vornehmen. Genau dies wollen die Leute. Sie wollen dort geimpft werden, wo sie auch sonst in Behandlung sind und bei einer Vertrauensperson, die ihre ganze Vorgeschichte kennt, die Risiken abwägen und die Reaktionen auffangen kann. Dass Hochrisikopatienten beim Hausarzt ein Impfattest einholen müssen, um sich anschließend in einem Impfzentrum impfen zu lassen, anstatt dies gleich beim Hausarzt zu erledigen, ergibt spätestens seit der Verfügbarkeit des Moderna-Impfstoffes schlicht keinen Sinn mehr.“ Das schrieb Felix Huber, Präsident des Schweizer Ärztenetzwerks medix, bereits Ende März in seinem Blog.
Ein kosteneffektives Gesundheitssystem beruhe auf einer starken und nachhaltigen Allgemeinmedizin, sekundiert die Allgemeinmedizinerin und britische Vizepräsidentin der europäischen Hausärzte-Organisation UEMO, Mary McCarthy, in einem Papier des Verbandes zur COVID-19-Pandemie und beklagte gleichzeitig, dass die Gesundheitsbudgets eher in große Institutionen gingen.
Über die offizielle Impfstrategie empörte Ärztinnen und Ärzte gibt es aber offensichtlich auch außerhalb Europas: Australische Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner berichteten laufend über deutliche Verzögerungen bei der Impfstoffzustellung. Diese würden sie dazu zwingen, Impftermine abzusagen und die Planung unterlaufen. Das – schrieb die renommierte britische Tageszeitung „The Guardian“ Ende März 2020 – würde zu Frustrationen führen.
Auch in österreichischen Bundesländern gibt es verständliche Klagen. In Niederösterreich etwa wurde lange nur in Impfzentren geimpft, wo nur wenige Ärztinnen und Ärzte zum Einsatz kamen, und das nur bei der Aufklärung. Dann wurde eine begrenzte Zahl von etwas mehr als hundert Arztpraxen eingebunden. Eine größere Zahl von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten wird nach Berichten aus Niederösterreich erst ab Mitte Mai eingebunden. Dann kann zumindest bestellt werden.
In Wien wurde der Start des Impfens bei niedergelassenen Haus- und Fachärzten immer wieder hinausgezögert. Auch in Vorarlberg wurden die Arztpraxen kaum einbezogen.
Zwischen den Fronten
Löbliche Ausnahmen, was die Einbeziehung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte betrifft, sind Salzburg und die Steiermark. Hier wurde ihnen von Anfang an eine wichtige Rolle zugemessen. Es wird seitens des Landes auch immer wieder betont, dass vor allem der Anteil der sich vom Impfen wieder Abgemeldeten oder gar nicht Erschienenen bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten deutlich geringer sei als bei öffentlichen Impfstraßen – auch wenn dort ebenfalls engagierte Kolleginnen und Kollegen tätig sind, die nur ein Problem haben: Weil sie die Impflinge nicht so gut kennen können, ist die Impfaufklärung mühsamer und prophylaktisch praktisch unmöglich. Klagen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte gibt es allerdings auch in der Steiermark: Kritisiert wird vor allem die Umständlichkeit bei den Impfstoffbestellungen und das enge Korsett der Priorisierungen. Der Fairness halber ist aber darauf hinzuweisen, dass regionale Impfkoordinatoren angesichts der Unwägbarkeiten bei den internationalen und nationalen Impfstoffbestellungen kein leichtes Leben haben. Sie stehen quasi zwischen den Fronten der unzufriedenen Ärztinnen und Ärzte sowie der als unverlässlich geltenden Impfstoffher- und -zusteller. Und so manches, was vernünftig klingt, wie etwa die Zusammenarbeit mit den vertrauten Lieferapotheken, funktioniert in der Praxis nicht, weil es unklar ist, welcher der Lieferanten überhaupt zustellbaren Impfstoff zur Verfügung hat.
Auch, dass der Impfstoff in Gebinden zu fünf bis zwölf Dosen statt – wie bei anderen Impfungen üblich – in Einzelgebinden angeliefert wird, sowie die aufwändige Kühl- bzw. Gefrierlogistik erschweren die Abwicklung.
Gleichzeitig machen sie – noch – die zentrale Impfkoordination notwendig, die natürlich auch der begrenzten Verfügbarkeit der Impfstoffe geschuldet ist. Dass das Bestellsystem gleichzeitig immer mehr können und einfacher handhabbar werden soll, erzeugt Druck auf die IT-Expertinnen und -Experten im öffentlichen Bereich.
Verständnis durch Dialog
Mehr – gegenseitiges – Verständnis soll durch umfassende Information und Dialog entstehen. Innerhalb weniger Wochen fanden zur sich weiterentwickelnden Landes-Bestellplattform HIPPO zwei Ärztefortbildungen in der Steiermark statt. An beiden nahmen mehrere hundert Ärztinnen und Ärzte teil. Aber natürlich nicht alle.
Die gute Nachricht: Die Webinare „Steiermark impft in Ordinationen“ vom 27. März 2021 und vom 7. Mai 2021 sind über die Website der Ärztekammer Steiermark abrufbar. Sicherster Zugang: im Suchfenster unten rechts das Wort „Webinar“ eingeben.
Wolfgang Mückstein, Arzt & Minister
Der gebürtige (und lebenslange) Wiener ist knapp 53 Jahre alt. 2002 schloss er sein Medizinstudium ab. Daran hängte er noch eine zweijährige Ausbildung in traditioneller chinesischer Medizin an, die er 2006 als Bachelor of Acupuncture beendete. Den Turnus und eine Lehrpraxisausbildung absolvierte er in Wien und in Niederösterreich bis 2007. Als niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin war er Mitbegründer des Primärversorgungszentrums Mariahilf, das als erstes PHC in Österreich gilt. Entstanden ist es aus der Praxis von Franz Mayrhofer, die 2010 zur Gruppenpraxis erweitert wurde. In der Wiener Ärztekammer war Mückstein von 2008 bis zum April 2021 Referent für Primärversorgungseinheiten sowie für Gruppenpraxen und neue Niederlassungsformen. Seit 19. April 2021 ist er Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.
Fotos: Adobe Stock, Tatic