AERZTE Steiermark 09/2025
Alzheimer: Was frühzeitige Diagnose und die neuen Medikamente bewirken können
Zwei neue Medikamente gegen Alzheimer sind nun auch in der EU zugelassen. „Wir erwarten, dass wir ab September Patient:innen bei uns behandeln können“, sagt Spezialist Stephan Seiler und erklärt, warum frühzeitige Diagnosen so wichtig sind.
„Die Herausforderung ist eine große, denn durch die alternde Bevölkerung nimmt auch die Zahl der an Alzheimer erkrankten Personen deutlich zu“, erklärt Stephan Seiler von der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Graz anlässlich des Welt-Alzheimer-Tags am 21. September. Für Hausärzt:innen sowie Fachärzt:innen in der Primärversorgung ist das spürbar. „Die Diagnostik ist nicht immer einfach, die diagnostischen Kriterien haben sich zudem verändert. Fundamental ist jedenfalls, dass die Alzheimer-Erkrankung so früh wie möglich diagnostiziert wird. Denn desto eher kann man für die Zukunft planen, medikamentös ansetzen und mit kognitivem Training arbeiten. Die neuen Therapien sind jedenfalls nur in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung einsetzbar“, betont Seiler.
Erste Abklärung
Die Basisdiagnostik beginnt meist in der hausärztlichen Praxis. Ausgangspunkt sind häufig subjektive Gedächtnisprobleme der Patient:innen oder Beobachtungen von Angehörigen, etwa dass „häufiger als früher etwas vergessen wird“. Wichtig sei es, diese Probleme dann richtig einzuordnen: „Handelt es sich bei leichten Gedächtnis- oder Orientierungsproblemen um eine gewöhnliche Altersvergesslichkeit oder gehe ich dem weiter nach?“ Die volle Abklärung werde es nicht immer brauchen, meint der Neurologe, das ärztliche Gespräch mit den Angehörigen und die Anamnese können aber klare Hinweise geben: Wenn die Gedächtnisstörung vor allem für kürzlich Erlebtes das Hauptsymptom ist und häufiger wird, sollte unbedingt rasch weiter abgeklärt werden.
Ein zentrales Instrument in der Früherkennung von Alzheimer ist der MoCA-Test (Montreal Cognitive Assessment), der in der Praxis schnell durchgeführt werden kann. Er umfasst unter anderem Konstruktionsaufgaben und Merkfähigkeitstests. Besonders auffällig ist ein Defizit, wenn die Patient:innen dabei 5 Wörter nicht behalten können – ein typisches Frühsymptom für Alzheimer, nach dem unbedingt eine Überweisung erfolgen und eine neurologische Abklärung stattfinden sollte. Auch der Mini-Mental-Status-Test kann verwendet werden, ist jedoch für das Frühstadium weniger sensitiv.
Keine Zeit verlieren
„Bei Alzheimer darf man wirklich keine Zeit verlieren“, appelliert der Experte. Bei diesem Verdacht sind die Gedächtnisambulanz an der Universitätsklinik, die sich mit der Erkrankung und Therapie befasst, die Gedächtnis-ambulanz der Elisabethinen und ebenso Fachärzt:innen und Neurolog:innen die richtigen Anlaufstellen.
Amyloid-Biomarker
„Es geht darum, dass man sich ein Bild verschafft: Wie ausgeprägt ist die Gedächtnisstörung? Gibt es andere kognitive Störungen?“, auch ein MRT des Gehirnschädels könne wichtige Informationen liefern. Ergeben sich weitere Unklarheiten, dann erfolge in dritter Instanz die Biomarker-Diagnostik mittels Lumbalpunktion oder nuklearmedizinische Verfahren. Die Liquordiagnostik gibt es schon lange, doch die diagnostischen Kriterien haben sich geändert – seit 2024 sind Amyloid-Biomarker im Liquor fixer Bestandteil der Diagnostik. Früher wurde Alzheimer nur klinisch diagnostiziert, heute steht das veränderte Eiweiß im Fokus. Bei atypischen Formen von Alzheimer oder anderen neurodegenerativen Erkrankungen helfen FDG-PET und ein MRT weiter.
Lecanemab und Donanemab
Dieses Jahr sollen den Ärzt:innen zur Behandlung von Alzheimer nun auch bei uns die neu zugelassenen Medikamente zur Verfügung stehen, Lecanemab bereits ab September, erzählt Stephan Seiler: „Bei beiden handelt es sich um monoklonale Antikörper, die sich gegen das bei Alzheimer veränderte Protein Beta-Amyloid im Gehirn richten. Lecanemab wirkt eher gegen die Vorstufen, während Donanemab gezielt die Plaques angreift. Beide bekämpfen also das veränderte Eiweiß im Gehirn, was zu einer Verlangsamung des Fortschreitens der Krankheit führt, wie in Studien gezeigt wurde.“
Das ist ein Durchbruch – aber nur im milden Stadium der Erkrankung. Wie schon gesagt, ist der Zeitfaktor bei Alzheimer wesentlich. Die Anwendbarkeit der neuen Medikamente wird sich jedoch auf einen Bruchteil der Patient:innen reduzieren. Laut internationalen Daten kommen rund 10 bis 15 % der Patient:innen in Frage, sagt Seiler, denn viele seien dafür schon in einem zu fortgeschrittenen Stadium: „Doch auch wenn das auf den ersten Blick wenig klingt, sind das natürlich viele, bei denen man einiges bewirken kann.“ Im Stadium „mild/leicht“, in dem die Anwendung der neuen Alzheimer-Medikamente möglich ist, verzögert sich der Krankheitsverlauf um rund 30 %.
Risiken
Die Auswahl geeigneter Patient:innen ist nicht nur im Hinblick auf das Stadium der Erkrankung, sondern auch in anderer Hinsicht limitiert: „Beide Therapien haben Risiken. ARIA (Amyloid-related Imaging Abnormalities) sind im MRT sichtbare Veränderungen. Meist sind diese kleineren Blutungen oder Flüssigkeitsaustritte im Gehirn leicht und bilden sich zurück“, so Seiler. Doch die Therapie ist daher an sehr strenge Kriterien gebunden, die auch genaue MRT-Untersuchungen nach standardisierten Protokollen verlangen, um vorab Risiken abzuklären. Bestehen daher Kontraindikationen für ein MRT, scheidet eine Behandlung aus. Ebenso bei laufenden Therapien mit dem Einsatz von Blutverdünnern wie etwa Marcumar oder NOAKs, da die Antikörper das Blutungsrisiko erhöhen. Auch Homozygotie für das Gen APOEε4 stellt ein Ausschlusskriterium dar. Die Behandlung ist intravenös und findet für Lecanemab in 2-wöchentlichen Abständen über längere Zeit statt. Sie kann daher nur in spezialisierten Zentren, wie der neurologischen Universitätsklinik Graz, erfolgen.
Board für Falldiskussionen
Wichtig ist Stephan Seiler, dass das Bewusstsein für die Alzheimer-Erkrankung gestärkt wird. „Man muss das als Hausarzt im Hinterkopf haben und mit strukturierten Fragen versuchen, den oft subjektiven Eindruck von vermehrter Vergesslichkeit zu objektivieren. Im Zweifelsfall ist eine genaue Abklärung wesentlich und dass sich die Patient:innen abgeholt fühlen. Das individuelle Krankheitserleben und die psychischen Folgen einer (Verdachts-)Diagnose müssen sehr ernst genommen werden.“ In der Steiermark sei man aktuell dabei, ein Board zu schaffen, über das Ärzt:innen die Möglichkeit zur Falldiskussion haben. „Auch Allgemeinmediziner:innen und niedergelassene Fachärzt:innen sollen über diesen niederschwelligen Zugang Themen und Punkte einbringen können, um es mit uns an der Uniklinik diskutieren zu können. Niemand soll sich alleingelassen fühlen – weder die Patient:innen noch die niedergelassenen Ärzt:innen.“ Derzeit ist das Alzheimer-Board noch in Ausarbeitung, aber im Herbst soll es weitere Informationen geben, verweist Seiler auch auf die Jahrestagung der Österreichischen Alzheimergesellschaft vom 17. bis 19. September in Graz.
Wichtig: Follow-up
Alzheimer betrifft überwiegend Menschen über 65 Jahren, das Risiko steigt mit dem Alter. In seltenen Fällen tritt die Erkrankung aber auch deutlich früher auf. „Die Diagnose ist auf jeden Fall nicht das Ende. Das ist wichtig. Sie hat aber einen Schwall an Folgen und auch da dürfen die Personen nicht alleingelassen werden. Viele Patient:innen sind trotz der Erkrankung noch jahrelang im Alltag unabhängig“, so Seiler. Es müsse ein Follow-up geben und den Verweis an eine Vielzahl an entsprechenden Organisationen – von psychosozialen Diensten, der sozialen Versorgungsebene bis zu Selbsthilfeorganisationen, Infos zu Vorsorgevollmachten und vieles mehr. „Davon sollte man ausreichend Gebrauch machen. Gute Information darüber ist wesentlicher Bestandteil der Patient:innenversorgung.“
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