AERZTE Steiermark 09/2025

 

Welt-Kopfschmerz-Tag: Digitalisierung und moderne Therapieansätze

Medikamentenübergebrauchskopfschmerz, CGRP-Antikörper und nichtmedikamentöse Therapie-ansätze: Expertin der Grazer Kopfschmerzambulanz über aktuelle Entwicklungen zum Welt-Kopfschmerz-Tag, der das Thema jährlich am 5. September ins Bewusstsein rückt.

„Neue Erkenntnisse betreffen in der Kopfschmerztherapie vor allem die modernen, zielgerichteten Therapieansätze. Besonders hervorzuheben sind dabei CGRP-Antikörper, die mittlerweile bereits in verschiedenen Substanzen und Medikamenten zur Verfügung stehen. Diese stellen vor allem in der Migräneprophylaxe eine wesentliche Neuerung dar“, erzählt Lydia Margret Aspeck, Fachärztin für Neurologie an der Universitätsklinik Graz mit Schwerpunkten in der klinischen Patient:innenversorgung und in der Spezialambulanz für Kopfschmerzen sowie mit der Zusatzausbildung für chinesische Medizin und Akupunktur.

Tagebuch-Apps

Ein weiterer Fortschritt betrifft die Digitalisierung, denn klassische Kopfschmerz-Tagebücher, die in der Betreuung der Kopfschmerz-Patient:innen eine wichtige Rolle einnehmen, werden zunehmend durch Apps ersetzt. Besonders bei jüngeren Patient:innen ist das vorteilhaft, da das Smartphone ein ständiger Begleiter ist und somit eine kontinuierliche und alltagsnahe Dokumentation ermöglicht. Diese Apps bieten auch die Möglichkeit zum Tracking, weiß Aspeck: „Diese Anwendung kann dabei helfen, mögliche Auslöser (z. B. Wetter, Schlafmangel, Ernährung, etc.) zu identifizieren, individuelle Muster im Verlauf sichtbar zu machen und so auch in der Früherkennung von Attacken zu unterstützen.“ Digitale Anwendungen werden außerdem zur Verlaufserfassung, für verhaltenstherapeutische Module und Therapiebegleitung angewendet. 

Nicht medikamentös

Ein besonderes Augenmerk gilt den nicht medikamentösen Therapieansätzen, wie die Neurologin erklärt. Ihr Stellenwert ist in den Empfehlungen klar verankert und insbesondere in der Prophylaxe relevant. Diese nicht medikamentösen Therapieverfahren ergänzen die pharmakologischen Therapien. Zu den Möglichkeiten zählen unter anderem Biofeedback, Akupunktur, Schlaf- und Stressmanagement, Ausdauersport und verhaltenstherapeutische Maßnahmen. Mittlerweile hat sich ein multimodaler Therapieansatz etabliert, bei dem die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von Neurolog:innen sowie Psycholog:innen, Ernährungsmediziner:innen und Physiotherapeut:innen zum Standard geworden ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Therapien zunehmend zielgerichtet und individuell abgestimmt werden. Medikamentöse und nichtmedikamentöse Verfahren werden systematisch miteinander kombiniert.

Aktuelle Trends

In der Spezialambulanz für Kopfschmerzen in Graz stellt Lydia Margret Aspeck derzeit mehrere Entwicklungen fest: „Seltenere Kopfschmerzformen rücken stärker in den Fokus, auch wenn die Migräne nach wie vor den größten Anteil der Fälle ausmacht. Zunehmend häufiger treten Medikamentenübergebrauchskopfschmerz, Spannungskopfschmerz und Cluster-Kopfschmerzen auf.“ Zudem gibt es mehr Patient:innen mit chronischen Verläufen, die einen ganzheitlichen Therapieansatz erfordern. Besondere Aufmerksamkeit erfordern Gruppen wie etwa schwangere und stillende Frauen oder Patient:innen mit Begleiterkrankungen.

Die schmerzmittelinduzierten Kopfschmerzen entstehen, wenn Betroffene an zu vielen Tagen im Monat Schmerzmittel einnehmen. Generell sollten Schmerzmedikamente nicht öfter als an 10 Tagen pro Monat eingenommen werden, rät Aspeck, sonst kann es passieren, dass die Mittel selbst Kopfschmerzen auslösen. Hier sei ein Kopfschmerztagebuch hilfreich, „da im Alltag, in dem man funktionieren muss, die tatsächliche Häufigkeit von Kopfschmerztagen und Medikamenteneinnahmen leicht unterschätzt wird“.

Kinder

Ein klassisches „Migräne-Gen“ konnte bislang nicht identifiziert werden, aber eine genetische Disposition ist nachzuweisen, erklärt die Ärztin, doch gebe es bestimmte Grundkonstellationen, die bereits früh im Leben von Kopfschmerz-Patient:innen sichtbar würden. So kann Migräne bereits im Kindesalter beginnen, doch sie zeigt sich dann oft in abdomineller Form, also mit wiederholtem Erbrechen, ohne Kopfschmerzen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen hätten nichtmedikamentöse Therapieansätze einen hohen Stellenwert, so die Expertin, da sie häufig ähnlich wirksam seien wie Medikamente: „Hierzu zählen Akupunktur, Ausdauersport, Pausen im Alltag, Fantasiereisen, regelmäßige Mahlzeiten, die Reduktion von Blaulichtbelastung oder auch eine korrekte Sitzposition beim Lernen.“

Überweisung

 „Die Überweisung an die Spezialambulanz ist immer dann sinnvoll, wenn die Behandlungsmöglichkeiten in der allgemeinmedizinischen oder fachärztlichen Ordination ausgeschöpft sind oder wenn besondere Kriterien vorliegen. Dazu zählen unklare oder komplexe Diagnosen sowie atypische Kopfschmerzverläufe“, führt Aspeck aus. Besonders wichtig ist es auch, sekundäre Kopfschmerzformen auszuschließen, vor allem, wenn die Bildgebung keine eindeutigen Ergebnisse liefert.

In der Kopfschmerzambulanz werden primäre Kopfschmerzformen wie Migräne, Spannungskopfschmerz oder trigemino-autonome Kopfschmerzen und auch seltene primäre Kopfschmerzen behandelt.

Von chronischen Kopfschmerzen spricht man, wenn Betroffene an mehr als 15 Tagen pro Monat über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten Beschwerden haben. Und es gibt tatsächlich auch Patient:innen, die jeden Tag unter Kopfschmerzen leiden und daher einer spezialisierten und intensiven Behandlung in der Ambulanz bedürfen.

 

Fotocredit: beigestellt, envato_Kohanova