Zwischen Geburt und Gesetz
Medizin und Rechtswissenschaften: Für beide Fächer braucht es logisches, strukturiertes Denken und exaktes Arbeiten. Genau das, was Gerald Engelmann liegt.
U. Jungmeier-Scholz
Der Wunsch, Arzt zu werden, entstand bei Gerald Engelmann im Spital. Ein befreundeter Bundesheer-Kamerad verstarb an einer Meningokokken-Sepsis und Engelmann wurde aus Sicherheitsgründen im LKH-Salzburg stationär behandelt. „In diesen Tagen hatte ich viel Zeit zum Nachdenken“, erzählt Engelmann. Und die Gelegenheit, die Abläufe in der Klinik zu beobachten. Was er sah, faszinierte ihn, und so beschloss er, selbst Arzt zu werden. Von dem Jusstudium, das er später noch absolvieren sollte, war damals noch keine Rede.
Im Anschluss an die Offiziersausbildung begann der gebürtige Klagenfurter in Graz Medizin zu studieren. Als einer der Ersten, die im Wintersemester 1981 inskribiert hatten, beendete er das Studium und wurde Turnusarzt, wieder daheim in Klagenfurt. Noch heute ist die Homebase am See der Hauptwohnsitz seiner Familie.
Geburtshelfer und plastische Chirurgen
Ohne den medizinischen Background hätte Engelmann vermutlich nicht Rechtswissenschaften studiert. Zwar deckt sich Jus in manchen Bereichen mit seinem Hobby, der Geschichte. „Geschichte und Kunstgeschichte haben mich von klein auf fasziniert.“ Da traf es sich gut, dass im Jus-Studium die ersten Fächer Rechtsgeschichte und Römisches Recht waren, die die beiden Interessensgebiete sehr harmonisch verbinden. Aber die Hauptmotivation für das Zweitstudium war die Entwicklung in der Medizin. „Anfang der 1990er-Jahre fand eine spürbare Verrechtlichung der Medizin statt. Haftungsfragen waren auf einmal ein großes Thema.“ Gerade in der Geburtshilfe wurden derartige Fragen diskutiert, da ja hier eine kleine Fehlentscheidung dramatische Auswirkungen haben kann und extrem hohe Schadenersatzansprüche drohen. „Das zeigt sich auch an den Versicherungsprämien für Ärzte – Geburtshelfer und plastische Chirurgen zahlen am meisten.“
Selbst Bescheid zu wissen war es Engelmann wert, mitten in seiner Facharztausbildung ein völlig neues Kompetenzfeld zu erschließen und wieder Grundlagen zu büffeln. Er wollte nicht nur ein bisschen zu medizinrechtlichen Themen lesen, sondern gleich Jus studieren. Seine Diplomarbeit war – dem medizinischen Fachgebiet entsprechend – den Haftungsfragen des Geburtshelfers unter besonderer Berücksichtigung der Beckenendlagen-Geburten gewidmet. „In dieser Zeit hat sich gerade eine Wende vollzogen: Weg von der Manualhilfe hin zur Sectio bei Beckenendlage.“ Die Manualhilfe, die er selbst noch erlernt und trainiert hat, ist bei heutigen Beckenendlagen-Geburten aus ausbildungstechnischen und forensischen Gründen fast nicht mehr durchführbar.
The medium is the message
Dass sein Spezialgebiet gerade die Frauenheilkunde und Geburtshilfe geworden ist, begründet Engelmann folgendermaßen: „Die Gynäkologie war mein Lieblingsfach, weil sie einfach so ein breites Spektrum medizinischer Anforderungen abdeckt. Von der Geburt, wo der Arzt im Idealfall einen natürlichen Prozess bei einem gesunden Menschen begleitet, bis hin zum operativen Bereich.“ Im letztgenannten minimalinvasiv tätig zu sein, ist Engelmann ein großes Anliegen. Aus diesem Grund wendet er, wo immer es möglich ist, laparoskopische Methoden an.
Abgesehen von der rationalen Komponente ist er dem Fach auch emotional verbunden: Engelmann ist fünffacher Vater. Voraussichtlich Anfang Juli erhält seine Familie weiteren Zuwachs. „The medium is the message“, kommentiert er humorvoll die Frage, ob seine Kinderschar und sein medizinisches Fachgebiet in irgendeinem Zusammenhang stünden. Allerorten wird über die niedrige Geburtenrate gejammert, doch Familie Engelmann geht mit gutem Beispiel voran. Engelmanns Frau, selbst fünftes Kind in einer Acht-Kind-Familie, wollte immer eine große Kinderschar und hat dafür ihren Beruf als Altenpflegerin aufgegeben.
Schicksalsort Spital
Denn nicht nur zum Medizinstudium, sondern auch zur Liebe seines Lebens hat Engelmann im Krankenhaus gefunden – während seiner Zeit als Oberarzt im Krankenhaus Waidhofen an der Ybbs, wo er von 1996 bis Anfang 2016 tätig war. Das Krankenhaus war sein erklärtes Ziel als Arzt, eine Niederlassung kam nicht in Frage. Auch heute noch fühlt er sich in den Spitalsstrukturen wohl, kann die niedrigen Zufriedenheitswerte vieler Kolleginnen und Kollegen, die im Krankenhaus tätig sind, nicht unbedingt nachvollziehen. „Ich arbeite gerne mit vielen Menschen zusammen und schätze den Austausch im Team.“
Seit Februar dieses Jahres führt Gerald Engelmann sogar zwei Teams. Da wurde er nämlich zum Primar der beiden gynäkologischen Abteilungen in Judenburg und Rottenmann bestellt. Drei Tage pro Woche arbeitet er im einen Haus, zwei im anderen. Beruflich hat er damit ein großes Lebensziel erreicht; privat erleichtert ihm der Wechsel das Leben: Die Pendelstrecke ist kürzer geworden. Zu Beginn der Kindergartenzeit seiner ältesten Tochter ist die Familie nämlich aus der kleinen Dienstwohnung in Waidhofen ausgezogen und nach Klagenfurt übersiedelt.
Privat konsultiert
Die Juristerei verfolgt er nur mehr am Rande – eben dort, wo es um Medizinrecht geht. Aber, so Engelmann, juristisches Wissen könne auch im Alltag nie schaden. Privat wird er manchmal von Mitgliedern der Großfamilie in juristischen Fragen konsultiert. „Oft kann ich weiterhelfen, ansonsten weiß ich zumindest, wohin ich weiterverweisen kann.“ Denn eines hätten Rechtswissenschaften und Medizin jedenfalls gemeinsam: „In beiden Fächern lernt man im Studium wichtige Grundlagen, aber dann braucht es Spezialisierung.“ Für beide Studienrichtungen seien auch ähnliche Persönlichkeitsmerkmale dienlich: „Logisches Denken, strukturiertes Vorgehen und exaktes Arbeiten braucht man sowohl als Arzt als auch als Jurist.“
Nicht nur in Rechtsangelegenheiten berät er die Familie wenn möglich selbst; auch seine Frau entbindet er stets eigenhändig. Und zwar ausschließlich im Krankenhaus. „Ich verfüge über das geburtshilfliche Wissen, was alles passieren kann, daher kommt für mich nur eine Geburt im Spital in Frage.“ Beim dritten Kind musste er einen Notkaiserschnitt machen, ansonsten verliefen die Geburten bisher unkompliziert. Beim fünften Kind hat er „fast alles selbst gemacht“. Natürlich bis auf die Geburtsarbeit, die seine Frau zu leisten hatte …
Nichts Extremes
Ob seine Kinder einmal JuristInnen oder ÄrztInnen werden könnten, sieht Engelmann ganz entspannt: „Ich hoffe, es wird sowohl als auch geben – und sie werden einander wunderbar ergänzen.“ Noch ist es ja auch zu früh, um derartige Pläne zu schmieden, denn die Älteste ist gerade einmal zehn Jahre alt. Alle zwei Jahre hat das Ehepaar Engelmann seither Nachwuchs bekommen und auch das Ungeborene reiht sich pünktlich ein. Die Tendenz zur klaren Struktur lässt sich auch im Privatleben erkennen …
Das Familienleben findet hauptsächlich am Wochenende statt, wobei möglichst alle Aktivitäten zusammen mit den Kindern ausgeübt werden, egal ob Schwimmen, Bergwandern oder Museums- und Ausstellungsbesuche. „Nichts Extremes jedenfalls“, betont Engelmann. Extrem ist ohnehin schon das Arbeitspensum, das er bewältigt. Wenn er dann noch Zeit findet, spielt er auch Klarinette.
Angekommen
„Ich bin beruflich wie privat jetzt genau dort, wo ich immer sein wollte“, resümiert Gerald Engelmann. „Mehr zu fordern wäre vermessen.“
Aber dort, wo er ist, möchte er schon noch Veränderungen in Gang setzen. Neue OP-Techniken und Therapiemöglichkeiten implementieren, aber auch in die Rolle als Führungskraft weiter hineinwachsen. Daheim in der Familie findet Entwicklung naturgemäß tagtäglich statt, „da wird es nie fad“.
Lediglich als Jurist hat er sich keine Ziele mehr gesteckt: „Ich versuche einfach, mein medizinrechtliches Wissen im Alltag anzuwenden.“
Fototexte:
Primarius Engelmann mit seinen Kindern: „The medium is the message.“
Arzt und Jurist: Gerald Engelmann an seinem Arbeitsplatz im Spital.
Fotos: KAGes, Privat