Mehr Privat hilft dem Staat
Ohne private bzw. privat bezahlte Leistungen wäre die medizinische Versorgung in Österreich deutlich ärmer. Das gilt auch für den ärztlichen Bereich. Allerdings sind die privaten Aufwendungen im nichtärztlichen Bereich weit höher.
Martin Novak
Es gibt zwar kein kommunikatives Sommerloch mehr, aber immer noch Themen, die es befüllen. Die Forderung nach Abschaffung der Wahlarztrückersätze durch den SPÖ-Nationalratsabgeordneten und Gesundheitssprecher Erwin Spindelberger war ein solches. Freunde machte er sich damit kaum: Alle Parteien (einschließlich der von Spindelberger) lehnten den Vorschlag ab, auch aus dem Hauptverband und den Krankenkassen kam Ablehnung. Und selbstverständlich aus der Ärztekammer.
Womit man den sommerlichen Vorstoß ad acta legen könnte, hätte es da nicht einen gegeben, der Spindelberger beisprang: Der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger – er ist auch Sprecher der neun Landes-Patientenombudsleute und -anwälte – warf der Ärztekammer vor, mit dem Wahlarztsystem die „Zwei-Klassen-Medizin“ zu forcieren und die „Monetik“ vor die Ethik zu stellen. Was er geflissentlich verschwieg, obwohl er es als Patientenanwalt wissen sollte: Immer wieder wurden von der Ärztekammer in den letzten Jahren auch mehr Kassenstellen verlangt. Und die Zuzahlungsmedizin, die unzureichende Ressourcen ausgleicht, gibt es nicht nur im ärztlichen Bereich, sondern auch in der Psychotherapie, der Physio- und Ergotherapie und ganz besonders im Bereich von Heilbehelfen.
Grund genug, sich die Fakten anzuschauen: Im Jahr 2000 kamen in der Steiermark auf eine §2-Kassenarztstelle 611 GKK-Versicherte oder 976 „Anspruchsberechtigte“ (das sind die Versicherten und die Mitversicherten). Im Jahr 2015 musste eine Kassenvertragsärztin bzw. ein Kassenvertragsarzt bereits 730 Versicherte oder fast 1.200 Anspruchsberechtigte schultern. Das ist so, weil die Zahl der Kassenstellen seit Jahren stagniert, während die Versicherten und Anspruchsberechtigten stetig mehr werden. Kleines Rechenbeispiel: Um das Verhältnis zwischen Kassenstellen und Versicherten auf den Stand des Jahres 2000 zu bringen, brauchte man in der Steiermark um rund 200 kassenärztliche Stellen mehr.
Gegenargument der Krankenkassen: Die durchschnittliche Zahl der Behandlungsfälle pro Kassenärztin/-arzt ist in diesen 15 Jahren nur wenig gestiegen. Stichhaltig ist diese Argumentation nicht: Kassenpraxen waren im Jahr 2000 schon extrem ausgelastet, große Frequenzsteigerungen sind also nicht möglich. Dennoch sind die Frequenzen gestiegen: In Allgemeinpraxen um rund 300 Behandlungsfälle pro Jahr, in fachärztlichen Praxen sogar um 650 Fälle.
Tatsächlich gleichen Wahlärztinnen und Wahlärzte die in Relation zum Bedarf nicht ausreichenden kassenärztlichen Ressourcen aus. Dadurch, dass die Zahl der Wahlarztpraxen Jahr für Jahr steigt, finden Patientinnen und Patienten auch heute noch in gleichem Maß ärztliche Hilfe wie vor 15 Jahren – allerdings um den Preis der Zuzahlung. Zum betriebswirtschaftlichen Nutzen der Krankenkassen, die sich deswegen auch wohlweislich hüten, die wahlärztliche Versorgung in Frage zu stellen.
Klare Worte fand der steirische Ärztekammerpräsident Herwig Lindner in einem Schreiben an die Ärzteschaft: „Aus innerster Überzeugung stehe ich dazu, dass die Wahlärztinnen und Wahlärzte eine wesentliche Säule der Gesundheitsversorgung sind. Als etabliertes Erfolgsmodell muss diese erhalten bleiben. Essentielle Grundlage für das Vertrauensverhältnis mit unseren Patientinnen und Patienten ist die freie Arztwahl. Der ehemalige Obmann der steirischen Gebietskrankenkasse, Spindelberger, hat mit seiner Aussage nicht nur das Wahlarztkostenrückersatzsystem, sondern auch diese freie Arztwahl massiv in Frage gestellt. Beides sind Rechte der Patientinnen und Patienten. Wahlarztpatientinnen und -patienten zahlen wie alle Versicherten ihre Krankenversicherungsbeiträge und entlasten durch den Selbstbehalt beim Rückersatz zusätzlich ihre Krankenversicherung. Sie dürfen nicht durch die Abschaffung dieses Rückersatzes bestraft werden. Der Arztberuf ist ein freier Beruf. Ich trete vehement dafür ein, dass das so bleibt. Wahlärztinnen und Wahlärzte leisten einen wesentlichen Versorgungsbeitrag als freie Ärztinnen und Ärzte in der Primärversorgung und in ihren Fachgebieten. Eine Abschaffung des Wahlarzt-Systems werde ich mit allen Mitteln verhindern.“
Kurz nach der von Spindelberger angestoßenen Debatte fand – medial und politisch etwas weniger beachtet – eine Diskussion um unterschiedliche Leistungen der einzelnen Kassen bei Heilbehelfen statt. Auslöser dazu war eine parlamentarische Anfrage des Gesundheitssprechers im NEOS-Nationalratsklub, Gerald Loacker. Weil die Unterschiede teils erheblich seien – als Beispiel nannte Loacker Kassenzahlungen zwischen 347 und 3.500 Euro für einen Zahnersatz – verlangte er ein Wechselrecht für die Versicherten, falls es nicht innerhalb eines Jahres zu einer Harmonisierung kommen sollte. Unterstützung fand dieser Vorstoß zur Leistungsharmonisierung nur bei der Vorsitzenden des Österreichischen Seniorenbunds, Ingrid Korosec.
Private Kosten
22 Prozent der österreichischen Gesundheitskosten werden privat – entweder über eine private Krankenversicherung oder direkt aus der eigenen Tasche – bezahlt. Damit liegt Österreich gemeinsam mit Deutschland, Italien, der Slowakei und Finnland im Mittelfeld der OECD-Länder. Die geringsten privaten Ausgaben gibt es in den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich mit 12 bzw. 13 Prozent. 30 Prozent und mehr werden in Irland, Ungarn, Portugal und Griechenland privat bezahlt.
Aber wofür wird privat bezahlt? Das hat kürzlich die Gesundheitsökonomin Maria M. Hofmarcher-Holzhacker mit Hilfe von Statistik Austria-Daten (2014) genauer berechnet. Von 7,6 Milliarden Euro insgesamt gehen rund 1,1 Milliarden in die Pflege. 950 Millionen werden für Arznei- und andere Heilmittel ausgegeben. Rund 680 Millionen fließen in Heilbehelfe, der Großteil davon in Sehhilfen.
Die ambulante medizinische Hilfe ist mit insgesamt 1,952 Millionen Euro der größte Einzelblock. Ein gutes Drittel davon geht in die Zahnmedizin, mehr als ein Viertel in nichtärztliche Leistungen (Physiotherapie, Psychotherapie etc.), wo es wenig Kassenverträge und oft knappe Kontingente gibt. Knapp 20 Prozent machen fachärztliche und 6,25 Prozent allgemeinmedizinische Leistungen aus. Der Rest sind Kosten für Ambulatorien und Ambulanzen. Laut Standard wurden 2014 161 Millionen Euro an Wahlarztrückersätzen bezahlt, die kassenärztlichen Honorare machten im gleichen Jahr 2,5 Milliarden Euro aus. Allerdings haben sich die Wahlarztrückersätze seit dem Jahr 2000 verdreifacht, die kassenärztlichen Honorare sind nur um das Eineinhalbfache gestiegen.
Fazit: Kassenleistungen unterscheiden sich sehr stark zwischen Kassen und Bundesländern. Hier muss man wohl von Ungerechtigkeit sprechen, weil sich ja die Tarife als Prozentsatz des Einkommens nicht unterscheiden. Die Zahl der §2-Kassenplanstellen ist seit Jahren konstant, weil die Zahl der zu Versorgenden steigt, kommen auf eine §2-Kassenärztin bzw. einen §2-Kassenarzt immer mehr „Anspruchsberechtigte“. Die steigende Zahl der Wahlärztinnen und Wahlärzte gleicht das aus. Das spiegelt sich auch in steigenden Rückersatz-Summen wider. Dennoch machen die Ausgaben für wahlärztliche Leistungen nur ein Viertel der privaten Ausgaben im ambulanten Bereich insgesamt aus.
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Grafiken: Conclusio