Bilder im Kopf
Bilder zeigen Wirkung. Welche sollen sie zeigen?
Martin Novak
Eine Frau ohne Haare am Kopf. Das Bild verstört. Es zeigt die Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Krebs, Leiden, Ringen mit dem Tod. Oder es zeigt etwas ganz anderes. Zum Beispiel eine rotzige Rocksängerin.
Ein Bild, das die Wiener Ärztekammer für ein Plakat verwendet hat, verstört. Es trägt in einer Bilddatenbank die Nummer 271160804. Jeder kann das Foto um ein paar Euro kaufen und darf es frei verwenden. Es gibt ein sehr ähnliches Bild, auf dem die Frau lächelt, und ein weiteres, auf dem sie ein Kopftuch trägt. Ob sie darunter glatzköpfig ist oder eine volle Haarpracht trägt, weiß nur der, der auch die anderen Bilder kennt.
Zu dem Foto auf dem Plakat gehört auch ein Text: „Du kämpfst mit dem Krebs. Dein Arzt kämpft mit bürokratischen Hürden der Krankenkasse.“, steht da zu lesen. Was die Wiener Ärztekammer damit sagen wollte, sagt sie selbst in einer nachgereichten Erklärung: „Es sind die Ärztinnen und Ärzte, die Krebskranken, gemeinsam mit weiteren Spezialisten wie Psychologen etc., zur Seite stehen, sie beraten, auf ihre Sorgen eingehen, sie behandeln, die Therapien überwachen und auch im Falle palliativmedizinischer Betreuung Seite an Seite mit ihren Patienten stehen. Das können sie nur, wenn ihnen die Zeit dafür gegeben wird. Die Krankenkassen stehlen diese Zeit, da Ärztinnen und Ärzte mit immer mehr Bürokratie eingedeckt werden. Es kann also nur im ureigensten Interesse aller Patienten, und natürlich auch von Krebspatienten, sein, dass Ärztinnen und Ärzte wieder mehr Zeit für ihre Patienten zur Verfügung haben. Derzeit geht diese Zeit durch bürokratische Schikanen verloren, und genau das thematisieren die Plakate. Wie man daraus ableiten kann, dass die Ärztekammer die Probleme eines Arztes in seinem beruflichen Umfeld mit jenen von Krebskranken gleichsetzen möchte, ist schleierhaft.“
Diese Erklärung war notwendig, weil zuvor genau diese Ableitung stattgefunden hat. In einigen Fällen offensichtlich aus einer politischen Interessenslage heraus. Aber nicht nur: Auch Betroffene, unbedarfte Beobachter und Ärzte reagierten entsetzt, nannten das Motiv „geschmacklos“ und „widerlich“.
Ein schreibender Arzt, der seine Anonymität gewahrt wissen will, schrieb: „Fragen Sie doch einmal, weshalb eine Reihe onkologischer Therapien, die problemlos ambulant durchgeführt werden könnten, vom Hauptverband in die Spitäler verschoben wurden, weil dort der Deckungsbeitrag der Kassen geringer ist. Fragen Sie die Krankenanstaltenträger, weshalb sie unter dem Vorwand Schwerpunktbildung teure Therapien nur mehr an bestimmten Häusern und dort unter Mengenbeschränkung anbieten – übrigens nicht nur in der Onkologie.“ Und weiter: „Die (parteigebundenen) Berufsempörer, die sich zu Wort gemeldet haben, wissen das alles, wollen es aber unter dem Teppich halten. Nur Menschen, die schon länger nichts mehr mit dem Gesundheitssystem zu tun hatten, können das Plakat missverstehen, nur stellen die möglicherweise die Mehrheit der Wähler dar. Auch wenn es wir Ärzte nicht mehr wahrhaben wollen, die meisten Menschen dieses Landes sind augenblicklich – Gott sei Dank – nicht so schwer krank, dass sie in die Tiefen (und Untiefen) des Gesundheitssystems fallen. Wenn wir diese Menschen erreichen wollen, müssen wir ihnen erklären, was wir wirklich meinen.“
Die Werber, fasst er zusammen, hätten es geschafft, „zwar Recht zu haben, aber uns Ärzte als herzlose Egoisten, diejenigen mit klaren parteipolitischen Rollen und Absichten, von der Patientenanwältin über die Krankenkassenchefin bis zum Wirtschaftskämmerer, als die Guten dastehen zu lassen.“
Wie hätte das Plakat also sein sollen? Sanfter? Besser erklärend? Weniger aufregend? Geschmackvoller?
Ein Arzt, der das Plakat auch gesehen hat, und offenbar so verstand, wie es verstanden werden wollte, meinte: „Das neue Plakat ist griffig und für die Bevölkerung einfach zu verstehen. So geht PR einfach perfekt.“ Ein anderer dagegen: „Ich halte diese Publikation für äußerst unethisch und, euphemistisch benannt, für dumm, weiters auch für standesschädigend! Hier ist der Rubikon längst überschritten.“
Das reale Bild lässt ganz unterschiedliche Bilder im Kopf entstehen. Für die einen ist es griffig, für die anderen untergriffig. Die einen verstehen es anders, als es gemeint war und empören sich darüber. Andere verstehen es so, wie es gemeint war, glauben aber nicht, dass es andere ebenso verstehen.
Letztendlich bleibt der Eindruck, man könne nur zwischen wirkungsvoll und verstörend oder zwischen wirkungslos und störungsfrei wählen.
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