AERZTE Steiermark 11/2017
„Sicherheitskultur aufbauen“
Seit nunmehr zehn Jahren hat sich ein systematisches Risikomanagement in sämtlichen LKH der KAGes etabliert. Anlässlich dieses Jubiläums trafen sich 200 ExpertInnen zu einer Tagung, in deren Rahmen auch die „ Patient Safety Awards – Aktiv für Patientensicherheit “ vergeben wurden.
„So einen Blödsinn brauchen wir nicht, weil Ärzte machen keine Fehler.“ Mit diesen Worten ließ vor einem Vierteljahrhundert der ausbildungsverantwortliche Primar den engagierten Jungarzt Herwig Lindner, heute Präsident der Ärztekammer Steiermark und ÖÄK-Vizepräsident, abblitzen. Lindner hatte kurz zuvor an der Berliner Charité das Risk Management kennengelernt und wollte die Idee in die Steiermark importieren. Später fand er in KAGes-Personaldirektor Johann Thanner einen Mitstreiter, der ihn mit Peter Schweppe bekannt machte, welcher nunmehr im KAGes-Management für Recht und Risikomanagement verantwortlich ist.
Patient Safety Award
Unter Schweppes Mitwirkung wurden bereits 500 MitarbeiterInnen aller Berufsgruppen zu RisikomanagerInnen ausgebildet, die ihre Kenntnisse laufend aktualisieren. Rund 200 davon trafen sich Ende September im Klinikum zur Tagung „Aus Fehlern lernen – Aktiv für Patientensicherheit“. In diesem Rahmen wurde auch erstmalig der „Patient Safety Award – Aktiv für Patientensicherheit“ vergeben: an die LKH Judenburg-Knittelfeld, Rottenmann-Bad Aussee und Hartberg.
Systematisch statt reaktiv
Mit der heurigen Tagung wurde feierlich das zehnjährige Jubiläum des systematischen Risikomanagement-Rollouts in allen LKH der KAGes begangen. „Grundsätzlich ist das Risikomanagement der KAGes aus dem Prinzip der Nichtversicherung entstanden, das das Land Steiermark als Eigentümer vorgibt“, erklärt Schweppe. Dahinter steht die Überlegung, dass es kostengünstiger ist, Risiken soweit wie möglich selbst zu minimieren statt entsprechende Versicherungsprämien zu bezahlen.
Hatte man in den frühen 90er-Jahren zunächst Schadensfälle nachträglich analysiert und daraus Präventivmaßnahmen entwickelt, kam es im Jahr 2004 zur Entwicklung einschlägiger Ö-Normen, in denen festgelegt wurde, welche Strukturen, Abläufe und Methoden für systematisches Risikomanagement nötig sind. „Daraus wurde letztlich sogar eine weltweite Norm, nämlich ISO 31000“, erzählt Schweppe. „Ich hatte das Glück, für die KAGes relativ früh an diesem Regelwerk mitwirken zu dürfen.“
Nutzen muss erkennbar sein
Als wichtige Faktoren für ein gelebtes Risikomanagement nennt Schweppe die folgenden: Erstens müsse der konkrete Nutzen erkennbar sein – für PatientInnen, wie MitarbeiterInnen. Denn auch derjenige, der einen Fehler macht, ist dadurch negativ betroffen („ second victim “). Risikomanagement könne auch nur dann funktionieren, wenn es klar als Aufgabe der Führungsebene definiert sei. Neben dem Faktor qualitätsvolle Ausbildung zähle im RM besonders die Kommunikation. „Es muss eine Sicherheitskultur aufgebaut werden, in der es die Mitarbeitenden wagen, Fehler – oder Beinahe-Fehler – offen zu erzählen, sodass darauf reagiert werden kann.“ Die KAGes verzichtet daher auf Regressforderungen gegenüber dem Personal und stattet es für den Ernstfall mit einer Rechtsschutzversicherung aus. „Erst wenn sich die Mitarbeiter sicher fühlen, erfahren wir von den Vorfällen, aus denen wir lernen können.“
Zur Meldung kritischer Ereignisse nutzt die KAGes das CIRS (Critical Incident Reporting System), in dem Fälle anonym, aber auch – für die bessere interne Bearbeitung – unter namentlicher Nennung gemeldet werden können. Ein eigener Anonymisierer, als Teil des hauseigenen Review-Teams, sorgt weiters dafür, dass die Fälle nicht rückverfolgbar sind. Notwendig sei, so Schweppe, aber auch die stete Weiterentwicklung und Kontrolle des Erreichten. Als größte Herausforderungen für die Zukunft prognostiziert er die Sicherstellung der Versorgung, die Finanzierung teurer Medikamente im Hinblick auf den medizinischen Fortschritt sowie die Bewältigung des Ärztemangels.
Jede Art von Risiko
Das Risikomanagement der KAGes stützt sich auf Tools, die Routineabläufe klar strukturieren, wie das Team-Time-Out vor OP-Beginn, welches sicherstellt, dass am richtigen Patienten der korrekte Eingriff durchgeführt wird. Zudem hilft das „Trockentraining“ von richtigen Reaktionen auf Komplikationen – beispielsweise unter Geburten –, Fehler zu vermeiden. Dazu betreibt die KAGes ein eigenes Simulationszentrum.
Risikomanagement ist allerdings eine klassische Querschnittsmaterie und daher nicht nur auf den medizinisch-pflegerischen Sektor beschränkt. Auch finanzielle Belange, Versorgungssicherheit, ausreichende Personalbereitstellung und Sicherung der EDV werden dabei analysiert. Im Anschluss werden Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Situation und Auswirkung eines Fehlers einander gegenübergestellt und entsprechende Prioritäten gesetzt. Ebenso in den Bereich des Risikomanagements fällt das business continuity management, die Aufrechterhaltung des Betriebes in Notsituationen, beispielsweise im Falle eines 24-Stunden-Stromausfalls.
KAGes als Vorbild
„Trotz allerbester Vorbereitung ist hundertprozentige Sicherheit niemals möglich“, gibt Schweppe zu bedenken. Auf dem richtigen Weg dorthin befindet sich die KAGes trotzdem: Im Rahmen der Best-practice-Erhebung der Europäischen Plattform für Patientensicherheit (EuNetPas) im Jahr 2009 wurde ihr Risikomanagement als europaweit vorbildlich beurteilt. Die Anzahl der gemeldeten Schadensfälle ist übrigens mit rund 300 bis 350 pro Jahr (bei knapp 261.000 stationär und 955.000 ambulant behandelten PatientInnen im Jahr 2015) schon seit längerer Zeit stabil. Ebenso der Anteil der gerichtlich anerkannten Schäden, der bei weniger als einem Drittel liegt. „Das Einzige, das zugenommen hat, sind die zugesprochenen Schadenersatzsummen – die haben sich verdoppelt“, berichtet Schweppe.
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