„Die Menschen reagieren unterschiedlich“
Seit 2017 ist Günter Dörflinger – ehemaliger SPÖ-Politiker und seit Jahren Manager in der Privatindustrie – Vorsitzender des KAGes-Aufsichtsrates. Ein Gespräch über den Zustand und die Zukunft der Krankenanstaltengesellschaft, regionale Bedürfnisse, die Lenkung von Patientenströmen und die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber.
Martin Novak
AERZTE Steiermark : Sie sind Vorstandsmitglied in einem privaten Industrieunternehmen und Aufsichtsratsvorsitzender der KAGes. Was ist der Unterschied?
Dörflinger: Die Frage des Eigentümers ist nur ein Teil des Unterschieds. Der wirkliche Unterschied liegt darin, dass der medizinische Bereich mit ungemein vielen Auflagen und herausfordernden Rahmenbedingungen verbunden ist. Das macht das Arbeiten sehr komplex. Es gibt einen großen Schwerpunkt in der Fehlervermeidung. Bei Motivation und Struktur ist gerade die KAGes aus meiner Sicht hervorragend organisiert. Die Reporting- und Controlling-Strukturen funktionieren exzellent. Das Unternehmen ist insgesamt sehr gut aufgestellt.
AERZTE Steiermark: Der Aufsichtsrat überwacht den Vorstand, so steht es im Gesetz. Was gibt es in der KAGes zu überwachen?
Dörflinger: Ich spiele mich nicht als Ersatzvorstand oder Ersatzpolitiker auf. Dazu habe ich zu viele Erfahrungen in Privatunternehmen, um nicht genau zu wissen, welche Aufgaben ich zu erfüllen habe. Darüber hinaus gibt es eine gewisse Mittlerrolle zwischen allen Beteiligten. Durch die Erfahrungen in der Politik und in der Privatwirtschaft, glaube ich, viele positive Aspekte einbringen zu können.
AERZTE Steiermark: Welche positiven Aspekte sind das?
Dörflinger: Ich schaue auf der einen Seite sehr genau auf die Zahlen und auf die Fragen der wirtschaftlichen Auswirkungen. Auf der anderen Seite gehe ich ohne Vorurteile oder vorgefasste Meinung an die Sache heran. Die Frage ist, was ist das Ziel, wie kann man das Ziel mit möglichst geringem Aufwand erreichen?
AERZTE Steiermark: Das gesamte Gesundheitssystem – nicht nur in Österreich – unterliegt einem starken Veränderungsprozess. Das betrifft auch die KAGes. Wie wird denn die KAGes 2030 oder 2035 ausschauen?
Dörflinger: Die Grundsatzplanungen mit den sieben Leitspitälern laufen. Das ist keine Vision mehr, sondern bereits Realität. Das heißt, dass wir aufgrund der Komplexität aller dieser Themen … Qualität, Qualitätssicherung … bei den Standorten dort sein werden. Die Schwierigkeit, die ich sehe, ist, dass man den Menschen noch die Sicherheit geben muss, dass nicht die Anzahl von Betten und Standorten das Qualitätskriterium ist, sondern dass es um etwas anderes geht. Nicht das Krankenhaus im eigenen Ort muss automatisch die optimale Versorgung bedeuten. Da haben wir noch einigen Aufklärungsbedarf. Ich glaube aber, dass wir auf einem guten Weg sind, was die Spitalsversorgung insgesamt betrifft. Die Politik und die Menschen im Unternehmen haben klare Vorstellungen und arbeiten an deren Umsetzung.
AERZTE Steiermark: Ganz konkret am Beispiel des Bezirkes Liezen zeigt sich, dass regionalpolitische Bedürfnisse bzw. die Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern, die sich in Initiativen manifestieren, eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Sollte es im Jahr 2026 olympische Skirennen in Schladming geben, wird es dann auch schon ein zentrales Spital im Bezirk geben?
Dörflinger: Ich gehe davon aus, dass der Zeitplan, so wie er jetzt ist, eingehalten wird. Olympische Spiele hin oder her, es geht um eine optimale Versorgung in der Region. Ich würde auch ganz offen sagen, dass man die Frage regionalpolitischer Notwendigkeiten sehr ernst nehmen muss. Es geht gerade in der Peripherie um die Frage, wie wir gemeinsam lebensfähig bleiben können. Dazu zählen auch qualifizierte Arbeitsplätze etc. Das muss man in eine Gesamtentscheidung einbeziehen.
Insbesondere in der Region Schladming wird die Frage der optimalen Versorgung der leider im Winter- und Wandersport vorkommenden Verletzungen ein Thema sein. Es ist auch so vorgesehen, das werden wir machen. Das gleiche gilt für eine hochwertige Erstversorgung im Ausseerland. Ich sehe da keinen Widerspruch, man muss es nur ernst nehmen. Ich halte es für falsch, Regionalpolitiker abzukanzeln, weil sie für ihre Region rennen. Sondern man muss schauen, was ist notwendig und wie kann ich die medizinische Versorgung wirklich vernünftig sicherstellen? Viele Betten und an jedem Ort ein Spital, das hat mit Qualität überhaupt nichts zu tun.
AERZTE Steiermark: Was möglicherweise zu dieser Beunruhigung beiträgt, ist, dass sich die regionale Bevölkerung nicht klar informiert fühlt, das ist zumindest die Argumentation. Schafft das nicht Raum für regionalpolitische Diskussionen?
Dörflinger: Ich glaube, dass Standortentscheidungen immer hochsensibel sind. Ziemlich egal, wie man an sie herangeht, es wird immer Aufregungen geben, es wird immer Menschen geben, die einverstanden sind und solche, die nicht einverstanden sind. Ich glaube, die Art und Weise, wie das vorbereitet und politisch diskutiert wird, ist okay. Je länger es dauert, umso schwieriger wird es natürlich, weil viele Gerüchte auftauchen. Die Politik ist aber bemüht, eine möglichst rasche Entscheidung zu treffen und diese auch zu kommunizieren. Ich glaube, es ist gut, das intern vorzubereiten. Ich glaube, dass es gut ist, dass Gesundheitslandesrat Drexler versucht, hier eine breite Meinungsbildung zu schaffen und damit auch eine breite Mehrheit zu bekommen. Je stabiler das ist, desto leichter tut man sich mit der Umsetzung.
AERZTE Steiermark: Thema Spitalsverbünde – das ist sozusagen der erste Schritt in der Veränderung. Einer der Gründe für Spitalsverbünde ist die höhere Wirtschaftlichkeit, zumindest steht das so im KAGes-Geschäftsbericht . Worin besteht denn diese höhere Wirtschaftlichkeit?
Dörflinger: Zuerst muss man die Frage des Angebots anschauen. Das Angebot mit der großen Spezialisierung ist nicht überall möglich. Deswegen muss man versuchen, so wie das in Judenburg-Knittelfeld der Fall war, ein konservatives und ein chirurgisches Haus zu machen. Das war anfangs sehr umstritten, ich glaube aber, dass das jetzt nicht mehr diskutiert wird. Dass man eine Stroke Unit dazubekommen hat, dass man eine Unfallchirurgie dazubekommen hat, ist mittlerweile in der Region akzeptiert, weil man merkt, dass die Qualität da ist. Die Wirtschaftlichkeit besteht darin, dass man gewisse Hilfsdienste etc. bündeln kann und es dadurch zu einer Senkung des Aufwands kommt. Eine Verbundlösung hat auch den Vorteil, dass man gewisse Strukturen erhalten kann. Dadurch findet sie politische Akzeptanz.
Eines ist mir wichtig: Man muss auch die Kosten berücksichtigen, die entstehen, wenn man zwei, drei, vier Krankenhäuser schließt und ein neues baut: Bis zur Inbetriebnahme des neuen Krankenhauses muss man die bestehenden Häuser in Schuss halten. Es wäre weder gesundheitspolitisch noch sanitätsbehördlich vertretbar, bereits zu dem Zeitpunkt, wo man weiß, dass ein neues Haus gebaut wird, die anderen verfallen zu lassen. Das muss man in die Kosten einbeziehen.
AERZTE Steiermark: Ein Thema, das viele beschäftigt, sind die überlasteten Ambulanzen und Notfallaufnahmen. Ein erheblicher Teil der Menschen, die sich dort versorgen lassen, sind laut Statistik nicht am richtigen Platz. Wie soll man dem beikommen? Kann man den Menschen beibringen, nicht auf die Ambulanzen zu gehen? Muss man die Strukturen verändern, oder soll man einfach die Kapazitäten erhöhen?
Dörflinger: Ganz offen: Ich habe die Konzeption der Primärversorgungszentren als riesengroße Chance gesehen, einen Lenkungseffekt zu erzeugen, wenn – und das sage ich im Wissen, dass das wahrscheinlich nicht jedem Spaß macht – man jene Primärversorgungszentren die an einem Standort gemacht werden, wo es ein Spital gibt, direkt in das Spital integriert hätte.
Wenn das Primärversorgungszentrum von niedergelassenen Ärzten geführt in den Räumlichkeiten des Spitals agiert, kann der Patient vom fachlich qualifizierten niedergelassenen Arzt entweder direkt versorgt oder im Zweifel an die direkt daneben liegende Krankenanstalt weitergeleitet werden.
Die Frage ist, wie ich einen Lenkungseffekt zustande bringe: Wenn man ein Primärversorgungszentrum zum Beispiel 500 Meter neben dem Landeskrankenhaus errichtet, werden Patienten – und ich sehe es immer aus Sicht des Patienten –, die in Sorge sind, lieber ins Krankenhaus gehen, weil sie das Gefühl haben, dort alles zu bekommen.
Zweiter Punkt: Wie schaut es mit Haftungen aus, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Spitalsambulanz sagen, lieber Patient, Sie gehören nicht hierher, gehen Sie hinunter, und auf dem Weg passiert irgendetwas. Ich würde es wirklich sehr begrüßen, wenn man ganz offen und ohne Scheuklappen darüber diskutieren würde, das Konzept so zu machen, wie man es vorhat – aber überall, wo es ein Krankenhaus gibt, die Ordination, das Primärversorgungszentrum direkt in das Spital zu integrieren. Das soll von niedergelassenen Ärzten gemacht werden, keine Frage. Wenn der niedergelassene Arzt dann entscheidet, dass etwas genauer abzuklären ist …
AERZTE Steiermark: Zwischenfrage: Nur in den Räumlichkeiten oder auch in unternehmerischer Verknüpfung mit dem Spital?
Dörflinger: In den Räumlichkeiten des Spitals. Aber als Tätigkeit eines niedergelassenen Arztes, dem man klar getrennte Ordinationsräumlichkeiten zur Verfügung stellt. Ich würde mich nur als Patient wohler fühlen, wenn ich, weil der Arzt es sagt, gegebenenfalls für eine zusätzliche Abklärung gleich weiter in die Ambulanz gehen kann. Das wäre aus meiner Sicht ein funktionierender Lenkungseffekt. Ich würde eine stärkere Kooperation zwischen niedergelassenen Ärzten und Spitälern als Möglichkeit sehen.
AERZTE Steiermark: Nur ein Einzelfall: Eine niedergelassene Ärztin wurde zu einem Hausbesuch gerufen. Als sie ankam, war das Haus leer, der Patient mit einem Infekt in der Spitalsambulanz. Würde entsprechende Informationsarbeit bei den Patienten helfen?
Dörflinger: Ich bin da nicht sehr optimistisch. Wenn es um Gesundheit geht, wenn jemand das Gefühl hat, er ist ernsthaft krank, wird er schauen, dass er möglichst gut betreut wird. Dem Patienten selbst zu überlassen, das abzuschätzen, halte ich für problematisch, auch weil es unterschiedliche Typen gibt: Der eine hat einen leichten Hinterwandinfarkt und sagt immer noch, mir tut nur der Rücken weh. Der andere denkt, weil er schlecht Luft bekommt, er habe einen schweren Herzinfarkt und muss mit dem Notarzt eingeliefert werden. Die Menschen reagieren unterschiedlich, man sollte ihnen möglichst professionell durchhelfen. Beispiel Kinder: Beim ersten Kind reagieren Eltern in der Regel viel besorgter als beim zweiten. Da ist es den Menschen gegenüber unfair zu sagen, warum gehen Sie in die Ambulanz? Das ist dein Kind, du hast Angst, es bekommt wenig Luft. Ich glaube, dass die Patienten selber das nicht immer abschätzen können.
AERZTE Steiermark: Im Zusammenhang mit der Belastung steht auch das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz . Viele Unternehmen würden sich ja ein solches vergleichsweise liberales Gesetz wünschen, aber es gibt Vorstöße, das KA-AZG wieder zu lockern. Was ist Ihre Einschätzung?
Dörflinger: Ich tue mir relativ schwer, das zu beurteilen, weil ich sehr unterschiedliche Informationen habe. Für ein sehr ernsthaftes Thema halte ich, dass mir von vielen, sehr verantwortungsbewussten Medizinern gesagt wird, dass die Ausbildung mit diesem Arbeitszeitgesetz schwieriger geworden ist. Ich sehe aber natürlich auch, dass es manche als Fortschritt betrachten, auch was die Entlohnung betrifft. Es ist aber auch nicht die Aufgabe des Aufsichtsrates, dieses Thema anzugehen.
AERZTE Steiermark: Ärzte- und Pflegekräftemangel ist europaweit, eigentlich weltweit, ein Thema. Die KAGes hat sich in den letzten Jahren – durchaus erfolgreich – als guter Arbeitgeber positioniert. Wird das für die Zukunft reichen? Es gibt ja die Überlegung, mehr Mediziner an den Universitäten auszubilden … dann müsste man aber wohl auch die Ausbildungskapazitäten an den Spitälern erhöhen.
Dörflinger: Man muss einmal die Daten objektiv sammeln. Durch die Veränderung der Bevölkerungsstruktur und die Erhöhung der Lebenserwartung kommt einiges auf uns zu. Auf der anderen Seite sind Erkrankungen, die früher Spitalsaufenthalte von 14 Tagen erfordert haben, in deutlich kürzerer Zeit behandelbar. Das tagesklinische Angebot hat sich wesentlich erhöht. Es gibt zum Beispiel auch Verschiebungen bei der Tumortherapie, es sind Behandlungsmethoden entwickelt worden, die es Menschen ermöglichen, länger mit dieser Krankheit zu leben. Auf all das muss man sich einstellen.
An sich sind medizinische Berufe sehr beliebt. Die Rahmenbedingungen, Nachtdienste, Wochenenddienste … schränken aber die Attraktivität wieder ein. Das kann man nicht nur mit finanziellen Abgeltungen machen. Ich glaube, dass die KAGes in vielen Belangen vorbildlich agiert. Es gibt zum Beispiel sehr viele Frauen, die nach einer Babypause wieder zurückkehren und weiterarbeiten. Die Flexibilisierung bietet sehr viel Attraktivität, da wird man aber sicher noch einiges machen müssen. Prinzipiell bin ich beeindruckt.
Als ich im Landtag war, hat es geheißen, wir bilden viel zu viele Krankenschwestern aus. Ich war dann noch gar nicht weg, da sprach man von einem Krankenschwesternmangel. Ich glaube, da wäre mehr vorausschauende Planung notwendig, um zielgerichtet ausbilden zu können.
Zur Person Günter Dörflinger
1990–1996: Landesgeschäftsführer der SPÖ Steiermark und Aufsichtsratsvorsitzender-Stellvertreter der Leykam AG
1991–1996: Abgeordneter im Steiermärkischen Landtag (SPÖ)
1996–2003: Landesrat für das Spitals- und Gesundheitswesen und Jugend
Ab April 2003: Vorstandsdirektor der Steirischen Gas -Wärme GmbH Netze und Anlagen Fernwärme, Vertrieb/Marketing, Unternehmensstrategie, Personalmanagement, Beteiligungsmanagement Inland; Juli 2007: Bestellung zum Sprecher des Vorstands
Ab August 2008: Einstieg in das Familienunternehmen Christof Group – Vorsitzender des Aufsichtsrates der
Christof Holding AG
Ab September 2009:Vorstand der Christof Holding AG zuständig für Marketing, Werbung & Kommunikation,
Personal, Organisation, Shared Services, erneuerbare Energien, Revision
Seit 2015: Chief Operating Officer (COO) der Christof Industries GmbH
Seit 2017: Vorsitzender des Aufsichtsrates der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft (KAGes)
Fotos: Schiffer, beigestellt