„Das stimmt so nicht“

Im AERZTE Steiermark-Interview zeigt sich Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein davon überzeugt, dass die angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung zu mehr Fairness im Gesundheitssystem führen werden.

Martin Novak

AERZTE Steiermark: Sie standen in den letzten Monaten immer wieder im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen. Haben Sie sich Ihre Tätigkeit als Ministerin so vorgestellt?

Hartinger-Klein: Ich bin schon lange im politiknahen Bereich tätig, somit wusste ich natürlich, worauf ich mich einlasse.

AERZTE Steiermark: Beginnen wir mit den Veränderungen im Sozialversicherungssystem. Was wollen Sie in der Struktur des Sozialversicherungssystems konkret ändern?

Hartinger-Klein: Wir wollen die überbordende Bürokratie eindämmen und schlankere Verwaltungsstrukturen schaffen, indem wir von 21 Sozialversicherungsträgern auf 5 Sozialversicherungsträger reduzieren.

AERZTE Steiermark: Die Schaffung einer neuen Holding namens „Österreichische Gesundheitskasse“ bedeutet in erster Linie, dass eine zusätzliche Verwaltungsebene geschaffen wird. Worin liegt da die tatsächliche Vereinfachung?

Hartinger-Klein: Das stimmt so nicht, denn die neun Landesgebietskrankenkassen werden in einen einzigen Sozialversicherungsträger fusioniert. Dazu werden der Einkauf, die IT-Systeme und die Rechenzentren zusammengelegt. Damit lassen sich große Einsparungen bewältigen, die dann in die qualitative Versorgung der Versicherten investiert werden.

AERZTE Steiermark: Welche Aufgaben wird eine Landesgebietskrankenkasse nach Abschluss der Reform noch haben, welche nicht mehr?

Hartinger-Klein: Es wird keine eigenständigen Landesgebietskrankenkassen mehr geben, sondern nur noch Landesstellen der Österreichischen Gesundheitskasse – kurz ÖGK. Diese sind für die regionale Planung – wie z. B regionale Kassenstellen für Ärzte – zuständig.

AERZTE Steiermark: Manche der Vorwürfe gegen den Sozialversicherungsapparat treffen auch die österreichweit organisierten Versicherungsträger, wie die SVA oder die BVA. Warum sollte also eine österreichweite Dachorganisation für die Gebietskrankenkassen tatsächlich Verbesserungen bringen?

Hartinger-Klein: Weil durch die Einsparungen in der Verwaltung – wobei es eine Arbeitsplatzgarantie für die Mitarbeiter gibt – einfach mehr Geld für die Versicherten verfügbar ist. Dazu können die Entscheidungen einfacher und schneller getroffen werden.

AERZTE Steiermark: Nach letzten Berichten soll die AUVA nun doch bestehen bleiben. Zuvor schien eine Eingliederung in andere Sozialversicherungen nahezu unvermeidlich. Was soll nun tatsächlich geschehen?

Hartinger-Klein: Die AUVA hat bis 31. August 2018 Zeit, uns konkrete Maßnahmen und auch schon Beschlüsse vorzulegen, wie sie die im Regierungsprogramm festgelegten Einsparungen vornehmen will. Dabei darf es aber zu keinen Leistungskürzungen und Mitarbeiterabbau in den Unfallspitälern kommen. Auch die Rehab-Einrichtungen müssen bleiben.

AERZTE Steiermark: Ein wichtiger Punkt ist die Harmonisierung aller Leistungen nach dem Motto „gleiche Leistung um gleiches Geld“. Einerseits soll dabei kein Versicherter weniger bekommen als bisher, andererseits sagen Kritiker, dass sich die Reform nicht finanzieren lässt, wenn die jeweils maximalen Leistungen der Standard werden. Wie soll es also ohne Verluste gehen?

Hartinger-Klein: Der Regierung ist wichtig, mehr Fairness im Gesundheitssystem zu schaffen. Wir wollen für gleiche Beiträge die gleichen Leistungen – österreichweit. Das schaffen wir durch Einsparungen in der Verwaltung wie in der IT, im Einkauf, im Personalwesen usw. In der Prozessharmonisierung ist noch genug finanzielles Potenzial vorhanden. Sieben Millionen GKK-Versicherte profitieren davon.

AERZTE Steiermark: Sie haben dem Mystery Shopping in Arztpraxen eine Absage erteilt. Vielleicht nochmals: Warum wird es abgeschafft, welche Vorteile erwarten Sie sich dadurch?

Hartinger-Klein: Vertrauen darf nicht missbraucht werden. Es gibt andere Möglichkeiten zur Kontrolle, um schwarze Schafe zu finden. Außerdem gehen derartige Kontrollen zu Lasten des Vertrauens zwischen Arzt und Patient.

AERZTE Steiermark: Für einige Diskussionen hat die Ankündigung gesorgt, ELGA-Daten für wissenschaftliche Zwecke nutzen zu können. Was wird hier jetzt wirklich passieren?

Hartinger-Klein: Mir ist wichtig, dass die Daten weiterhin gesichert sind. Die Wissenschaft kann unter ganz bestimmten, klar geregelten Kriterien auf anonymisierte Daten zugreifen. Um auf ELGA-Daten zugreifen zu können, müssen Standesvertretungen wie die Ärztekammern oder Fachgesellschaften prüfen, ob ein wissenschaftliches Interesse an der aggregierten und anonymisierten Datenfreigabe vorliegt. Wird das Forschungsinteresse bestätigt, ist die Genehmigung einer Ethikkommission für das jeweilige Forschungsprojekt erforderlich. Diese Ethikkommission soll künftig beim BMASGK oder an medizinischen Fakultäten angesiedelt sein. Dieses Prozedere stellt sicher, dass hochsensible Patienten-Daten optimal geschützt bleiben und gleichzeitig die wissenschaftliche Forschung über Datenaggregationen und Registerdaten ermöglicht wird. Durch die Verwendung von Registerdaten können wichtige Rückschlüsse und Forschungen vor allem zu chronischen Erkrankungen gezogen werden. Und das ist im Sinne einer guten und modernen Gesundheitsversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger jetzt gesichert.

AERZTE Steiermark: Abschließende Frage: Was soll von Ministerin Beate Hartinger-Klein im Gesundheitsbereich bleiben?

Hartinger-Klein: Mir ist wichtig, dass das Gesundheitssystem langfristig flächendeckend auf noch qualitativ höherwertige Beine gestellt wird und in Österreich finanziert ist.
 

Harmonisierung, aber keine Harmonie

Die Regierung kündigte nun an, aus 21 Sozialversicherungsträgern vier bis fünf machen zu wollen – so wie es auch schon im Regierungsprogramm steht. Wie die Eckpfeiler des Reformvorhabens – Leistungsharmonisierung und Senkung der Verwaltungskosten – beschaffen sein sollen, ist aber noch unklar.

Die im Mai von der Bundesregierung angekündigte SV-Reform durfte eigentlich niemanden überraschen. Denn alles, was da als Neuigkeit präsentiert wurde, stand von Anfang an im Regierungsprogramm – und das ist ja seit Monaten bekannt.

Die neun Gebietskrankenkassen bekommen demnach eine „Österreichische Gesundheitskasse“ (ÖGK) als Dachorganisation bzw. Holding. Kompetenzen wandern von den selbstverwalteten Landeskassen zu dieser ÖGK.

Die Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB) und die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) vereinigen sich zu einer Unternehmerkrankenkasse. Die Versicherungsanstalt der Eisenbahner wird in die Beamtenversicherung eingegliedert. Die Pensionsversicherungsanstalt bleibt bestehen, für die AUVA gibt es noch einen Aufschub – wenn sie das vorgegebene Einsparungsziel von rund 500 Millionen erreicht, wird es sie weiter geben. Das macht summa summarum vier bis fünf Organisationen. Wobei allerdings noch nicht klar ist, wie viele Kompetenzen bei den Gebietskrankenkassen verbleiben. Über allem wird es weiter einen „Dachverband“ geben, den bisherigen Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Nicht betroffen sind die immerhin 15 Krankenfürsorgeanstalten. Sie sind auch nicht im Hauptverband organisiert. „Freiwillig“ könnten sie aber bei der Reform mitmachen, heißt es in einem Regierungspapier.

Österreichweit gleiche Leistungen

Es gibt zwei zentrale Argumente für die Veränderung: Das eine heißt „Leistungsharmonisierung“. Oder wie es Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein formulierte: „Österreichweit gleiche Leistungen für gleiche Beiträge“.

Das ist (auch) eine seit Langem erhobene Forderung der Ärztekammer. Die Kassen argumentieren, dass sie diese Leistungsharmonisierungen längst eingeleitet haben, „aber die letzten Punkte sind die schwierigsten“, so der steirische GKK-Obmann Josef Harb.

Bei der Pressekonferenz der Regierungspartner legte sich ÖVP-Klubobmann August Wöginger jedenfalls darauf fest, dass die bisherigen Selbstbehalte bestehen bleiben und das Gleichheitsprinzip nur innerhalb eines Trägers gelte. Spannend ist, was das für die neue Unternehmerkasse aus SVA und SVB bedeuten wird. Bei Ersterer gibt es bekanntlich Selbstbehalte von 20 Prozent, bei Zweiterer einen pauschalen Behandlungsbeitrag von knapp 10 Euro pro Quartal, auch wenn mehrere Ärztinnen und Ärzte in Anspruch genommen werden.

Der steirische Ärztekammerpräsident Herwig Lindner sagte zur Harmonisierung: „Dass Versicherte um gleiche Beiträge überall in Österreich die gleichen Leistungen bekommen, ist eine Frage der Gerechtigkeit.“ Es dürfe dadurch aber zu keinen Leistungsreduktionen kommen. „Die Gesundheitsleistungen müssen für alle gleich gut sein, nicht gleich schlecht.“ Alles andere wäre der Bevölkerung nicht erklärbar.

Ähnlich auch die Argumentation des Bundesobmanns der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte, Johannes Steinhart: „Eine vernünftige Leistungsharmonisierung kann nur zusätzliches Geld ins System bringen. Eine Nivellierung nach unten darf es hier nicht geben, das ginge auf Kosten der Versorgung und wäre Ärzten und Patienten nicht zumutbar.“

Sparziel kühn

Und zusätzliches Geld soll die Reform tatsächlich bringen: konkret eine Milliarde Euro, wobei nicht ganz klar ist, in welchem Zeitraum. „Bis 2023“ hieß es in der Erklärung der Regierung, also nicht unmittelbar. Die 500 Millionen, die bei der AUVA eingespart werden sollen, sind nicht Bestandteil der Milliarde. Das Ziel ist „kühn“ (Herwig Lindner). Die Krankenversicherungen geben ihre jährlichen Verwaltungskosten (2015) mit 459 Millionen Euro an (alle Sozialversicherungsträger: 1,176 Milliarden). Die von der WKO in Auftrag gegebene c-alm-Studie schätzt die tatsächlichen Verwaltungskosten der Krankenversicherungen auf 689 Millionen (alle SV-Träger: 1,503 Milliarden). Das Einsparungspotenzial in der Verwaltung für das „5-Träger-Modell“ (das jetzt kommen soll) liegt laut Studie bei 16 Prozent (10 Prozent wären auch ohne Strukturveränderungen möglich). Das wären für alle Krankenversicherungen 110 Millionen pro Jahr und für alle Sozialversicherungsträger 240 Millionen. Demnach würde es 4 oder gar 9 Jahre dauern, bis eine Verwaltungsmilliarde eingespart werden könnte.

Kritiker, und davon gibt es nicht wenige, sprechen von einer „Umfärbeaktion“, weil das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern in den Entscheidungsgremien verändert werden soll. Ingrid Reischl , Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse und Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband der Sozialversicherungsträger: „Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlieren so massiv an Mitsprache.“

Was genau die Strukturveränderung aber bringen soll, wird man erst im Herbst wissen, wenn die Gesetzesentwürfe vorliegen. Bisher gibt es nur eine Punktation, eine Art Willensbekundung – und das Regierungsprogramm.

 

AERZTE Steiermark Juni 2018

 

Fotos: Regina Aigner, Dragan Tatic