„Der Mensch braucht eine Bühne“

Demnächst ist der pensionierte Pädiatrie-Professor Peter „Ronny“ Scheer mit seinem dritten Kabarett im Jugendtheater Next Liberty zu hören und zu sehen. Bewusst an diesem Ort, „weil es um Jugend geht“ – in seinem Programm über das Altern.

„Es ist wie eine zweite Jugend – nur ohne Zukunft.“ So heißt das neue und dritte Kabarettprogramm des Kinderarztes, Psychotherapeuten und Buchautors Peter Scheer. Aber eigentlich, resümiert er, sei das Altern ja noch toller als die Jugend, denn „man muss nichts mehr werden“. Der Konkurrenzdruck falle weg, die Sorge um die finanzielle Zukunft. In jenem „luziden Intervall“, in dem man bereits pensioniert, aber noch nicht dauerkrank ist, könne man alles machen, von nichts bis zur Weltreise.

Scheer hat sich für die Weltreise entschieden und erzählt gerne von seiner Zeit am Schiff – sowohl von seinen Verhaltensstudien über die Mitreisenden am Büffet als auch von seiner Tätigkeit als „geheimer Schiffsarzt der kleinen österreichischen Gemeinschaft“. Ein Köfferchen mit Medikamentenvorräten gehört für ihn bei derartigen Unternehmungen einfach dazu – und er teilt sie bereitwillig.

Nichtstun ist auch im Alltag nicht sein Ding, daher betätigt sich der 67-Jährige nicht nur als helfender Geist in der Esslernschule „No tube“ („Das epigenetische Helfergen wird man nicht los.“), sondern eben auch als Schreibender. Im kommenden Frühjahr wird ein Krimi von ihm erscheinen und am 27. Juni hat sein aktuelles Kabarett im Next Liberty Premiere. „Schreiben ist für mich ein Teil des Lebens“, betont Scheer. „Aber ich musste dafür schon ein paar Schultraumen überwinden.“

„Aus dem Buch heraus“

Das neue Kabarettprogramm entwickelte sich „aus dem Buch heraus“, das er über das Altern publiziert hat: „Lust aufs Alter. Unkonventionelle Gedanken über das Älterwerden“. Geschrieben hat er es, nachdem er seine Mutter betreut und bis an die Schwelle des Todes begleitet hatte. Eine Zeit, die ihn primär als Sohn, aber auch als Arzt sehr gefordert hat. Dass aus dem Buch dann noch ein Kabarett entstanden ist, erklärt der pensionierte Universitätsprofessor mit seinem Bedürfnis nach einem bestimmten Maß an öffentlichen Auftritten, „weil man eine Rampensau ist“. „Der Mensch braucht eine Bühne“, deklamiert er, um im nächsten Augenblick zuzugeben, dass er sich vor derartigen Auftritten gleichzeitig auch fürchte.

„Drei Todsünden“ des alternden Menschen ortet er und seziert sie in Buch und Kabarett: Geiz, Angst und Besserwisserei. Zum Thema Geiz räumt er schon ein, dass es die Problematik der Altersarmut gebe. „Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass diejenigen, die wenig haben, oft die Großzügigeren sind.“ Die Angst alternder Menschen empfindet er als völlig fehl am Platz. „Fürchten sollen sich die 14-Jährigen am Berg oder die Anfänger am Moped.“ Mit dem distanzierten Blick des Arztes versucht er die Ängste seiner Altersgenossen zu analysieren und stellt dabei nach – allerdings nicht systematischer – empirischer Studie im Umfeld die These auf, Herzkranke hätten tendenziell mehr Angst als beispielsweise an Darmkrebs oder anderen lebensbegrenzenden Erkrankungen Leidende. „Vielleicht wird sich irgendwann beweisen lassen, dass Krankheiten die Ausschüttung spezifischer Neurobotenstoffe bewirken.“

Philosophierender Arzt

Todesangst hält er für unbegründet, denn der Tod sei ohnehin unausweichlich. Ein Gespräch mit Peter Scheer über Genese und Sinnhaftigkeit von Todesängsten böte einen spannenden Ausflug in Philosophie und Religion. Hat er doch auch parallel zum Medizinstudium in Wien auch ein solches in Philosophie absolviert – mit allen Lehrveranstaltungen, aber aufgrund formaler Schwierigkeiten ohne Dissertation. „Aber da für mich schon nach wenigen Monaten des Philosophiestudiums zu erkennen gewesen war, dass ich nicht – wie es alle hundert Jahre einmal geschieht – den Weg unserer Erkenntnis erneuern würde, hatte ich mich ohnehin auf die Medizin konzentriert und mit Begeisterung diesen wunderbaren Brotberuf erlernt.“

Der Philosophie blieb er trotzdem nebenbei treu. Über diesen Weg kam er auch zu seinem zweiten beruflichen Standbein: Über Jahrzehnte hat er – und tut es in kleinerem Umfang noch immer – im Auftrag der Wiener Wirtschaftsuniversität Seminare für Gruppendynamik und Organisationsentwicklung gehalten, später auch zu Stressmanagement.

Gespräche über Religion führt Scheer sowieso gerne; nicht zufällig hat er an der Karl-Franzens-Universität Seminare zum interreligiösen Dialog gehalten. Und wenn er über den Tod spricht, gehören Überlegungen zu den „Geschäften mit dem Herrgott“, die einen adäquaten Platz im Jenseits sichern sollen, jedenfalls dazu. Und zwar aus der Perspektive verschiedenster Religionen.

Kein endgültiger Sieg

Die dritte Todsünde des Alterns schließlich, die Besserwisserei, „zerstört alles Soziale“, erklärt Scheer. „Die Kinder hassen einen dann nur.“ Hin und wieder kämen sie aber schon, um seinen Rat einzuholen, sagt er im selben Atemzug. Denn Kinder gibt es genug im Hause Dunitz-Scheer, auch wenn sie den Kindheits- und Jugendjahren bereits entwachsen sind: Peter Scheer ist Vater zweier Töchter aus erster Ehe und dreier Söhne aus der jetzigen Ehe, in die wiederum seine Frau drei Kinder eingebracht hat. Auch Enkelkinder gibt es mittlerweile. Gelegenheiten zum Dozieren ergaben und ergeben sich für den pensionierten Universitätsprofessor, der über 28 Jahre lang die Psychosomatik und Psychotherapie auf der Grazer Allgemeinpädiatrie geleitet hat, also reichlich. Trotzdem versucht er, dieser und den anderen beiden Untugenden des Alters bestmöglich zu entgehen. „Bei allen dreien kann ein Sieg darüber kein endgültiger sein“, bekennt er freimütig. Das Kabarettprogramm präsentiert er vorsichtshalber in Ich-Form, um nicht in die Versuchung des Belehrens zu geraten.

Mitwirkender an diesem Kabarettabend ist auch Scheers zweitgeborener Sohn Aaron, mittlerweile 27 Jahre alt. Er darf in der ihm zugeschriebenen Rolle laut darüber nachdenken, ob man sich die Zeit zwischen Jugend und Alter nicht überhaupt sparen könne und sich selbst nicht so wichtig nehmen solle. Auch wenn diese Erwägungen aus dem Mund des Soziologie studierenden Sohnes, der sich gerade in Gruppendynamik fortbildet, kommen werden, entstammen sie doch der Feder des Vaters. „Ich hab´s geschrieben und er hat es angenommen“, kommentiert Peter Scheer das Procedere.

Monolog wider die Hoffnung

Seinen Schlussmonolog wird Scheer aus dem Krankenbett heraus halten, nachdem der ZPT (also der Mann für den Zentralen Patiententransport) seine Krankengeschichte referiert haben wird. Für die Rolle des ZPT versucht Scheer, Next- Liberty-Chef Michael Schilhan zu gewinnen.

Im Schlussmonolog empfiehlt er in seiner Art von Humor die Hoffnungslosigkeit: „Was opfert man nicht alles der Hoffnung: die Christen den Sex, die Juden das Essen, die Siebenten-Tages-Adventisten gleich beides …“ Die Zuhörenden dürfen also gespannt sein, welche positiven Aspekte er der Hoffnungslosigkeit noch abgewinnen wird. Was in der Bühnen-Performance des Multitalentes jedoch definitiv fehlen wird, ist der Gesang. Zwar trägt Scheer ihn im Namen, aber nicht wirklich in der Kehle: „Mit vollem Namen heiße ich Peter – weil meine Großmutter gegen einen jüdischen Vornamen plädiert hat –, dann Jaron, der vor Freude Singende, und Zwi, der Hirsch. Aber ich singe falsch.“

Die Lebensfreude des vor Glück Singenden scheint Peter Scheer, der sich nach dem Namen Jaron auch „Ronny“ nennt, schon eher zu liegen. Zwischen 25 und 50, meint er rückblickend, hätte er aber schon häufig sein „Morgenpessimum“ gehabt. Und jetzt? „Jetzt will ich noch alles erleben, aber wenn´s nicht sein sollte … Ich hatte ein wunderbares Leben.“

 

AERZTE Steiermark Juni 2018

 

Foto: Melanie Wutsch