Leitspital & Spitalsleid
In der Debatte um das künftige zentrale Spital im Bezirk Liezen wird der Ton immer rauer. Manche fühlen sich bereits bedroht. Differenzierende Stimmen haben es im Cocktail aus Versorgungspolitik, Wirtschaftspolitik und Verkehrspolitik, versetzt mit einem kräftigen Schuss Lokalstolz, immer schwerer.
Martin Novak
„Machen Sie den Patienten keine Angst“, wandte sich Johannes Kainz, Anästhesie-Primar am Landeskrankenhaus Hochsteiermark und notfallärztlicher Referent der Ärztekammer, an die Gegner des Zentralspitals für den Bezirk Liezen. Ort seines Appells war Ende Februar die Parteizentrale der steirischen Volkspartei am Grazer Karmeliterplatz. Dort trafen Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (VP) und SPÖ-Landtagsklubobmann Hannes Schwarz als Befürworter eines Liezener Leitspitals in Stainach-Pürgg auf FPÖ-Klubobmann Stefan Hermann sowie KPÖ-Klubobfrau Claudia Klimt-Weithaler, die gemeinsam für den Erhalt der bestehenden Krankenhausstandorte in Rottenmann, Bad Aussee und Schladming kämpfen, im Rahmen der „Dienstalk“-Reihe aufeinander. Auch mit dem Mittel einer Volksbefragung, die am 7. April stattfinden wird. „Soll es anstelle der drei bestehenden Krankenhausstandorte … nur mehr ein zentrales ‚Leitspital‘ geben?“, werden die Wahlberechtigten des Bezirks gefragt.
An diesem Abend wurde niemandem Angst gemacht. Die Gegner des „Leitspitals“ waren zwar gekommen, meldeten sich aber trotz mehrerer Versuche von Michael Fleischhacker (Publizist und u. a. Moderator bei Servus-TV-Diskussionen) nicht zu Wort. Auch die Sorgen wegen überzogener Zustimmungs- und Ablehnungsbekundungen aus dem Publikum waren unbegründet, Polizei und Security hatten nichts zu tun.
Biertisch
Ganz so sanft ist der Ton in der Debatte nicht immer. „Wenn Emotionen zu Drohungen ausarten“, titelte die lokale Wochenzeitung „Der Ennstaler“ in ihrer letzten Februar-Ausgabe. Dabei bezog sich das Blatt auf anonyme Schreiben und Drohanrufe, die der Teilzeit-Schladminger Gerhard Lanzer erhalten hatte, nachdem der emeritierte Medizin-Professor mehrfach öffentlich für die Spitalskonzentration argumentiert hatte. Der spricht auch von „der offensichtlichen Machtübernahme einer gewaltbereiten Biertischmentalität“, die jene trifft, die sich für das neue Spital aussprechen, vor allem, wenn sie – wie er – von außen kommen. „Bleiben Sie in Graz, wo Sie hingehören …“, musste er sich in einem Brief ohne Absender vorwerfen lassen. Wobei Lanzer weniger der rüde Ton des Briefes verblüffte, als das Faktum, dass er von einem offenbar durchaus gebildeten Menschen in geschliffener Sprache verfasst worden war. Die direkte Ansprache der Bevölkerung „mit der stichhaltigen Information bezüglich der dringlich notwendigen Reform“ ist Lanzers Credo.
Dass es auch wegen der Volksbefragung dazu kommen wird, scheint halbwegs gesichert. „Der Ennstaler“ veranstaltet einen „Runden Tisch“ mit medialer Abbildung, die „Kleine Zeitung“ bringt ihr Diskussionsformat mit dem nicht ganz aggressionsfrei klingenden Namen „Arena“ in die Region. Im Volkshaus Stainach treffen Gegner und Befürworter nach der Grazer „Dienstalk“-Veranstaltung wieder aufeinander. In Bad Aussee ist eine Bürgerversammlung geplant.
Der Gesundheitsfonds legt jedem Haushalt des Bezirks einen Informationsfolder vor die Tür. „Das neue Leitspital im Bezirk Liezen“, lautet der nüchterne Titel und verspricht „bessere Qualität für die Gesundheitsversorgung“.
Und genau auf die pochen die ärztlichen ExpertInnen. „Eine qualitativ hochwertige Medizin kann zukünftig nur mehr ab einer gewissen Spitals-Mindestgröße aufrechterhalten werden. Aus unserer Sicht ist ein Leitspital im Bezirk Liezen ein notwendiger Schritt, um das Problem der ärztlichen Versorgung zu lösen und dem Mangel in anderen Berufsgruppen wie z. B. Hebammen oder PhysiotherapeutInnen entgegenzuwirken. Mit dieser Maßnahme können künftig Diensträder weiterhin sichergestellt werden. Eine größere Einheit garantiert eine hohe Behandlungs- und Ausbildungsqualität, die auch im niedergelassenen Bereich hochwertige Medizin für alle verfügbar macht. In Verbindung mit einer gut funktionierenden Notfall- und breiten ambulanten Versorgung vor Ort in Schladming können die medizinischen Anforderungen der Zukunft bestens erfüllt werden“, meint Karl Wohak, ärztlicher Leiter des Diakonissen-Krankenhauses Schladming.
Der Leiter der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie, Prim. Christian Kaulfersch, sekundiert: „Seit Jahrzehnten gewährleisten die Diakonissen gemeinsam mit niedergelassenen Ärzten die medizinische Versorgung in der Region Schladming-Dachstein. Wir haben uns über die vielen Jahre entsprechend den steigenden internationalen medizinischen Standards weiterentwickelt und haben ganz klar festgestellt, dass aufgrund des medizinischen Fortschritts ein entsprechendes medizinisches Angebotsspektrum auf hohem Niveau nur in einer größeren Einheit möglich ist. Mit einem Leitspital kann die hohe Qualität der unfallchirurgischen und orthopädischen Expertise für die Gesamtbevölkerung in der Versorgungsregion auch zukünftig sichergestellt und weiter ausgebaut werden.“
Sehr ähnlich die Argumente der LKH-Führung des Spitalsverbundes Rottenmann-Bad Aussee: „Wir haben in den letzten Jahrzehnten wirklich alles getan, um den Menschen im Bezirk Liezen in der traditionellen Struktur die bestmögliche Versorgung zu bieten. Das haben wir so gut gemacht, dass sich sogar eigene Initiativen für unseren Fortbestand in dieser Form gebildet haben, was für uns selbstverständlich eine Ehre und Anerkennung ist. Faktum ist aber, dass der Weg in Zukunft bedingt, dass wir auch wachsen müssen, um unserer Ärzteschaft genügend verschiedene Fälle bieten zu können, um ihre beruflichen Erfahrungen machen bzw. weiter ausbauen zu können, wie es der medizinische Fortschritt erfordert. Und damit auch die höchstmögliche Versorgungsqualität für die Region sicherstellen zu können“, so der ärztliche Direktor Prim. Gerhard Melzer. Schon bei seinem Antritt im Jahr 2012 hatte er ähnlich argumentiert: „Wir bewegen uns in einer Zeit struktureller Veränderungen im Spitalswesen der Steiermark. In diesen Zeiten sind Kooperation und Vernetzung mit unmittelbar benachbarten medizinischen Institutionen sowie mit dem Universitätsklinikum Graz von besonderer Bedeutung.“
Der gebürtige Kroate Prim. Savo Miocinovic, Leiter der Chirurgie beider Häuser, plädiert ebenfalls für den Abschied von einer nicht länger zu bewahrenden Vergangenheit: „Wie man hier im Ausseerland weiß, habe ich seit vielen Jahren hart für den Erhalt der chirurgischen Versorgung am Standort und im Verbund gearbeitet und tue es noch. Aber gerade das berechtigt bzw. verpflichtet mich sogar dazu, zu erkennen und auch zu sagen, wenn das Ende dieses Weges in Sicht kommt und der sinnvolle Weg in Zukunft ein anderer sein muss, nämlich jener über ein Leitspital. Natürlich können wir keine jungen Spitalsärzte mehr davon überzeugen, in unserem wunderschönen Bezirk leben und arbeiten zu wollen, wenn wir ihnen kein zeitgemäßes Arbeitsumfeld bieten können. Und dazu braucht es im 21. Jahrhundert einfach eine andere Mindestgröße des Spitals als im 20. Jahrhundert. Aus fachlicher Sicht ist daher das Festhalten an der noch aktuellen kleinteiligen Struktur eine Sackgasse.“
Miocinovic weiß, wovon er spricht: Weil es bereits an Personal mangelt, macht der 61-Jährige, wie Landesrat Drexler beim „Dienstalk“ berichtete, jeden Monat eine zweistellige Zahl von Nachtdiensten selbst. Und wird das wohl bis zu seiner Pensionierung weitermachen müssen, wenn der Betrieb rund um die Uhr aufrechterhalten bleiben soll.
„Wie soll so etwas funktionieren?“
Den Gegnern des Zentralspitals kann man parteipolitische Taktik unterstellen, aber auch sie argumentieren: „Man kann auch ein bestehendes Spital aufwerten“, sagte FP-Klubobmann Stefan Hermann bei der Diskussion in Graz. Seine KPÖ-Kollegin Claudia Klimt-Weithaler lässt Fallzahlen „nicht als einziges Kriterium“ gelten. Sie pocht auch auf „Nähe“ und antwortet auf die Frage, in welches Spital sie bei einer Geburt ginge, ganz offen, dass sie bei einem erwartbar komplikationsfreien Spitalsaufenthalt eines wählen würde, in dem sie Verwandte und Freunde oft besuchen könnten, ohne lange Wege auf sich nehmen zu müssen.
„Insgesamt sehen wir die Entwicklung differenziert“, sagt etwa der niedergelassene Ramsauer Allgemeinmediziner Oliver Lammel im Wissen, mit dieser Meinung nicht allein zu sein. „Schladming wäre ja durchaus geeignet, ausgebaut zu werden und die Funktion eines Leitspitals zu übernehmen“, meint er und übt Kritik an der Planung: „Nun belässt man die Unfallchirurgie – zumindest tagesklinisch an diesem Standort, die Stationen sollen aber geschlossen werden – wie soll denn so etwas funktionieren?“
Kritisch wird auch die fehlende Ausstattung mit vollwertigen Bettenabteilungen für Kinder- und Jugendheilkunde sowie Neurologie gesehen. Die Frage ist allerdings, wie eine solche angesichts der knappen ärztlichen Personalressourcen – gerade in der Kinder- und Jugendheilkunde – gewährleistet werden könnte. Und Lammel spricht auch das im Bezirk Liezen wegen des jahrzehntelangen Streits um die Ennsnahe Trasse sensible Verkehrsthema an: „Trautenfels/Stainach ist von der Erreichbarkeit sowohl vom Westen als auch vom Süden furchtbar – jeder, der die B 320 fahren muss, weiß das.“ Befürworter wie Drexler argumentieren aber gerade mit der gleich guten Erreichbarkeit des neuen Standorts von fast allen Teilen des Bezirks aus (siehe dazu den Anhang „Schnellere Wege“).
Arbeitsplätze
Gegner haben auch wirtschaftliche Argumente: Das Diakonissenspital in Schladming ist mit 470 Ganzjahres-Arbeitsplätzen ein bedeutender Arbeitgeber. Rottenmann und Bad Aussee bieten (Stand 2017, Vollzeitäquivalente) rund 560 Arbeitsplätze. Ärztinnen und Ärzte sowie andere Angehörige qualifizierter medizinischer Berufe brauchen sich wenig Sorgen um ihre künftigen Arbeitsplätze zu machen – sie sind hoch begehrt. Deutlich schwieriger ist die Lage wohl für nichtmedizinische Hilfsberufe, wenn die bestehenden Häuser in der gewohnten Form nicht mehr existieren.
Das erklärt auch die Sorgen der betroffenen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Dass am neuen Standort neue Arbeitsplätze entstehen, tröstet nur begrenzt. Denn fußläufig wird ein Spital in Stainach-Pürgg für Einwohnerinnen und Einwohner von Rottenmann keinesfalls sein. Arbeitsplätze werden nicht verschwinden, aber wandern.
Andererseits könnten Gemeindeverantwortliche wissen, dass sie den Zug der Zeit nicht aufhalten können. Oder wie es Lanzer formuliert: „Sie müssten an der Informationsarbeit mitbeteiligt werden und dann auch am Biertisch das Gemeinsame vertreten.“
2025/250 Millionen
Zwei Eckzahlen begleiten das Projekt: Die Kosten des neuen Spitals dürften bei etwa 250 Millionen Euro liegen, in Betrieb soll es 2025 gehen. Bis dahin bleiben die bestehenden Häuser in Betrieb. Nach wie vor bedeckt hält man sich bezüglich der Finanzierung. Sie könne entweder über das Landesbudget oder als „Private Public Partnership“-Modell (PPP) erfolgen. Da kommen wieder die Diakonissen ins Spiel …
Nachnutzung
Für die Krankenhäuser in Rottenmann, Bad Aussee und Schladming wird es jedenfalls eine Nachnutzung geben, legt sich Gesundheitslandesrat Drexler fest. Wie die genau aussehen werde, könne jetzt – sechs Jahre vorher – noch nicht gesagt werden. Speziell für Bad Aussee gebe es aber bereits großes Interesse, in Schladming seien die Diakonissen als Eigentümerin am Zug. Die Situation in Rottenmann ist noch offen. Nicht geplant seien jedenfalls Pflegeeinrichtungen, davon habe der Bezirk genug, so Drexler.
Zentren
Laut RSG-Planung wird es jedenfalls Primärversorgungseinheiten geben (im steirischen Gesundheitspolitik-Jargon „Gesundheitszentren“). Mehr Ärztinnen und Ärzte werden es dadurch nicht: 45 §-2-Einzelplanstellen sollen sich in 26 Einzelstellen und 4 Zentren verwandeln. Auch die Zahl der 24 fachärztlichen §-2-Stellen bleibt laut RSG-Planung konstant. In Rottenmann und Schladming sind aber Facharztzentren geplant. Für die geplante PVE in Bad Aussee soll es eine „fachärztliche Erweiterung“ geben. Damit will Drexler, wie er es bei der Diskussion in Graz formulierte, „neue Wege in der Steiermark beschreiten“.
Schnellere Wege
Das Leitspital-Projekt hat auch Dynamik in die Verkehrsentwicklung des Bezirks Liezen gebracht, die sich im Konflikt um die so genannte „Ennsnahe Trasse“ in Kleinstlösungen erschöpft hat. Selbst der Kreisverkehr bei Trautenfels (nahe am vorgesehenen Spitalsstandort), wo die Bundesstraße 320 zwischen Liezen und Schladming und die Salzkammergutstraße B 145 zusammentreffen, war über viele Jahre ein Staupunkt. Bis 2020 soll er nun um knapp 12 Millionen Euro kreuzungsfrei werden und wesentlich zur Beschleunigung des Verkehrs beitragen. Dazu kommen 13 weitere Maßnahmen, Begleitwege, bessere Anschlüsse und Ausbauten, die in den nächsten Jahren angegangen und fertiggestellt werden sollen.
Umfahrung Liezen
Ein besonders ambitioniertes Projekt von großer Relevanz ist die geplante Umfahrung der Bezirkshauptstadt Liezen, gegen die sich die Gemeinde lange wehrte, weil sie Frequenzverluste für ihre Einkaufszentren fürchtete. Noch stehen zwei Varianten zur Debatte, die Kosten schätzt der steirische Landesbaudirektor Andreas Tropper laut „Kleiner Zeitung“ auf 40 bis 60 Millionen Euro. Geplant soll in den kommenden zwei Jahren werden, danach folgen die Genehmigungsverfahren, vor allem die Umweltverträglichkeitsprüfung. Man hofft auf eine Fertigstellung im Jahr 2029. Diese Umfahrung soll die Fahrzeit vom Süden des Bezirkes nach Trautenfels um Einiges reduzieren.
All diese Maßnahmen haben nicht nur etwas mit dem Spitalsprojekt zu tun – sie dienen ganz generell auch dem Durchzugs- und dem touristischen Verkehr.
Fotos: Shutterstock, Thomas Fischer, Shutterstock, Land Steiermark/Gesundheitsfonds, Freisinger, Land Steiermark, FPÖ, Huber, Konwalin
AERZTE Steiermark 03/2019