„Lehrpraxis gibt den letzten Schliff“
Die „neue“ Lehrpraxis nach der Ausbildungsverordnung 2015 bewährt sich: Ausbildner und Auszubildende finden durchwegs lobende Worte. Ein paar Verbesserungsvorschläge haben sie dennoch.
„Der Stephan geht zur Susanne.“ Mit diesen Worten hat eine ausbildende Oberärztin Stephan Gogg aus dem KAGes-Turnus seinen Lehrpraxis-Platz vermittelt.
Der junge Arzt, der seinerzeit eine angestrebte Facharztausbildung zum Augenarzt gegen die Aussicht auf ein klassisches Hausarzt-Dasein eingetauscht hat, verbrachte die letzten sechs Monate seiner Ausbildung in Graz, als Lehrpraktikant von Susanne Kouba-Fechter. Sehr zu seiner Zufriedenheit: „Ich konnte mich in hohem Maße selbst verwirklichen, konnte selbst die Therapiekonzepte zusammenstellen und mich ausreichend oft austauschen.“
Auch aus der Sicht der Ausbildnerin ist die Lehrpraxis gut gelaufen: „Nach zwei Wochen war er voll einsatzfähig“, resümiert Kouba-Fechter. „Rückfragen gab es vor allem im Bereich der HNO, die er im Turnus nicht gehabt hat.“ Sehr zum Bedauern des Lehrpraktikanten, der gerne eine Möglichkeit gehabt hätte, dieses Fach noch zusätzlich zu absolvieren. „Im Bereich der Wahlpflichtfächer war für mich klar, dass ich Anästhesie machen wollte, weil ich dieses Wissen für die Notarztprüfung gebraucht habe.“ Leider sei es aber nicht möglich, freiwillig zusätzliche Fächer in sein Portfolio aufzunehmen.
PatientInnen reagieren positiv
Stephan Gogg war bei weitem nicht der erste Lehrpraktikant von Susanne Kouba-Fechter: „Ich habe schon Lehrpraktikanten nach der alten Ausbildungsordnung in meiner Praxis gehabt. Außerdem kommen viele Studierende der Med Uni im letzten Jahr für ein Monat zu mir. Meine Patienten sind es gewohnt, dass jemand zum Lernen da ist, und jeder wird gefragt, ob es für ihn in Ordnung ist, vom noch lernenden Arzt behandelt zu werden.“ Chronisch Kranke und OnkologiepatientInnen sind bei ihrer angestammten Ärztin geblieben, aber ansonsten übernehmen in der Praxis Kouba-Fechter die LehrpraktikantInnen einfach jene PatientInnen, die als nächste dran sind.
Positive Rückmeldungen aus der Patientenschaft erhält auch Günther Strohmeier, Lehrpraxisreferent der Ärztekammer für Steiermark und Inhaber einer allgemeinmedizinischen Praxis im südweststeirischen Großklein. „Die Leute fragen eher ‚Hast jetzt niemanden?’, wenn einmal kein/e LehrpraktikantIn da ist. Gerade jüngere PatientInnen gehen auch gerne einmal zum jungen Doktor. Und ich habe auch schon erlebt, dass am letzten Tag der Lehrpraxis Menschen kommen, um sich zu verabschieden und zu bedanken.“ Wie Kouba-Fechter hat Strohmeier bereits zwei PraktikantInnen nach der neuen Ausbildungsordnung angestellt; dieser Tage beginnt eine dritte. Vorab gekannt hat er seine LehrpraktikantInnen nicht. Interessierte melden sich bei ihm, dann kommen sie zu einem Vorstellungsgespräch, nach dem entschieden wird, ob eine Zusammenarbeit in Frage kommt. Acht Leute haben in den vergangenen eineinhalb Jahren ihr Interesse bekundet.
Auf Augenhöhe
Strohmeier engagiert sich in der Lehrpraxis, weil er selbst seinerzeit positive Erfahrungen als Lehrpraktikant gemacht hat. „Ich habe erlebt, wie viel das bringt, denn richtige Familienmedizin kann man nur in der Ordination lernen. Die Lehrpraxis liegt mir einfach am Herzen.“ Früher sind angehende Ärzte zu ihm gekommen, wenn sie auf einen Turnusplatz gewartet haben. Heute beginnen sie bei ihm erst, nachdem sie die klinischen Fächer absolviert haben. „Da kommt vom ersten Tag an etwas zurück und man kann auf Augenhöhe arbeiten. In der Lehrpraxis bekommen die jungen Ärzte dann nur mehr den letzten Schliff.“
Kouba-Fechter, die ebenfalls findet, dass die „neuen“ Lehrpraktikanten in Theorie und Praxis gut vorbereitet wurden, unterrichtet gern und ist deshalb ausbildende Ärztin aus Passion. Zudem arbeitet sie bevorzugt im Team, was ansonsten in der Einzelordination nicht so leicht möglich ist: „Ich lerne auch selbst immer etwas dazu, die jungen Ärzte bringen einfach frische klinische Praxis mit. Und ich bin als Ausbildnerin immer motiviert, mich selbst fortzubilden.“
Auch Strohmeier profitiert nach eigenen Angaben vom Know-how seiner LehrpraktikantInnen, je nachdem, welchen Schwerpunkt sie im klinischen Turnus gesetzt haben. „Es ergeben sich immer wieder spannende Diskussionen über neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten.“ Erst kürzlich brachte der Lehrpraktikant sein an der Klinik erworbenes Wissen über Schwerionen-Bestrahlung ein und Strohmeier konnte einer betroffenen Tumorpatientin einen entsprechenden Therapieplatz organisieren.
Regelmäßiger Austausch
Beide Ausbildner halten regelmäßig – bis zu täglich – Rücksprache mit ihren Praktikanten, auch stehen sie jederzeit unterstützend zur Verfügung. „Wie sehr die Hilfe in Anspruch genommen wird, hängt auch von der Persönlichkeit der Praktikanten ab. Der eine traut sich sofort viel zu, den anderen muss man erst in seinem Selbstbewusstsein stärken“, erzählt Kouba-Fechter.
„Ich habe einfach im System jene Fälle markiert, die ich nach Ordinationsschluss besprechen wollte“, berichtet Gogg. Sind die jungen Ärzte allein unterwegs – etwa auf Visite im Pflegeheim –, stehen ihre Ausbildner in telefonischer Bereitschaft zur Verfügung, auch wenn sie sehr selten gebraucht werden. Sehr wohl gebraucht wird am Land die Wegbeschreibung durch den angestammten Arzt. „Zu den entlegenen Häusern fahren wir immer zu zweit. Wenn man die Gegend nicht kennt, verirrt man sich wirklich leicht“, so Strohmeier.
Den administrativen Aufwand, der durch die Lehrpraxis entsteht, sehen die beschäftigenden Ärzte unterschiedlich: „Das Procedere mit der Förderung ist schon aufwendig“, bedauert Kouba-Fechter. „Man muss immer kontrollieren, ob die Buchhaltung schon alle Excel-Tabellen erledigt hat.“ „Die Abwicklung der Förderung mit der Ärztekammer hat jedes Mal super geklappt“, resümiert hingegen Strohmeier.
Lücken vermeiden
Auch wenn beide mit der Lehrpraxis in ihrer jetzigen Form sehr zufrieden sind, äußern sie auf Nachfrage auch Verbesserungswünsche. Beide regen mehr Flexibilität im System an, dass die Lehrpraxis eventuell auch in zwei Teilen absolviert werden können. In beiden Ordinationen ist es nämlich bereits vorgekommen, dass eine zuvor fix vereinbarte Lehrpraxis nicht zustande gekommen ist, weil die jungen Ärzte kurzfristig eine Facharzt-Ausbildungsstelle antreten konnten. Dadurch entstand in den Praxen jeweils eine Lücke von sechs Monaten, weil man ja nicht innerhalb einer Woche Ersatz findet und die nachfolgende Lehrpraxis schon zugesagt war. „Vielleicht könnte man in diesem Fall jemanden für zwei Mal drei Monate aufnehmen, um die danach vereinbarte Lehrpraxis nicht zu gefährden“, schlägt Kouba-Fechter vor. Strohmeier sähe die Lehrpraxis gerne verlängert – durchaus bis zu einem Jahr. Auch eine Anstellung beim Krankenanstaltenträger, wie sie in den anderen Bundesländern erfolgt, wäre für ihn ein Ziel. Aber generell hält er die Lehrpraxis schon so, wie sie ist, für ein „Erfolgsmodell“. Seine ehemalige Lehrpraktikantin ist gerade dabei, sich als Wahlärztin in seiner Praxis einzumieten. Auch Stephan Gogg ist der Ordination Kouba-Fechter treu geblieben. Er vertritt seine ehemalige Ausbildnerin regelmäßig. Nach ein paar Jahren mit Vertretungsdiensten möchte er dann selbst eine allgemeinmedizinische Kassenordination eröffnen.
AERZTE Steiermark 04/2020