AERZTE Steiermark 01/2021

 

„Die Juristerei macht Spaß“

Blutgruppenserologe und Transfusionsmediziner Thomas Wagner hat mit 40 noch ein Jusstudium absolviert, das ihn zum gefragten Experten macht. Die Systematik der juristischen Denkweise bereitet ihm aber auch richtigen Spaß.

Ursula Scholz

„Das juristische Denken funktioniert wie Schach: Es gibt klare Regeln und vorgesehene Züge, man lernt zu argumentieren und Sachverhalte einzuordnen“, erklärt Thomas Wagner, Facharzt für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin. „Dabei ist allerdings der Abstraktionsgrad gesetzlicher Regelungen sehr groß, weshalb sich interessante Interpretationsspielräume auftun.“

Wagner wollte zwar schon von klein auf Arzt werden und war mit 17 Jahren bereits als Rettungssanitäter aktiv, aber das Rechtswesen hat ihn ebenso fasziniert. „Vielleicht liegt es daran, dass mein Großvater als Rechtspfleger gearbeitet hat.“ Die Entscheidung fiel letztlich zugunsten des Medizinstudiums, das er mit der Vision von universitärer Freiheit in Forschung und Lehre begann. Die Wahl seines ungewöhnlichen Faches bezeichnet er im Nachhinein als Zufall; die damals ausgeschriebene Ausbildungsstelle an der Grazer Universitätsklinik passte einfach gut zum erträumten Zugang zu den genannten universitären Freiheiten. Die sich in der Praxis dann allerdings etwas anders darstellten …

Steil bergauf

Die Karriere des heutigen Stellvertreters des Klinikvorstands und Leiters der Forschungseinheit „Klinisch-serologische Immunhämatologie und Blutgruppengenetik“ verlief gleich ab der Facharztprüfung im Jahr 2000 recht steil: Im Jahr darauf hatte er sich habilitiert und wurde zum außerordentlichen Professor berufen. Vier Jahre später machte er in Graz einen Master in Telemedizin, nachdem er in der Zwischenzeit drei Forschungspreise gewonnen hatte. Im Jahr 2006 absolvierte er in Krems den Masterstudiengang in Gesundheitsmanagement und ein weiteres Jahr danach einen an der Wiener Wirtschaftsuniversität in Health Care Management.  Als „ganz unspektakulär“ klassifiziert er den damaligen Balanceakt zwischen Vollzeitjob und Studien. „Wer in einer Klinik als Arzt tätig ist, braucht einfach eine Ausbildung in Krankenhausmanagement“, erklärt er lapidar. „Und nachdem die Gruppe, mit der ich in Krems zusammen studiert habe, geschlossen in Wien weitergemacht hat, wollte ich da auch dabei sein.“  In dieselbe Lebensphase fiel zudem seine Zeit als (Vize-)Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin. Mit 40 zog er dann Bilanz: Noch 25 Berufsjahre einfach nur im selben Job, das kann es nicht gewesen sein.

Blut & Recht

Also inskribierte er in Linz an der Johannes-Kepler-Universität Jus, weil dort ein Fernstudium angeboten wurde. „Hätte es den Medizinrechtslehrgang damals schon gegeben, hätte ich vermutlich den gemacht“, meint er retrospektiv. Denn eigentlich wurzelte sein juristisches Interesse eindeutig im Medizinrecht. Blutprodukte gelten als Arzneimittel – da tun sich zahlreiche rechtliche Fragen auf. Im Nachhinein ist er froh, ein allgemeines Jusstudium absolviert zu haben, entdeckte er dabei doch sein Interesse an der Rechtsgeschichte und am Römischen Recht. „Die Juristerei macht Spaß“, erklärt er durchaus überzeugend.

Von Anfang an konnte er seine rechtskundlichen Kenntnisse in der Praxis anwenden: Schon im Vorfeld der ÖH-Wahlen 2013 wurde er vom damaligen MUG-Rektor Josef Smolle gebeten, Vorsitzender der Ständigen Wahlkommission der Hochschülerschaft an der Medizinischen Universität Graz zu werden. Eine Funktion, die er seitdem im Zweijahresrhythmus erfüllt. Zudem fungiert er als Datenschutzbeauftragter der Med Uni. „Ein Grundrecht mit mittelbarer Drittwirkung“, lautet sein spontaner Expertenkommentar zum Thema Datenschutz. Seit deren Gründung ist er Teilnehmer an der interuniversitären IG Datenschutz und wurde in Vorbereitung der DSGVO-Implementierung auch in ein Gremium universitärer Datenschutzbeauftragter berufen (Mitglied der Task Force Datenschutz der uniko). Zunächst fühlte er sich auf dem ungewohnten Terrain wie ein Anfänger. „Mit der Zeit wurde mir aber klar, dass die anderen darüber auch nicht so viel mehr wissen als ich.“ Und er kniete sich in die Materie hinein.

Lernen & Lehren

Ebenso spannend wie das lebenslange Lernen findet er das lebenslange Lehren: als Ausbildungsoberarzt wie als Lehrbeauftragter an der Med Uni Graz und im Rahmen des Masterstudiums Angewandte Ethik der Karl-Franzens-Universität. Dabei geht es oft um nützliche Basisinformationen: „Man sagt ja, der Arzt steht immer mit einem Fuß im Kriminal. Aber das stimmt nicht“, lehrt er zum Beispiel die Medizinstudierenden. Sofern man sich als Ärztin oder Arzt an zwei Grundregeln hält: erstens laufend fortbilden und die aktuellen Leitlinien befolgen und zweitens ausreichend dokumentieren. Vor allem im Bereich Aufklärung und Einverständniseinholung.

An der Med Uni unterrichtet er seit langem Medizinrecht und setzte sich seinerzeit dafür ein, die Vorlesung zu Ethik und Recht in ihre beiden Einzelaspekte zu zerlegen. Seit dem Jahr 2014 lehrt er zudem an der KFU „Bioethik, Rechtsethik und Gesetzgebung“ sowie seit 2017 „Forschungsethik“. Wie so oft vertiefte er sich in die Materie – und absolvierte das Masterstudium dann auch gleich selbst. Ein bisschen eigenartig sei es natürlich gewesen, dass ihn die StudienkollegInnen einmal als Lehrenden vor sich hatten und dann wieder als Mitstudenten neben sich im Hörsaal.

Eigene COVID-19-Forschung

Neben seinen juristischen Spezialaufgaben und der Lehrtätigkeit bleibt Wagner immer noch Zeit für die medizinische Wissenschaft. Zuletzt hat seine Forschungsgruppe mit einem Projekt auf sich aufmerksam gemacht – und kam damit bis ins Schweizerische Fernsehen –, das sich mit der Auswirkung der Blutgruppen auf das Erkrankungsrisiko bei COVID-19 beschäftigt. Dabei betrachteten seine Kollegin Eva Maria Matzhold und er das Erkrankungsrisiko noch differenzierter anhand verschiedener Blutgruppen; nicht nur nach ABO, sondern auch nach dem Lewis- und dem Secretorsystem. Beide erfassen ebenfalls Zuckerstrukturen an der Erythrozytenoberfläche, die eventuell mit dem Virus interagieren können. Eine Publikation steht unmittelbar bevor und in Kooperation mit der Biobank wird gerade eine neue Kohorte aufgebaut.

Zwischen den Welten

Wagner sieht sich auch als Übersetzer zwischen den beiden Welten von ÄrztInnen und JuristInnen, denn die verstünden unter demselben Wort manchmal etwas total anderes: „Nehmen wir beispielsweise den Begriff des Notfalls. Wird er von einem Arzt verwendet, steht er für eine Situation, in der binnen Sekunden reagiert werden muss. Ein Jurist hingegen bezeichnet es als Notfall, wenn er nicht innerhalb von 14 Tagen einen Bescheid vom Bezirksgericht erhält.“ Da spricht wohl eher der Arzt aus Thomas Wagner.

 

Fotos: Med Uni Graz