AERZTE Steiermark 07-08/2021
Unter einen Pilz-Hut gebracht
Der in der Südoststeiermark niedergelassene Neurologe Albert Weinrauch betreibt seit Studienzeiten eine IT-Firma und hat in der Coronakrise eine Demenz-Früherkennungs-App programmiert. Der neueste Fruchtkörper im Myzel seiner Ideen: eine Biopilzzucht.
Ursula Scholz
Langweilig ist ihm nie. Aber gestresst wirkt er auch nicht. Albert Weinrauch pflegt seine vielseitigen Interessen bei gleichzeitiger Achtung seiner Grenzen. Das Substrat, auf dem die Früchte seiner Arbeit sprießen, ist die Freude an dem, was er tut. Das gilt für die Medizin, die sein klarer Berufswunsch war, bis hin zum derzeit dreimal wöchentlichen Besuch der landwirtschaftlichen Abendschule in Hatzendorf.
„Aber hauptsächlich bin ich schon Arzt“, betont er. „Alles andere sind meine Hobbys.“ Nach dem Besuch der AHS in Fürstenfeld war er auf der Suche nach einer möglichst breit aufgestellten Vertiefung seiner naturwissenschaftlichen Interessen. „Da habe ich das Medizin-Studium schon ein bisschen romantisiert und verklärt“, meint er retrospektiv. Trotzdem blieb er dabei, promovierte, absolvierte den Turnus und – nach einem kleinen Abstecher in die Innere Medizin – die Facharztausbildung für Neurologie. Der Gang in die Niederlassung war von Anfang an Weinrauchs Ziel, und im Jahr 2015 eröffnete er seine erste Wahlarztordination in seiner Heimatstadt Fehring. Noch neben seiner Tätigkeit als Oberarzt am LKH Feldbach. Seit Herbst 2017 widmet er sich – als Arzt – ausschließlich seinen beiden Ordinationen in Fehring und Fürstenfeld.
Programmieren beim Studieren
Gegen Studienende wurde Weinrauch zum ersten Mal Vater und stand vor der Herausforderung, seine Familie erhalten zu müssen. Da griff er auf eine zwischenzeitlich ruhend gestellte Kompetenz zurück: das Programmieren. „Meine Mutter hat an der HAK Textverarbeitung unterrichtet, deshalb waren wir daheim schon sehr früh mit einem Computer ausgestattet. Noch im Volksschulalter habe ich mit einfachen Programmiersprachen wie Basic begonnen und mich nach einer Pause im Studium später dann mit den moderneren Varianten auseinandergesetzt“, erzählt der nunmehr 42-Jährige.
Die vorübergehende finanzielle Lücke ließ sich durch diese Zusatzkompetenz schließen – und noch heute führt seine Frau neben ihrer Tätigkeit in der Ordination das IT-Unternehmen weiter. Nun liegt der Fokus auf Domain-Catching, also dem sekundenschnellen Kauf reservierter Web-Domains, sobald sie frei werden. Albert Weinrauch zeichnet für die Software dahinter verantwortlich.
Braining.app statt Lockdown-Loch
Die digitale Affinität half ihm im Lockdown nicht nur beim Umstellen der Patientenbetreuung auf telemedizinische Leistungen, sondern inspirierte ihn auch zur Gestaltung eines online durchführbaren Demenz-Früherkennungstests, der unter dem Namen Braining.app bereits frei zugänglich und kostenlos zu nutzen ist. „In meine Ordination kommen immer wieder gestresste Menschen, die unter Gedächtnisschwäche oder Wortfindungsstörungen leiden“, erzählt Weinrauch. „Mit der Braining.app haben sie die Möglichkeit einer validen Testung, die einerseits eine Demenz-Früherkennung ermöglicht und andererseits viele beruhigt, weil sie eine beginnende Demenz ausschließt.“
Alleinstellungsmerkmale und Vorteile gegenüber bewährten Tests wie Mini-Mental oder DemTect sind die Berücksichtigung der Exekutivzeit, aber auch die Möglichkeit, den Test rein online durchzuführen – ein besonders wichtiges Merkmal in Corona-Zeiten. Und nicht zuletzt: die bequem von daheim zu bewerkstelligende Verlaufskontrolle durch regelmäßige Testung.
Die geplante Weiterentwicklung der Braining.app, die später einmal mittels Künstlicher Intelligenz auch ein individuelles Trainingsprogramm erstellen soll, liegt derzeit auf Eis. Oder besser gesagt auf einem Gemisch aus Stroh, Holz und weiteren geheimen Zutaten.
Auf den Pilz gekommen
Denn kein Pilzzüchter verrät im Detail, auf welcher Mischung von Substanzen er seine Kulturen heranzieht. Und Albert Weinrauch ist Ende vergangenen Jahres unter die Bio-Pilzzüchter gegangen. „Vor drei Jahren haben wir auf einem Hügel im Süden von Fehring vier Hektar Grund gekauft und überlegt, welche Art von Landwirtschaft wir dort betreiben können“, berichtet Weinrauch von den Anfängen. Erst im Laufe der landwirtschaftlichen Fachausbildung, zu der ihn sein Jugendfreund und Grundnachbar motiviert hat, der auch Lehrer in Hatzendorf ist, kristallisierte sich heraus, worauf sich die Weinrauchs fokussieren wollten.
Eine Form von Speziallandwirtschaft musste es sein, denn für konventionelle Produkte sind vier Hektar zu wenig. Weinbergschnecken wären eine Option gewesen, „aber ich will nichts züchten, das ich nicht selbst gerne esse“. Pilze hingegen kocht und isst der vielseitige Neurologe gern. Derzeit wachsen Shiitake sowie Rosen- und Kastanienseitlinge in seinem 50-Quadratmeter-Myzelraum. Im Moment wird indoor experimentiert, aber ein Outdoor-Anbau könnte noch folgen.
Ausschließlich Raritäten
„Noch gelingt uns keine kontinuierliche Fruchtung“, gibt Weinrauch unumwunden zu. Aus der Ruhe bringt ihn das nicht. Beliefert wird vorerst nur der Bauernmarkt in Fehring und auch einzelne Gaststätten zählen zu den Kunden. „Wenn die Ernte für die Nachfrage gerade zu üppig ausfällt, trocknen wir den Rest eben.“ Die Pilzzucht ist auch so angelegt, dass zwar viele Wochenenden der Substratkomposition gewidmet sind, aber trotzdem eine Urlaubsreise möglich bleibt. Weinrauch ist Herr der Pilze – und nicht ihr Knecht.
Er hat schon mit einigen Sorten experimentiert, aber Allerweltspilze baut er nicht an. Da schwärmt er eher vom orange- bis rosafarbenen Rosenseitling, der – scharf angebraten – eine Art Speck-Aroma entwickelt. Oder vom nussig-milden Kastanienseitling. Oder vom korallenartig geformten Pompom. „Wir müssen erst unseren Weg finden“, betont er. Klar ist für ihn aber, kein fertig geimpftes Substrat zu kaufen und nur mehr die Pilze aussprossen zu lassen. „Wir setzen weiter vorn an.“
„Entspanne mich dabei“
Aus einem Gemisch von Stroh, Holz, Getreideschrot und tonartigen Substanzen zum Wasser-Speichern werden da in der heimischen Küche Substrate gemischt und sterilisiert, damit nicht statt der Speise- die Schimmelpilze wachsen. Die Substrate werden dann mit Myzel-umhüllten Getreidekörnern „geimpft“, die man fertig kaufen kann. Dann gilt es noch, den richtigen Fruchtungsreiz – mittels Temperatur und Luftfeuchtigkeit – zu setzen und die Trauermücken von der Ernte abzuhalten. Mit rein physikalischen Mitteln, zur Einhaltung der Vorschriften für den Bio-Landbau. „Mehr als zehn bis 15 Wochenstunden investiere ich aber nicht in die Pilzzucht. Sie ist einfach mein Hobby, bei dem ich mich entspanne.“
Zwischen Neurologie und Pilzzucht kann Weinrauch kaum Parallelen erkennen. Vielleicht noch diese, dass bei der Entwicklung des Know-hows ein strukturiertes Vorgehen notwendig ist und er dazu Entscheidungsbäume visualisiert. Wobei der Neurologe aus dem Pilzzüchter spricht. Aber vielleicht liegt genau darin der Reiz für den Neo-Pilzbauern Weinrauch: in der Freizeit viel Kontrast zum beruflichen Alltag zu leben.
Fotos: beigestellt