AERZTE Steiermark 09/2021
Akademikerin in Heilkunst und Reitkunst
Eva Kada kommuniziert in Kontrasten: Während sie als Primaria der Abteilung für Forensische Psychiatrie mit schuldunfähigen Täter*innen oft Klartext sprechen muss, verständigt sie sich mit ihrem Pferd Idolo wortlos und in feinsten Nuancen – nach den Prinzipien der Akademischen Reitkunst.
Ursula Scholz
Sonnenschein über der Allee, die zum englischen Gutshaus führt. Eine Herde edler Pferde galoppiert den Weg entlang, während die Musik auf die emotionalen Ver- und Entwirrungen des kommenden Kinderfilms einstimmt. Der Moment, an dem Eva Kada angesichts des Vorspanns ihrer Lieblingsfernsehserie beschloss, Pferde zu ihren Lieblingstieren zu erwählen, kam früh und noch vor Live-Erlebnissen. Bis dahin waren Affen ihre und ihres älteren Bruders Favoriten – und mit denen hatte sie ja auch selten live Kontakt. „Pferdefan bin ich seit dem frühen Volksschulalter“, erzählt die heute 47-Jährige. „Aber damals durfte man erst mit zehn oder elf reiten lernen.“ Sie blieb beständig in ihrem Wunsch und als sie das entsprechende Alter erreicht hatte, überzeugte sie ihre Eltern davon, ihr das Reiten zu ermöglichen. Mit 14 kaufte sie sich ihr erstes eigenes Pferd, ein ausgemustertes Schulpferd, nicht mehr zur Dressur geeignet, und ritt stattdessen einfach darauf aus. Doch ihrem Ehrgeiz war damit nicht genüge getan, daher mietete sie als Studentin ein Pferd, mit dem sie auch auf Turniere gehen konnte. Als sie nach ihrem ersten Berufsjahr – ihr Weg hatte sie mittlerweile von Graz über Wien nach Salzburg geführt – auf der Suche nach einem eigenen Pferd war, lernte sie den Warmblutwallach Anton kennen. Jenen Anton, der ihr derartige Rückenprobleme bescherte, dass sie letztlich zur Akademischen Reitkunst fand.
Zweierlei Rückenschmerz
„Anton war ein Schlingel, aber er hatte so schön weite elastische Gänge. Und als ich ihn, nachdem er sich im Anschluss an unser Probereiten ausgiebig gewälzt hatte, gerufen habe, ist er direkt zu mir gekommen, obwohl ihn mindestens 15 Menschen umringt hatten. Da wusste ich: Er ist es.“
Nach dem ersten halben Jahr gemeinsamen Reitens litten Tier und Mensch unter Rückenschmerzen: das Pferd, das aufgrund eines besonders langen Rückens einen weiten Rückenschwung hatte und sehr vorhandlastig ging, und die Reiterin, deren Kreuz sein stoßendes Traben nicht abfedern konnte. Zu dieser Zeit besuchte eine Reitfreundin Kadas einen Kurs beim dänischen Reitdoyen Bent Branderup. „Sie hat mir von seiner Art zu arbeiten erzählt – und als ich mich eine Zeitlang an seinen Prinzipien orientiert hatte, waren die Schmerzen verschwunden. Das hat mich überzeugt.“ Schließlich begann Kada selbst, Kurse bei Bent zu besuchen.
Weiter akademisch reiten
Als dann in Graz eine Ausbildungsstelle zur Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin frei wurde, kehrte Kada in ihre Heimatstadt zurück. Pferd Anton kam mit – und auch das Bedürfnis, weiterhin „akademisch“ zu reiten, blieb aufrecht.
Also holte sie Bent Branderup erstmals zu einem Kurs in die Steiermark, was gar nicht so einfach war. „Um ein Seminar mit ihm zu organisieren, brauchte man einerseits die Fürsprache der Landesvertreterin, mit der ich praktischerweise befreundet bin. Zudem musste Bent Zeit haben. Ich konnte glücklicherweise einen Termin übernehmen, den jemand anderer abgesagt hatte.“ Von 2003 bis 2016 organisierte Kada dann alljährlich Reitkurse mit ihrem Vorbild.
Barocker Rittmeister
Bent Branderups Ratschläge prägen nach wie vor ihren Reitstil, auch wenn sie mittlerweile schon Stunden bei dessen Schülern genommen hat, die die Akademische Reitkunst auf ihre Weise weiterentwickelt haben.
Bent Branderup selbst ist eine stattliche Erscheinung: Er kleidet und verhält sich wie ein barocker Rittmeister, von seinem Fürstenhof auf unerklärliche Weise in die Gegenwart versetzt. Er sitzt im Dreiteiler statt in synthetischen Reithosen am Pferd, im Winter darüber noch den klassischen Kutschermantel. Sein Markenzeichen ist ein gezwirbelter Schnurrbart, der ein wenig an den spanischen Maler Salvador Dalí erinnert.
Bent versucht, seine Schüler zu lehren, ihr Pferd „zu lesen“, also die Kommunikation des Pferdes zu entschlüsseln. Zudem weckt er das Verständnis der Pferdehalter für physiologische Fragestellungen und körperliche Voraussetzungen, die ein Pferd erst ohne Schaden für Mensch und Tier reitbar machen. Denn um einen Menschen ausbalanciert tragen zu können, muss das Pferd an den richtigen Stellen Muskeln aufbauen und verstehen, wie es das Gewicht des Reiters tragen soll. Um das zu erreichen, wird es „gymnastiziert“, wie Bent es nennt.
„Reiten ist ein physiologisch hochkomplexer Vorgang mit einer wesentlichen psychologischen Komponente. Das Pferd spiegelt auch deine Persönlichkeit – so kannst du viel von ihm lernen“, betont Kada.
Kreis der Anspannung
Sie selbst musste lernen, mit ihrem jetzigen Pferd Idolo, einem hochsensiblen Spanier (Pura Raza Española PRE), den Kreislauf der Anspannung zu durchbrechen. „Ich bin Perfektionistin und wenn etwas nicht wie gewünscht gelingt, steigt meine Spannung. Mein Pferd Anton hat das gelassen weggesteckt, aber sein Nachfolger Idolo hat sich sofort mitverspannt, was wiederum bei mir den Stress erhöht hat. Ich musste erst lernen, aus dieser Spirale herauszufinden.“
Auch im Beruf gehört ständiges Dazulernen zu ihrem Selbstverständnis. Neben ihrer ärztlichen Ausbildung hat Kada unzählige psychotherapeutische Fortbildungen absolviert: im verhaltenstherapeutisch und tiefenpsychologisch orientierten Hamburger Modell der Sexualtherapie, in Heidelberg bei dem systemischen Sexualtherapeuten Uli Clement, eine Weiterbildung nach dem körperorientierten Sexocorporel von Jean-Yves Desjardins sowie die Seminare der Crucible Therapy nach David Schnarch. Seit Jahresbeginn ist sie, die zuvor eine Station geleitet hat, Primaria der neu gegründeten Abteilung für Forensische Psychiatrie.
Aufgrund der zunehmenden beruflichen Herausforderungen hat sie die Organisation der Kurse mittlerweile in die Hände einer engagierten Nachfolgerin gelegt, die Graz weiter zu einem Zentrum für akademische Reitkunst aufbaut.
While there is still time …
„Passion and Patience“ gibt Bent Branderup seinen Eleven als erstrebenswerte Grundeinstellung mit. „Für mich ist diese Dichotomie generell zum Lebensmotto geworden“, erzählt Eva Kada. Hartnäckig Ziele verfolgen, aber dabei nichts erzwingen. Seit eine Freundin lebensbedrohlich erkrankt ist, kommt dazu die Einstellung, „Dinge, die mir wichtig sind, nicht auf die lange Bank zu schieben“. Und das hat bei Kada ganz konkrete Folgen: „Für die Nick-Cave-Tournee 2022 habe ich mir schon acht Karten für Auftritte in verschiedenen Städten gekauft. Wer weiß, wie oft ich ihn noch auf Tournee hören werde können.“
Dass sie mit Menschen nicht wortlos, aber ebenso fein nuanciert kommunizieren kann wie mit Pferden, zeigt sie mit einem Zitat aus einem Philip Larkin-Gedicht, das ihr im Zusammenhang mit der Endlichkeit des Seins in den Sinn kommt: We should be careful/Of each other/We should be kind/While there is still time.
Fotos: Katharina Gerletz