AERZTE Steiermark 12/2021
Hans Kloepfer: Im Fahrwasser Hitlers
Anmerkungen zur politischen Weltsicht des weststeirischen Dichterarztes. Teil 3 und Abschluss des Portraits. (Die Teile 1 und 2 finden sich in AERZTE Steiermark 10 & 11/2021.)
Harald Salfellner
Ohne Betrachtung seines politischen Werdeganges und seiner Überzeugungen insbesondere in den späten 1930er Jahren wäre das Kurzportrait von Hans Kloepfer unvollständig.
Die wichtigsten inkriminierenden Fakten sind seit langem bekannt: Als Verehrer Hitlers stellte sich Kloepfer mit einer Reihe von Gedichten und Kurztexten in den Dienst der NS-Propaganda, wobei er sich vor allem für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich einsetzte. Als verlässlicher Anhänger der Bewegung wurde Kloepfer vom NS-Regime hofiert, zu Veranstaltungen gebeten und mit Ehrungen bedacht.
Einige Elemente seiner späteren politischen Weltsicht hatte Kloepfer schon in seiner Kindheit in Eibiswald erworben, wo er als Sohn eines aus dem Schwäbischen zugewanderten Wundarztes aufwuchs. Der deutschen Heimat des Vaters blieb Kloepfer zeitlebens verbunden. Seine politische Persönlichkeit formte sich besonders in den 1880er und 1890er Jahren in Graz, als sich der zünftige Student der Medizin dem Akademischen Turnverein und dem Akademischen Gesangverein (heute Akademische Sängerschaft Gothia zu Graz) anschloss. Das Bekenntnis zur deutschen Nation war ein Grundpfeiler im Selbstverständnis der freiheitlichen Korporationen, die sich auf eine bis zu den Freiheitskriegen zurückreichende Geschichte berufen konnten.
Zu einem entscheidenden Moment in Kloepfers politischem Werdegang wurden der Erste Weltkrieg und dessen Folgen. Wie viele Angehörige seiner Generation empfand der Arzt die Bestimmungen des Vertrags von St. Germain als tiefes Unrecht, insbesondere das Verbot des Anschlusses ans Deutsche Reich. Unter den territorialen Bestimmungen des Vertragswerkes erschütterte Kloepfer vor allem die Abtrennung der Untersteiermark. Lang war die Reihe junger Akademiker, die infolge dessen Slowenien verließen und etwa in Graz Zuflucht suchten – unter ihnen auch Josef Papesch, der spätere NS-Kulturfunktionär und enge Freund Kloepfers.
Zwischen 1918 und 1938
Von 1909 bis 1929 gehörte Kloepfer als Vertreter der Wirtschaftspartei dem Köflacher Gemeinderat an. In dem Industrie- und Bergbaurevier bestand eine bequeme Stimmenmehrheit für die Sozialdemokraten, doch konnte sich die konservative Wirtschaftspartei durch ein Bündnis verschiedener Parteien, nicht jedoch mit den Nationalsozialisten, gegen die „Roten“ behaupten.
Der politische Kampf um die Macht in Köflach wurde mit äußerster Härte geführt. Die Auseinandersetzungen in der Gemeindestube, die auch persönliche Invektiven einschlossen, zehrten an Kloepfers Kräften, so nahm er nach zwanzig Jahren politischen Zanks den Abschied.
Zeit seines Lebens hegte Kloepfer Interesse an sozialen Fragen und half großzügig mit Spenden, wenn irgendwo Not am Mann war. In den späten 1920er Jahren hatte das Elend der Nachkriegsjahre besonders in den strukturschwachen Grenzgebieten zu Jugoslawien noch immer kein Ende gefunden.
Mit der Dr.-Hans-Kloepfer-Grenzlandschule in Rothwein, der ein landwirtschaftliches Mustergut angeschlossen war, versuchte der Grazer Schutzverein Südmark der Verelendung und weiteren Abwanderung aus dem Grenzgebiet entgegenzuwirken. Rothwein – das war ein Hort für mittellose Bergbauernkinder, die oft nicht einmal festes Schuhwerk hatten für den winterlichen Fußweg in die Schule. Kloepfer nahm das Patronat über die Schule sehr ernst und bedachte die Kinder regelmäßig mit Kleidung und Schuhen – auf eigene Kosten.
Während Kloepfer in Rothwein praktische Hilfe leistete und gegen eine heute kaum noch vorstellbare Armut ankämpfte, spitzten sich in den Städten und im Tal die politischen Verhältnisse immer weiter zu. Ob unter dem Zeichen des Hakenkreuzes, des Sowjetsterns oder des Kruckenkreuzes – die Kontrahenten standen einander in erbitterter Feindschaft gegenüber. Aufruhr, Massenstreiks, Raufhändel und blutige Zusammenstöße prägten die Zeit.
Splitternde Fensterscheiben und Sprengstoffanschläge kündigten 1934 den Bürgerkrieg an. Wie Kloepfer über den gescheiterten Juliputsch der Nationalsozialisten dachte, ist nicht bekannt. Der Doktor vermied es, sich in der Öffentlichkeit zu tagespolitischen Fragen zu äußern.
Mit dem Ständestaat suchte sich Kloepfer zu arrangieren, der rollte dem Dichter denn auch bereitwillig den roten Teppich aus. So überreichte ihm etwa Bundespräsident Wilhelm Miklas 1937 auf Antrag des steirischen Landeshauptmannes das Ritterkreuz erster Klasse des österreichischen Verdienstordens.
Nach der Niederschlagung des Juliputsches lebte die NS-freundliche Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung dennoch fort. Kloepfers Arbeitgeber, die ÖAMG, konnte in den späten 1930er Jahren vom deutschen Wirtschaftsaufschwung profitieren, so dass die Montangesellschaft schon lange vor dem Anschluss zu einer wichtigen Keimzelle des Nationalsozialismus wurde.
Der Einmarsch deutscher Truppen und die Annexion Österreichs im März 1938 stießen in der Weststeiermark auf begeisterte Zustimmung. Nach fünf Jahren Ständestaat empfanden auch viele einfache Arbeiter aus dem Kohlerevier den Einmarsch der deutschen Wehrmacht als Befreiung. Über Nacht wandelten sich die steirischen und österreichischen Dollfuß-Plätze zu Adolf-Hitler-Plätzen.
Im Dienste des Hakenkreuzes
Nun gab es für Kloepfer keinen Grund mehr, zu schweigen. Am 19. März 1938 trat der Dichterarzt in der Voitsberg-Köflacher Volkszeitung mit einem Bekenntnis für Volk und Führer vor die Öffentlichkeit.
Der Staat, den er seit Studententagen vor Augen hatte, war jetzt zum Greifen nah: „Ein einziges, freies, glückliches und ewiges Deutschland, ein Deutschland, das alle umfaßt, die desselben Blutes und derselben Sprache sind“.
Das provinziell-bürgerliche Umfeld von Eibiswald und um Köflach, woraus er zahlreiche Motive seines Schaffens bezog, seine nationalkonservative Weltsicht, gefestigt im verbindungsstudentischen Umfeld, der von großdeutschen Sehnsüchten erfüllte Freundeskreis, sein langjähriger Umgang mit späteren Aushängeschildern des NS-Kulturlebens wie Josef Papesch oder Switbert Lobisser und nicht zuletzt die dynamische Entwicklung in Hitlers Reich – all das hatte sich zu einer latenten Unterströmung gefunden, die den behäbigen, gichtkranken und schon recht vergreist wirkenden Dichterarzt jetzt in das Fahrwasser Hitlers spülte.
Die Verbitterung über die schrille Not und das Elend der Zwischenkriegszeit, „die Jahre der Bedrückung“, trugen das Ihre bei zu seiner Haltung, und zu alldem kam die Genugtuung, dass nun endlich die Schmach von 1919 getilgt werde. Ein Dichter, aus dessen Werken hundertfach der milde Menschenfreund spricht, ein Arzt, der sein Leben lang gegen die Untiefen des Daseins ankämpfte – über Nacht schrieb er Huldigungsgedichte, denen wir Nachgeborene ratlos gegenüber stehen: „Schreibm tuat er si’ Hitler, und uns so guat g’sinnt, wie ma weit in da Welt net an liabern wo findt.“
Weitere Lobeshymnen auf den „geliebten“ Führer folgten, etwa am 9. April mit „Warum der Leitnerbauer Ja sagt“, ehe die umworbenen Bergbauern ins Tal pilgerten und für den Anschluss stimmten.
Das offizielle Ergebnis ist bekannt: 99,97 Prozent aller Wahlberechtigten des Bezirks Voitsberg bejahten die politische Verbindung mit dem nunmehrigen Großdeutschen Reich, von den 62 Gemeinden verzeichneten 51 ein hundertprozentiges Wahlergebnis. Die Euphorie der Anschlusstage fand ihren Ausdruck in weiteren Huldigungsgedichten wie dem Steirischen Bergbauerngruß, Frühling in Österreich oder Dem Führer.
In ihrer schlichten Einfalt sind sie erschütternde Zeugnisse einer politischen Konsekration, die man dem gereiften Landarzt nicht zugetraut hätte.
Was folgte, waren Publikationsangebote, Tantiemen, Einladungen, Preise, Auszeichnungen – und irgendwann wohl auch Ernüchterung, führte der politische Festrausch doch schnurstracks in die Katerstimmung des Weltkriegs. Von den Bildern dieser Tage blickt uns ein skeptischer Greis entgegen, vor hakenkreuzgeschmücktem Vortragspult. Es ist ein müder Mann, den der stramme Reichsgauleiter da in seiner Wohnung besuchte. Siegfried Uiberreither machte dem alten Arzt und Dichter die Honneurs und weilte wiederholt im Doktorhaus zu Gast.
Reichsleiter Philipp Bouhler dagegen, Hitlers Sonderbeauftragter für die Aktion T4, interessierte sich nicht für den betagten Landbader, als er den Voitsberger Primar und Gesundheitsfunktionär Ernst Bouvier aufsuchte.
Über die einschlägigen Bestimmungen und Gesetze im Zusammenhang mit Fragen der Rassenhygiene, Eugenik oder Euthanasie, die nach dem Anschluss auch in der Ostmark in Kraft traten, war Kloepfer sicher orientiert, seinem Bekenntnis zu den neuen Machthabern taten sie keinen Abbruch.
Viele Fragen offen
Dass manche Dinge schief liefen unter dem Hakenkreuz, das konnte auch Kloepfer nicht verborgen bleiben.
So musste ihm zu denken geben, dass selbst sein enger Freund Josef Papesch, ein überzeugter Nationalsozialist und hochrangiger Regierungsdirektor in der Behörde des Reichsstatthalters, Opfer der infamen NS-Politik wurde. Wie aus heiterem Himmel wurde im Jänner 1941 seine geliebte, nach einer Meningitis in ihrer Kindheit behinderte Tochter Grete abgeholt, um bald darauf im Rahmen der T4-Aktion ermordet zu werden. Papesch trat daraufhin aus der SS aus. Was Kloepfer wohl zu diesem tragischen Fall sagte, als er wieder einmal die Gasse zu dem Haus seines Freundes auf dem Ruckerlberg hinaufschnaufte? Ein anderes Spannungsfeld stellte die Freundschaft mit seinem wohl engsten Vertrauten Viktor von Geramb dar, der von den Nationalsozialisten aus seinen akademischen Ämtern entlassen und kaltgestellt wurde. Trotzdem blieb die innige Verbindung bis zum Ableben Kloepfers ohne erkennbare Trübung erhalten.
Die Brüche im Leben und Weltbild des Nationalsozialisten Kloepfer sind ein besonders rätselhaftes Kapitel im Leben des Dichterarztes. Dazu gehört auch seine Beziehung zur katholischen Kirche. Die forciert kirchenfeindliche Haltung der Nazibewegung teilte der bekennende Freigeist Hans Kloepfer jedenfalls nicht, einen feindseligen Ton suchen wir in seinen Schriften vergeblich. Da Kloepfer dem katholischen Geistlichen und Intellektuellen Rochus Kohlbach persönlich nahestand, vernahm er es wohl mit Staunen, als die neuen Machthaber diesen in Mauthausen internierten. Ein respektvolles, geradezu freundschaftliches Miteinander verband Kloepfer mit dem Köflacher Dechanten Stampfer. Als mehrjähriger Klosterarzt der Franziskaner zu Maria Lankowitz behandelte Kloepfer kranke Ordensmitglieder stets unentgeltlich, was auch in der Klosterchronik vermerkt wurde.
Als Kloepfer 1944 starb, inmitten des bereits niedergehenden Dritten Reiches, durften auf Geheiß des Gauleiters Uiberreither Geistliche an der Grablege nicht teilnehmen, was im Markt Köflach für einiges Befremden sorgte. Die Beerdigung des zuletzt Schwerkranken, der sich immer mehr in sich und sein Haus zurückgezogen hatte, wurde von der Partei zu einer politischen Kundgebung inszeniert, Hitler und Goebbels sandten Kränze.
Bald nach dem Krieg setzte eine Kloepfer-Renaissance ein, Gedichte von Kloepfer zierten die Schulbücher, nach dem Dichterarzt wurden Straßen benannt und ihm zu Ehren Denkmäler errichtet. Über seine politischen Ansichten sprach man nur hinter vorgehaltener Hand, die Hakenkreuz-Anstecknadeln auf den Fotos des Verblichenen wurden wegretuschiert. Und langsam wurden die Weggefährten weniger, die Kloepfer noch persönlich kannten, schätzten und verteidigten. Erst in den 1980er Jahren wich die unkritische Verehrung des Dichters einer differenzierteren Sicht, die etwa besonders von dem Grazer Schriftsteller Gerhard Roth eingemahnt wurde.
Für die historische Einordnung des Dichterarztes in unseren Tagen ist es gut daran zu erinnern, dass Kloepfer keineswegs ein Einzelgänger war, sondern die überwiegende Zahl aller Kollegen zwischen 1938 und 1945 Mitglieder der NSDAP waren und sich die Partei gerade in der Ärzteschaft eines festen Rückhaltes erfreute. So war Dr. Kloepfer in seiner unkritischen NS-Verehrung auch ein Kind seiner Zeit. Sein Irrweg wird zum Menetekel für die Ärzteschaft auch in unseren Tagen: Allzuleicht versengt sich die Flügel, wer der politischen Glut zu nahe kommt.
Dr. Harald Salfellner ist Arzt, Medizinhistoriker und Autor des Buches „Aber Arzt bin ich geblieben – Bilder aus dem Leben Hans Kloepfers“.
Fotos: Vitalis-Verlag, beigestellt