AERZTE Steiermark 09/2024

 

„You also need to be lucky“ ...

... um Forschung entscheidend voranzubringen, weiß Mahmoud Abdellatif. Seine wissenschaftlichen Fähigkeiten als Kardiologe, seine Gruppe an der MUG und auch deren Lokation im (ja, doch!)  ressourcenreichen Forschungs-Hotspot Steiermark samt nationaler sowie europäischer Wissenschaftsförderung bringen Ergebnisse hervor, die (insbesondere) alternden Herzen auf die Sprünge helfen werden.

Jasmin Novak

2007 inskribiert sich ein junger Mann an der süd­ägyptischen Sohag University fürs Medizinstudium. Er will Arzt werden, wie sein älterer Bruder Mahamad auch. 2013 schließt er sein Studium ab und will in die Kardiologie. Um ein guter Kardiologe zu werden, rät ihm sein Bruder, sich zunächst ein bisschen mit Forschung zu befassen. Das leuchtet dem jungen Mann ein.


„Forschungsreisender“ der besonderen Art

Mahmoud Abdellatif recherchiert also und findet in ganz Europa zwei (!) Kardio­vaskulär/Herz-Kreislauf-Mas­ter-Studiengänge, einen in Amsterdam und einen in Porto. Für letzteres entscheidet er sich, weil er Spanisch spricht und Portugiesisch doch immerhin verwandt ist. 2015 ist seine Masterarbeit über Kardiovaskuläre Pathophysiologie fertig. Darin – fast schicksalhaft anmutend – gibt es auch einen Bezug auf einen kardiologischen Randbereich: die damals noch wenig erforschte und bestenfalls symptomatisch behandelbare Herzinsuffizienz bei erhaltener Auswurffunktion.

Mit dem Masterabschluss will sich Abdellatif aber nicht begnügen, so kommt er 2015 an die Medizinische Universität Graz, entwickelt sich u. a. bei seinen Mentoren, dem Physiologen Simon Sedej und dem Mikrobiologen Frank Madeo, wissenschaftlich weiter und schließt 2019 sein PHD-Studium ab. Mittlerweile ist Abdellatif so sehr auf den forschenden Blick aufs Herz fokussiert, dass er bis 2022 einen „Postdoc“ an der Pariser Sorbonne anhängt, wo ihn der österreichisch-spanische Pathophysiologe und Molekularbiologe Guido Kroemer unter die Fittiche nimmt. So landet der forschende Mediziner bei zwei wirklich einflussreichen Autoren in Sachen Autophagie. Vielen Ärzt:innen werden die via Autophagie „zellverjüngenden“ Effekte des Spermidins, das etwa in Nüssen, Soja und Broccoli vorkommt, noch in Erinnerung sein. Kroemer  und Madeo haben sie erforscht: Mäuse und Ratten mit spermidinreicher Kost zeigen jedenfalls deutlich geringere Risiken an Herzversagen einzugehen, weil hochdosiertes Spermidin die Zellverjüngung signifikant unterstützt.


In Graz ist gut forschen

2022 kommt Abdellatif an die MUG zurück. Sie mag zwar viel jünger als die Sorbonne/INSERM sein, erklärt der junge Forscher seinem Mentor Kroemer, aber sie bietet ihm gute Bedingungen für Forschung. Abdellatif leitet zunächst eine Forschungsgruppe des universitären Herzzentrums Graz, avanciert hier 2023 zum Assistenzprofessor für Kardiovaskuläres Altern an der Abteilung für Kardiologie und schließt praktisch zeitgleich sein zweites Mas­terstudium (Clinical Trials) in Oxford ab.

Das von Frank Madeo geleitete Cluster of Excellence mit MUG, KF-Uni und Med Uni Wien vereint doch eine beachtliche interdisziplinäre Forschungskompetenz und generiert auch hinreichende Forschungsförderungen. So haben diese drei Universitäten mittlerweile (für österreichische Verhältnisse) gigantische 18 Mio. Euro zur Verfügung, um das von Madeo koordinierte Netzwerk natio­naler Spermidinforschung voranzubringen – inklusive Forschung zu Spermidin und Fasten über verschiedene Arten hinweg, auch bei mehr als 2.000 Menschen.


Ener-LIGHT

Ein Teil von Abdellatifs Forschungsbemühungen zur Nutzung der Autophagie zum Nutzen der Patient:innen ist das Netzwerk Energizing the Failing Heart (kurz Ener-LIGHT), das er auf europäischer Ebene koordiniert.

Es vereint Forscher:innen und Kliniker:innen aus Frank­reich, Spanien und den Niederlanden, allesamt mit umfassender Expertise in experimenteller und klinischer Kardiologie, Zellbiologie und Immunologie. Dafür stehen  aus dem Programm ERA4Health und vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF für 3 Jahre 1,2 Mio. Euro zur Verfügung – auch das eine für hiesige Verhältnisse nennenswerte Summe.

Die Gruppe von Abdellatif erarbeitet die Grundlagen dafür, dass diese Form der Herzinsuffizienz ursächlich behandelt werden kann. Sie betrifft pro Jahr – nur um sie irgendwie zu beziffern – immerhin 150.000 Österreicher:innen.

„Unser molekulares Ziel ist das Acyl-CoA-Bindungsprotein, das wir mithilfe von neu entwickelten Antikörpern neutralisieren oder in transgenen Mäusen eliminiert haben. Erste Daten unterstützen die Annahme, dass das Eliminieren dieses Proteins Schutzmechanismen wie Autophagie in verschiedenen Geweben inklusive des Herzes aktiviert“, erklärt Abdellatif. Wenn die Ursachen der Herzinsuffizienz besser verstanden werden, können innovative Therapieansätze entwickelt werden. Die Erkenntnisse werden die Basis für künftige klinische Studien bilden, um die Wirksamkeit dieser potentiellen Therapie für Erkrankte zu evaluieren.


Langer Atem nötig

„Als ich in Porto studiert habe, hat diese Form der Herzinsuffizienz praktisch niemanden interessiert“, schmunzelt Abdellatif „und jetzt stehen uns hier in Graz diese Mittel zur Verfügung, mit denen wir – hoffentlich – die Forschung nachhaltig vorantreiben können.“ Dass es auch frustrane Zeiten im Leben eines Forschers gibt, merkt der Forscher mit Leib und Seele im nächsten Satz an: Forschungsansätze gehen nicht auf, Mittel können doch nicht wie geplant akquiriert werden, manchmal stockt der Prozess ... „Dann muss man einfach weitermachen und sich nicht entmutigen lassen. Forschen braucht auch Glück“ und eben einen langen Atem. „Wesentliche Fortschritte brauchen immer ihre Zeit. Aber auch hier gilt: Besser spät als nie“, zeigt sich Abdellatif geduldig. „Wichtig ist auch: Wir brauchen mehr Mediziner:innen, die forschen. Dazu möchte ich wirklich ermutigen.“


Forschung als Hobby

Die Frage, welche Hobbys er habe, lässt den 33-jährigen Vater eine 9-Monate alten Tochter einige Zeit nachdenken. „Mein Haupthobby ist eigentlich die Forschung“, meint er dann. Und nach einer kleinen Pause: „Und ich lerne gerade, mit einem Baby zu spielen. Meine Tochter wird in Kürze 10 Monate. Das  macht viel Spaß und ist auch sehr spannend.“

Grazer Straße 50a1