AERZTE Steiermark 02/2025
Gefordert: Krisengipfel für die „größte Baustelle der Republik“
Die Versorgung im Kassensystem steckt in einer tiefen Krise. Angesichts der Probleme in den Bundesländern und der Zuspitzung der Situation drängt man darauf, möglichst rasch bei einem Runden Tisch mit allen Verantwortlichen nachhaltige Lösungen zu erarbeiten.
Die Vertreter:innen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Österreich schlagen Alarm: Die Versorgung im Kassensystem steckt in einer tiefen Krise. In allen Bundesländern spitzen sich die Probleme zu und die Situation droht, sich weiter zu verschärfen. Die Bundeskurie der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte fordert daher einen dringenden Krisengipfel mit Sozialversicherung, Politik und Ärztekammer, um nachhaltige Lösungen zu erarbeiten und das Kassensystem vor dem Kollaps zu bewahren.
„Das Thema Gesundheit ist die größte Baustelle der zweiten Republik“, warnt Dietmar Bayer, stv. Obmann der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der ÖAK, eindringlich. Ein Staat wie Österreich könne und müsse es sich leisten, dass die Gesundheitsversorgung eine der Kernaufgaben der Bundesregierung darstellt. Aktuell sei es in einigen Bundesländern jedoch so, dass die Österreichische Gesundheitskasse als Verhandlungspartnerin inexistent sei. Angesichts des riesigen Finanzlochs könne man den Ärztevertreter:innen nicht einmal irgendein verbindliches Angebot vorlegen, über das man dann verhandeln könne.
Was braucht es daher?
Ein klares Bekenntnis zum öffentlichen, solidarischen Gesundheitssystem von der Bundespolitik – und vor allem dementsprechende Handlungen. In Richtung der Regierungsverantwortung ist Bayer eines besonders wichtig: Der Schwerpunkt dürfe nicht nur auf der Wirtschaft liegen, sondern die Anliegen der Bevölkerung müssten ebenso Gehör finden. Was in diesem Zusammenhang nämlich immer wieder vergessen werde: „Ohne gesunde Menschen gibt es keine gesunde Wirtschaft.“
Unattraktives System
Bayer unterstreicht die strukturellen Probleme: „Die Ausgangslage ist klar: Unser Gesundheitssystem ist immer noch für die 7,5 Millionen Einwohner ausgelegt. Mittlerweile haben wir über 9 Millionen Einwohner, aber immer noch fast dieselbe Anzahl an Kassenärztinnen und Kassenärzten. Unser System hatte nie die Chance mitzuwachsen. Diese Entwicklung hat die Politik durch Vernachlässigung und Kostendämpfungspfade im Keim erstickt. Mit den Deckelungen und Pauschalierungen hat man das Kassensystem immer unattraktiver gemacht.“
Endlich ins Handeln kommen
Ein Runder Tisch mit Sozialversicherung, Politik und Ärztekammer sei schnellstmöglich zu organisieren, um eine nachhaltige Lösung zu erarbeiten, sind sich die Ärztevertreter:innen österreichweit einig. Weitere Forderungen seien Soforthilfen durch den Bund zur Stabilisierung der ÖGK, eine prioritäre Behandlung der Gesundheitsversorgung in den laufenden Regierungsverhandlungen, nachhaltige Strukturreformen zur Attraktivierung der Verträge und mehr Transparenz in der Finanzgebarung der ÖGK. „Von der Stärkung der Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte wird zwar viel gesprochen, die Politik und die Pflichtkrankenkassen müssen aber endlich ins Handeln kommen“, kritsiert Bayer.
Leistungskatalog anpassen
Der unzureichende Leistungskatalog der ÖGK verhindert derzeit eine zeitgemäße Versorgung der Patientinnen und Patienten. Dringend erforderlich seien nun strukturelle Maßnahmen, wie sie auch in der Resolution „Gesunde Steiermark/Gesundes Österreich“ formuliert wurden. Mit dieser wird bis Ende März 2025 mittels Unterschriftenlisten um breite Unterstützung geworben; die Resolution liegt in Ordinationen und Ambulanzen auf. Ebenso wurden von der Ärztekammer Steiermark Informationsplakate an die Ärzt:innen ausgesendet, die die Bevölkerung dazu aufklären.
Fehgeschlagene Reform
Kurienobmann Bayer kritisierte außerdem „das zögerliche Vorgehen der ÖGK, die als bei weitem größte Pflichtkrankenkasse ein massives Sparprogramm zu Lasten ihrer Versicherten und unserer Patientinnen und Patienten“ betreibe. Es gebe konkrete Maßnahmen, um die Misere hinsichtlich der fehlenden Kassenärztinnen und -ärzte zu beenden: Mit der Abschaffung von Limiten und Degressionen sowie neuen Rahmenvereinbarung wie Jobsharing könnten Kassenstellen wieder attraktiver werden.
Die fehlgeschlagene Kassenreform und Zusammenlegung ist ein weiteres Ärgernis für Bayer: „Statt von den Synergien zu profitieren – ich erinnere nochmal daran, dass uns dieses Einsparpotenzial eine versprochene ‚Patientenmilliarde‘ finanzieren hätte sollen – waren die einzigen, die davon profitiert haben, die Berater. In der Privatwirtschaft hätte so ein Missmanagement harte personelle Konsequenzen.“ Besonders gravierend sind die Folgen für Patient:innen, Ärzte und Ärztinnen: „Man muss sich vor Augen halten, welche drastischen Folgen eine Zahlungsunfähigkeit der ÖGK hätte. Es drohen Einschränkungen bei Behandlungen, längere Wartezeiten und eine steigende finanzielle Belastung für Versicherte.“
Dringender Handlungsbedarf
Weitere Potenziale sieht Dietmar Bayer vor allem im Bereich der Digitalisierung. Es sei unverständlich, warum sich Österreich den Luxus von drei parallel arbeitenden IT-Firmen (ELGA GmbH, SVC und IT-SV) leiste. Gerade wenn man sich das Budgetloch vor Augen führe. Ein zukunftssicheres Gesundheitssystem sei kaum vereinbar mit drei Firmen, die an unterschiedlichen Projekten arbeiten würden, wobei durch Doppelgleisigkeiten und den enormen Abstimmungsbedarf täglich Geld sinnlos verbraten werde. Eine Zusammenlegung dieser Firmen sei unumgänglich. „Zudem kann uns der Ausbau von Digitalisierung und Telemedizin noch stark dabei helfen, das Gesundheitssystem zu entlasten“, so Dietmar Bayer. Eine bessere Nutzung digitaler Lösungen könnte Wartezeiten reduzieren, Abläufe vereinfachen und den Zugang zu medizinischer Versorgung verbessern.