AERZTE Steiermark 06/2025

 

Start in eine neue Facharzt-Ära

Nach über drei Jahrzehnten intensiver Bemühungen wurde mit dem 1. Jänner 2025 der Facharzt für Allgemeinmedizin und Familienmedizin eingeführt und eine lange erhoffte Aufwertung dieses Berufsbildes erreicht. Rund 3.500 Anträge, die bisher österreichweit eingegangen sind, zeugen vom gewaltigen Interesse und unterstreichen die Richtigkeit dieses Schrittes.

Aber bis es so weit war, war es ein langer und steiniger Prozess mit teils zähen politischen wie fachlichen Diskussionen: Bereits Anfang der 1990er-Jahre war den Funktionärinnen und Funktionären der Österreichischen Ärztekammer bewusst, dass die Allgemeinmedizin mehr Anerkennung und strukturelle Stärkung braucht. 1992 kam es beim Österreichischen Ärztekammertag im Vorarlberger Schruns zu einem Beschluss und klaren Bekenntnis für die Einführung eines Facharztes für Allgemeinmedizin – mehr als 30 Jahre später ist man bei der Umsetzung angekommen. Über 3.500 Ärztinnen und Ärzte haben bis dato einen Antrag gestellt, um sich diesen Facharzttitel zu sichern. Ein deutliches Signal: Die Kollegenschaft steht hinter diesem historischen Schritt.

Gerhard Posch, Vizepräsident der Ärztekammer Steiermark und Kurienobmann der angestellten Ärzte, sieht die Entwicklung positiv: „Die Allgemeinmedizin erhält endlich den Stellenwert, der ihr zusteht. Das ist ein historischer Moment für unser Gesundheitssystem und eine echte Aufwertung für diesen spezifischen Berufsstand.“

Was sich jetzt ändert

Die Einführung des Facharztes bringt aber auch weitreichende Änderungen mit sich – nicht nur in der Symbolik, sondern auch in der Ausbildung und Berufsrealität. Ab 1. Juni 2026 wird die Ausbildung schrittweise von bisher drei auf fünf Jahre verlängert, wobei die Sonderfach-Schwerpunktausbildung auf 18 Monate festgelegt ist. Dabei wird die klinische Ausbildung im Spital intensiviert und besser strukturiert, ebenso wie die Zeit in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen. Posch skizziert das Ziel, das man dabei im Auge hat: „Ziel ist eine fundierte, breite Ausbildung, die auf die komplexen Anforderungen in Praxis und Spital vorbereitet. Dabei liegt der Fokus unter anderem auf der Langzeitbetreuung von Patientinnen und Patienten, auf interdisziplinärer Zusammenarbeit, Prävention, psychosozialen Kompetenzen und der Fähigkeit, komplexe Krankheitsverläufe in einem ganzheitlichen Kontext zu begleiten.“ Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner sollen nicht nur „Gatekeeper“ im System sein, sondern aktive Gestalter in der wohnortnahen, multiprofessionellen Gesundheitsversorgung.

Positive Auswirkungen und Aufwertung des Berufsbildes

Ein wesentlicher Vorteil des neuen Facharztes liegt auch in der Weiterentwicklung des Berufsbildes im stationären Bereich. Allgemeinmediziner im Spital sind häufig in der Erstversorgung, in der Notaufnahme oder auf Bettenstationen tätig – ihre klinische Expertise wird hier dringend gebraucht. Mit dem Facharzttitel wird diese Rolle gestärkt und auch sichtbar gemacht. Posch unterstreicht das: „Die neue Struktur schafft klare Karriereperspektiven, erleichtert das interdisziplinäre Arbeiten und erhöht die Attraktivität des Faches – nicht zuletzt für den medizinischen Nachwuchs.“ Und dieser Faktor sei – angesichts der angespannten Personalsituation insbesondere im Bereich der Allgemeinmedizin – von wesentlicher Bedeutung.

„Der neue Facharzt wird die Rolle der Allgemeinmedizin im System neu definieren. Wir stehen am Beginn einer neuen Ära – und das spürt man bereits an der hohen Zahl an Anträgen. Die Kolleginnen und Kollegen wissen, was das bedeutet: mehr Anerkennung, bessere Ausbildungswege und eine stärkere Stimme in der medizinischen Versorgung“, befindet der Kurienobmann der angestellten Ärzte.

Eine Stärkung des Faches sei unausweichlich gewesen, betonte auch der Allgemeinmediziner Artur Wechselberger, von 2017 bis 2021 Präsident der Österreichischen Ärztekammer, im Rahmen einer festlichen Enquete in Salzburg anlässlich der Einführung des Facharztes. Er verwies dabei auf eine internationale Studie von vor über zehn Jahren, wonach Österreich ein „Low Primary Care Country“ sei. Mit großem Engagement, unter anderem seitens der Fachgesellschaften, sei es aber gelungen, die Wissenschaftlichkeit des Faches darzustellen und die Weichen in Richtung Facharzt zu stellen. Diesen gemeinschaftlichen Willen und die leidenschaftliche Teamarbeit, den Facharzt Wirklichkeit werden zu lassen, unterstrich auch Edgar Wutscher, Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK.

Starkes akademisches Signal

Die Einführung des Facharztes ist somit ein klares Signal: Die Allgemeinmedizin ist der wesentliche Versorgungsfaktor auf Primärversorgungsebene – sie ist ein komplexes, akademisch anspruchsvolles Fach mit tiefgreifender gesellschaftlicher Relevanz. Die Anerkennung als Facharzt schafft Sichtbarkeit, Selbstbewusstsein und Strukturen, die eine nachhaltige medizinische Betreuung über alle Lebensphasen hinweg garantieren können.

Zugleich ist es nun an der Politik, diesen Schritt mit entsprechenden Maßnahmen zu begleiten. Dazu zählt insbesondere, dass die Fachärzte für Allgemeinmedizin im Gehaltsschema aufrücken und als Fachärzte zu honorieren sind – sowohl im niedergelassenen als auch im spitalsärztlichen Bereich.

Die Einführung des Facharztes für Allgemein- und Familienmedizin ist ein Meilenstein – aber auch ein Auftrag. Es gilt nun, diese Chance zu nutzen, um dieses Berufsbild für künftige Generationen von Ärztinnen und Ärzten attraktiv zu gestalten.

 

SERVICE 

Die wichtigsten FAQs zum Erwerb der Bezeichnung Fachärztin/Facharzt für Allgemeinmedizin und Familienmedizin gibt es auf der Website der Österreichischen Ärztekammer unter https://www.aerztekammer.at/faq-fam.

 

Fotocredit: Furgler, envato:mstandret